Volkskrankheit Migräne: Dem Tsunami im Gehirn auf der Spur3. Januar 2022 Auren, verbunden mit Sehstörungen, können der Migräne vorausgehen und bis zu 30 Minuten andauern. Illustration: © Kateryna_Kon – stock.adobe.com Ein Mausmodell hilft, den Auslösemechanismus von Migräne-Auren zu entschlüsseln. Rund jeder Zehnte in Deutschland ist nach Angaben des Hertie-Institutes für klinische Hirnforschung in Tübingen (HIH) von Migräne betroffen. Ein Drittel der Erkrankten leidet zusätzlich unter vorübergehenden neurologischen Symptomen. Bei ihnen geht zum Beispiel ein Flimmern vor den Augen dem Kopfschmerz voraus: die Migräne-Aura. Im Gehirn beobachtet man während der Auren ein typisches Aktivitätsmuster: Nachdem eine starke Erregungswelle wie ein Tsunami über die Hirnrinde gezogen ist, folgt eine große Stille. Ein Forschungsteam aus Tübingen und München unter Federführung von Prof. Tobias Freilinger ist nun im Tiermodell einem der zugrundeliegenden Mechanismen auf die Spur gekommen. Bei sogenannten Migräne-Mäusen, die die Erkrankung beim Menschen nachbilden, ist eine bestimmte Art von Nervenzellen überaktiv, berichtet das Team in seiner aktuellen Publikation im „Journal of Clinical Investigation“. Die Studie ist von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert worden. Neuronale Entsprechung der Migräne-Auren untersucht „Wir können in diesen Tieren die neuronale Entsprechung der Migräne-Auren untersuchen: eine heftige Aktivitätswelle gefolgt von einer Ruhephase“, sagt Neurologe und Co-Studienleiter Prof. Tobias Freilinger vom HIH. Diese Migräne-Mäuse haben, wie Patientinnen und Patienten mit einer bestimmten erblichen Form der Migräne, einen Gendefekt. Der Fehler im Erbgut führt dazu, dass bestimmte Membranporen – Natriumkanäle – stärker durchlässig werden. Die Forschenden beobachteten nun bei den Mäusen, dass Nervenzellen dadurch übermäßig aktiv wurden. „Allerdings nicht alle Neurone, sondern nur die, welche die Aktivität sogenannter Pyramidenzellen hemmen“, berichtet Freilinger. „Eine Überraschung für uns: Bislang hatte man überwiegend Pyramidenzellen unter Verdacht, Auslöser der Migräne-Auren zu sein“, sagt Neurowissenschaftler und Co-Studienleiter Prof. Nikolaus Plesnila vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) des LMU-Klinikums München. Blockade der übermäßigen Natriumkanalaktivität Die krankhafte Hirnaktivität bei den Mäusen besserte sich, als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Substanz verabreichten, die die übermäßige Natriumkanalaktivität blockiert. „Damit haben wir einen Ansatzpunkt für die medikamentöse Behandlung von Patientinnen und Patienten – zumindest bei dieser bestimmten Form der Migräne“, schlussfolgert die Tübinger Wissenschaftlerin und Co-Erstautorin Dr. Ulrike Hedrich-Klimosch. Migräne kann viele Auslöser haben. Oftmals spielen erbliche Faktoren eine Rolle. Die untersuchte Unterform ist weltweit sehr selten. Auren können bei verschiedenen Migräneformen vorkommen und betreffen fast ein Drittel aller Patientinnen und Patienten. Sie gehen dem Kopfschmerz voraus und dauern typischerweise zwischen 15 und 30 Minuten an. Meist handelt es sich um Sehstörungen, wie etwa ein Flimmern vor den Augen, das langsam durch das Sehfeld wandert. Auren können sich aber auch als andere vorübergehende neurologische Symptome zeigen. „Unsere Erkenntnisse tragen dazu bei, den generellen Auslösemechanismus von Migräne-Auren zu entschlüsseln“, erklärt Dr. Eva Auffenberg, eine der Erstautorinnen der Studie. Translationale Kollaboration Die Studie ist aus einer translationalen Kollaboration zwischen den Professoren Tobias Freilinger und Holger Lerche am HIH und an der Universität Tübingen sowie Martin Dichgans und Nikolaus Plesnila am ISD, LMU-Klinikum München, entstanden. Beteiligt war außerdem die Arbeitsgruppe von Prof. Michael Pusch (Biophysics Institute, National Research Council, Genua, Italien). Gleichberechtige Erstautorinnen der Studie sind Dr. Eva Auffenberg (ISD, LMU-Klinikum München und HIH, Universität Tübingen), Dr. Ulrike Hedrich-Klimosch (HIH u. Universität Tübingen), Dr. Raffaela Barbieri (Biophysics Institute, National Research Council, Genua, Italien) und Daniela Miely (HIH u. Universität Tübingen).
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