Vogelgrippe bei Milchkühen in den USA beunruhigt Fachwelt – keine Hinweise auf ähnliche Vorfälle in Europa

Die Melkgeschirre könnten an einer Übertragung beteiligt sein. (Symbolbild) Foto: © Wolfgang Ehrecke – pixabay.com

In den USA könnte eine steigende Zahl von Milchkühen mit dem Vogelgrippevirus infiziert sein, wie eine landesweite Untersuchung von Supermarktmilch der US-Gesundheitsbehörde FDA nahelegt. Da das Virus durch Pasteurisierung abgetötet werde, bestehe derzeit keine Gefahr für den Menschen.

Gemäß der FDA fanden sich in rund 20 Prozent der getesteten Proben Bestandteile des Vogelgrippevirus H5N1. Die nach einer Pasteurisierung zurückbleibenden genetischen Virusfragmente seien nicht in der Lage, eine Infektion zu verursachen. Derzeit laufen Versuche, ob sich überhaupt infektiöse Viruspartikel aus Milchproben anzüchten lassen. Die Ergebnisse bedeuteten auch nicht automatisch, dass jede fünfte Milchpackung im Supermarkt infiziert ist. Virusbestandteile in vielen Milchproben könnten auf eine kleinere Anzahl infizierter Kühe zurückzuführen sein, die große Virusmengen ausscheiden. Der FDA zufolge ist auch kein Anstieg der Grippefälle beim Menschen zu beobachten. Bislang gebe es weiterhin offiziell nur einen Fall, in dem sich ein Mensch nach dem direkten Kontakt mit infizierten Rindern selbst infiziert hat. H5N1-Viren der Klade 2.3.4.4b wurden erstmals im Februar bei Milchkühen in Texas nachgewiesen.

Als infiziert gelten derzeit mindestens 33 Herden aus acht Bundesstaaten

Die Lage in den USA beunruhigt die Fachwelt nun vor allem deswegen, weil Rinder bisher nicht als Wirt des Vogelgrippevirus galten. Mit jedem neuen Viruswirt, der in engerem Kontakt zu Menschen steht, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung auf den Menschen. Aktuell sind in den USA nachweislich mindestens 33 Herden in acht Bundesstaaten infiziert. Wie der Übertrag des Virus von Wildvögeln auf die Kühe abgelaufen sein könnte, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Aktuellen Virussequenzen zufolge startete die Epidemie wahrscheinlich nach einer einmaligen Übertragung. Ebenso muss der Infektionsweg zwischen den Kühen weiter erforscht werden.

Erste Hinweise deuten auf eine Infektion des Euters hin

Das Virus könnte also über die Melkgeräte oder die Handschuhe der Farmbelegschaft auf andere Tiere übertragen werden. Aber auch eine Übertragung über die Atemwege ist derzeit nicht ausgeschlossen.

Das US-Landwirtschaftsministerium hat eine Bundesverordnung erlassen, wonach ab dem 29. April vor dem Transport von Milchvieh zwischen den Staaten ein negativer Test auf das Influenza-A-Virus durchgeführt werden muss. Laboratorien und staatliche Tierärzte in den USA sind zudem verpflichtet, positive Ergebnisse den Behörden zu melden.

Seit 1996 breitet sich das Virus stetig aus

Das hochpathogene Influenza-A-Virus H5N1 wurde erstmals 1996 in China entdeckt und hat seitdem mehrere Ausbrüche in Geflügelbeständen und vereinzelt auch beim Menschen verursacht. Wildvogelbestände wurden in den vergangenen Jahren durch die aviäre Pandemie stark dezimiert. Mittlerweile ist der Erreger nahezu über den gesamten Globus zu finden und befällt immer häufiger auch andere Tierarten.

Prof. Martin Schwemmle, Forschungsgruppenleiter am Institut für Virologie, Universitätsklinikum Freiburg äußerte sich zur aktuellen Infektionslage in den USA: „Die Infektion von Milchkühen mit einem Vogel-Influenzavirus der H5N1-Klassifizierung wurde in mehreren US-Bundesstaaten nachgewiesen. Inwieweit der Handel mit Milchkühen zwischen den Bundesstaaten zu dieser Verbreitung beitragen kann, ist Gegenstand laufender Untersuchungen. Da bisher keine Ergebnisse zu flächendeckenden Untersuchungen auf infizierte Milchkühe vorliegen, ist das Ausmaß der Verbreitung dieser Seuche noch unklar. Positiv zu vermerken ist, dass nun eine verpflichtende Untersuchung auf Influenza-A-Viren im Falle von zwischenstaatlichen Milchvieh-Transporten vorgeschrieben ist, um eine weitere Verbreitung zu verhindern. Dass Spuren dieser Viren in Milch aus Supermärkten nachgewiesen wurde, ist ein alarmierendes Signal.“

Ihn persönlich habe überrascht, so Schwemmle, dass es sich ausgerechnet um Milchkühe handelt. Bisher konnte eine Infektion mit Influenzaviren des Subtyps H5N1 bei einer Reihe von Vögeln und Säugetieren nachgewiesen werden, aber eben nicht bei Rindern. Auch überrascht sei er, dass bei infizierten Milchkühen der Virusnachweis im Respirationstrakt und im Euter positiv war, aber offenbar keine Hirnpathologien auftraten, wie sie für andere H5N1-infizierte Säugetiere charakteristisch sind.

„Das ist eigentlich das Erstaunliche: sehr wenige, erste Analysen zeigen, dass es adaptive Mutationen im viralen HA-Oberflächenprotein, im Matrixprotein und im Nicht-Strukturprotein gibt. Anscheinend benötigt das H5N1-Virus also nicht viele Anpassungen, um sich auch in Milchkühen vermehren zu können. Ob die Infektion über das Euter erfolgt oder ob es sich um eine Schmierinfektion handelt, ist noch unklar. Ein Infektionsweg über die Atemwege kann derzeit nicht sicher ausgeschlossen werden. Das Problem besteht darin, dass in der Milch dieser Kühe sehr hohe Virustiter nachgewiesen wurden, was bedeutet, dass das Virus nicht nur mit jedem Tropfen Milch, der in die Umwelt gelangt, verbreitet wird, sondern dass das gesamte für die Milchproduktion notwendige Arbeitsgerät mit infektiösem Virus kontaminiert sein kann. Ich glaube, dass es sehr schwer ist, solche weit verbreiteten Kontaminationen in den Griff zu bekommen.“

Auch zum Zoonosepotenzial des Erregers äußerte sich der Freiburger Virologe: „Sporadische Infektionen von Menschen mit dem H5N1-Virus bei sehr engem Kontakt zu Milchkühen wurden bereits aus den USA berichtet. Diese Infektionen führten bisher aber nur zu milden Symptomen und eine weitere Ausbreitung zwischen Menschen konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Auch in Asien kam es bisher nur in sehr wenigen Fällen zu einer Übertragung des H5N1-Vogelgrippevirus von Mensch zu Mensch. Daher ist eine weitere Ausbreitung des Virus in Form einer Epidemie oder gar Pandemie eher unwahrscheinlich. Seit den Untersuchungen von Ron Fouchier und Yoshi Kawaoka im Jahr 2012 wissen wir jedoch [1], dass das HA-Oberflächenprotein des H5N1-Virus sehr wohl weitere adaptive Mutationen erwerben könnte, um eine menschliche Zelle erfolgreich zu infizieren und von Mensch-zu-Mensch übertragbar zu werden. Dies gilt sehr wahrscheinlich auch für eine Übertragung des H5N1-Virus von den Milchkühen auf den Menschen. Wir wissen aber auch, dass diese Anpassungen noch nicht ausreichen, um eine Epidemie in der menschlichen Bevölkerung zu etablieren.“

Situation in Europa

Die Situation in Europa sei (noch) entspannt, wie Schwemmle sagt, da es keine Hinweise auf eine Infektion von Milchkühen mit dem H5N1-Vogelgrippevirus gäbe. Dies könne sich jedoch jederzeit ändern. Die spezifische H5N1-Virus-Variante, die Milchkühe in den USA infiziert hat, sei den in Europa zirkulierenden Virusstämmen ähnlich, aber nicht identisch. Es bliebe daher abzuwarten, ob die in Europa zirkulierenden H5N1-Stämme in Zukunft auch bei uns Milchkühe infizieren können. Eine weitere Möglichkeit wäre der unbeabsichtigte Import von mit H5N1-Viren kontaminiertem Material aus den USA. Auf alle Fälle würden diese Überlegungen nahelegen, dass eine zeitnahe und engmaschige Überwachung der deutschen und europäischen Tierbestände durch die Fachleute der Veterinärbehörden dringend erforderlich ist, so der Experte abschließend.

Die Datenlage in den USA ist unvollständig – die Testung scheinbar unsystematisch

Prof. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik (IVD) am Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems, äußerte sich zur derzeitigen Datenlage: „Die Situation in den USA ändert sich ständig. Die Informationen und Daten von dort sind derzeit leider unvollständig. Viele Fragen können einfach noch nicht sicher beantwortet werden. Nach den bisherigen Daten verdichten sich die Hinweise, dass der Eintrag dieses Vogelgrippe-Erregers bei Rindern bereits vor Monaten geschah. Die Rinderfarmen in den USA liegen in Gebieten, in denen es auch Fälle bei Wildvögeln und beim Geflügel gegeben hat, so dass ein entsprechender Kontakt wahrscheinlich ist.“ Das Geschehen in den USA sei wirklich erstaunlich, so Beer. „Die Testung der Tiere und der Milch erfolgt bisher anscheinend wenig systematisch. In Finnland mussten zahlreiche infizierte Pelztiere getötet werden. Die Finnen fragen nun teils auch zu Recht, warum das nicht auch auf die Kühe in den USA zutrifft, die ja nachweislich zum Teil hochinfektiös sind.“

Euter kommt Schlüsselrolle zu – Rohmilch als viruskonservierendes Medium

„Der Schlüssel der Infektion ist bei Milchkühen offenbar das Euter“,  sagt der Fachtierarzt für Virologie und Mikrobiologie. „Im Respirationstrakt zeigt sich nach bisherigen Berichten sehr wenig Virus. Die Euter der betroffenen Tiere in den USA zeigen aber im qPCR-Test Ct-Werte, die teils deutlich unter 20 liegen, das heißt, im Eutergewebe kommt es zur starken Replikation – und damit können auch größere Virusmengen in die Milch gelangen. Die Verbreitung erfolgt vermutlich über den zum Teil auch stark automatisierten Melkvorgang. Die Maschinen – genauer die Melkgeschirre – haben direkten Kontakt mit mehreren Kühen. So kann das Virus zwischen mehreren Tieren zirkulieren.“ Spannend sei hierbei die Frage, ob auch nicht milchgebende Kühe infiziert sind oder auch Kälber. „Bisher fehlen uns dazu die Informationen wie zum Beispiel Antikörpernachweise. Die infizierten Tiere verenden nicht, aber sie können erkranken und geben wohl weniger Milch. Jedes Euterviertel ist ein eigener ,Bioreaktor‘. Wenn diese Viertel belastet sind, ist das erst einmal für die Kuh belastend, und das Virus gelangt dadurch dann auch in die Milch. Bei der Pasteurisierung wird das Virus durch die Erhitzung abgetötet. Das haben die vorläufigen Untersuchungen in den USA gezeigt, weshalb herkömmliche Supermarktmilch in den USA als unbedenklich erachtet wird. Aber selbst die genetischen Virusbestandteile sollten möglichst nicht in der Milch zu finden sein. Rohmilch ohne Pasteurisierung ist aber in jedem Fall zu vermeiden. Sie ist durch den hohen Fett- und Zuckeranteil ein viruskonservierendes Medium.“

Ursprünglicher Virusstamm

Beer räumt ein, dass er eine lange Liste an offenen Fragen habe: „Jüngst sind neue Virussequenzen freigegeben worden, aber weitgehend ohne Metadaten. Es sieht auf den ersten Blick nach einem zusammenhängenden Geschehen aus. Es gibt keinen dokumentierten Fall einer Adaptation eines solchen Virus auf Rinder, so dass jetzt eine völlig neue Situation betrachtet werden muss. Wir wissen im Moment aber noch nicht genau, welche Rolle der in den Rindern gefundene H5N1-Virusstamm dabei spielt. Ein Vorläufer dieses Stammes ist 2021 durch Wildvögel von Europa nach Amerika eingetragen worden und hat sich in den USA mit Genombestandteilen von Influenzaviren bei Wildvögeln gemischt. Er ist damit gewissermaßen zu einer Hälfte europäisch und zur anderen amerikanisch. Diese USA-Mischung des H5N1 gibt es hierzulande derzeit nicht. Wir bereiten aber gerade Versuche mit unseren europäischen Stämmen vor.“

Situation in Deutschland

Auch zur aktuellen Situation in Deutschland äußerte sich der Vizepräsident des FLI und kann erst einmal beruhigen: „Die Aufmerksamkeit des Friedrich-Loeffler-Instituts und der Forschenden gegenüber dieser Situation ist sehr hoch. Die Behörden wissen, dass bei etwaigen unerklärlichen Krankheitsbildern in Kuhbeständen, die mit Milchrückgang einhergehen, auch an H5N1 gedacht werden muss und unter Umständen entsprechend getestet wird. Zudem haben wir hierzulande ein deutliches besseres Kontrollsystem. In Deutschland haben wir eigentlich das gläserne Rind. Jedes Tier ist eindeutig markiert und jede Tierbewegung ist über eine Datenbank nachvollziehbar. Das ist in den USA nicht so.“

Auch Beer überrascht es sehr, dass Kühe nun infiziert sind. „Wir haben 2006 ein verwandtes Virus aus einer infizierten Katze isoliert. Es war ein teiladaptiertes Virus. Dieses haben wir dann in Kälber gegeben und nur ganz wenig Replikation gesehen; die meisten Kälber haben aber Antikörper gebildet. Damals war die Schlussfolgerung, dass Rinder wohl kaum gefährdet sind. Bisher gab es auch keine Hinweise auf eine Übertragung des HPAIV-H5N1 auf Rinder, nun haben wir aber die überraschenden Fälle in den USA. Es beunruhigt mich auch deshalb, weil wir mit dem Rind einen ganz neuen Viruswirt haben. Und das will man eigentlich überhaupt nicht. Ein an Rinder angepasstes Influenza-A-Virus müssen wir auf jeden Fall verhindern. Deshalb ist es sehr unerfreulich, dass wir aufgrund fehlender epidemiologischer Daten immer noch zum Beispiel über die Übertragungswege spekulieren müssen. Das Virus wird versuchen, sich weiterzuentwickeln, deshalb ist es wichtig, dass rasch Maßnahmen wie Transportbeschränkungen getroffen werden.“

Zoonosepotenzial – bisher eher als niedrig einzuschätzen

„Bisher gibt es in Texas zum Glück nur einen dokumentierten Fall einer Übertragung auf den Menschen. Aber in den USA gibt es viele illegale Arbeiter, vor allem auf Rinderfarmen. Es wird sehr schwer sein, herauszufinden, wer tatsächlich Kontakt mit welchen Tieren hatte. Diese Vogelgrippestämme der Klade 2.3.4.4b haben grundsätzlich zunächst einmal ein niedriges zoonotisches Potenzial. Es ist ja maximal an den Vogel angepasst. Für eine Übertragung auf den Menschen muss das Virus einige Hürden überwinden, weil wir zum Beispiel eine wirksame angeborene Immunität gegen solche Influenzaviren besitzen. Die H5-Viren tun sich zum Glück bisher schwer damit, diese Hürden zu überwinden. Doch jeder neuer Säugetierwirt kann das Virus dem Menschen ein Stück näherbringen.“ Wir können nur hoffen, sagt der Tierarzt, dass das Virus in der Kuh auf das Euter beschränkt bleibt, denn dieser Replikationsort sei zwar erstaunlich, aber die davon abhängige Übertragung sei unter Umständen leichter zu unterbinden. Eine respiratorische Übertragung – so der Experte – wäre dagegen sehr problematisch.

Die Tierwelt ist nahezu rund um den Globus betroffen

„Unabhängig von der Gefahr für den Menschen ist durch die Vogelgrippe die globale Tierwelt zunehmend betroffen. Tiere wie Nerze oder marine Säuger wie Seelöwen sind sehr empfänglich gegenüber Influenza-A-Viren. Die Tiere erkranken oft schwer und ein Großteil verendet auch,“ sagt Beer. „In der Antarktis finden wir das Virus mittlerweile auf den Inseln als auch auf dem Festland. Dort wird es bald ja sehr kalt, wodurch es zu Vogelbewegungen mit möglichen Virusverschleppungen kommt. Hier müssen wir dann sehr aufmerksam auf Australien mit seiner einzigartigen Tierwelt schauen, den letzten Kontinent ohne HPAIV-H5N1-Virusbefall.“