Vollständige Ambulantisierung würde für Niedergelassene weniger als einen zusätzlichen Fall pro Tag bedeuten

Anzahl der in Deutschland ambulantisierbaren Behandlungsfälle bisher stationär erbrachter Leistungen des Katalogs „Ambulante Operationen und stationsersetzende Eingriffe“ (AOP-Katalog) je operierendem Vertragsarzt pro Jahr. Grafik: Zi

Niedergelassene könnten pro Jahr bis zu drei Millionen stationär versorgte Behandlungsfälle problemlos ambulant übernehmen, konstatiert das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) in seiner aktuellen „Grafik des Monats“. Selbst bei stark frequentierten Fachgruppen wäre das weniger als ein Behandlungsfall zusätzlich pro Tag, rechnet das Institut vor.

In Deutschland ist die Bettenkapazität in der stationären Versorgung überdurchschnittlich hoch. Gleichzeitig liegt auch die Anzahl der akutstationären Krankenhausbehandlungen zum Teil deutlich höher als in anderen Industrieländern. Während vergleichbare europäische Länder (Frankreich, Italien, Spanien, Niederlande und Schweden) 2022 im Schnitt drei Krankenhausbetten und 109 stationäre Behandlungsfälle pro 1000 Einwohner verzeichneten, lag Deutschland mit acht akutstationären Krankenhausbetten und 212 Behandlungsfällen deutlich darüber. Vor allem wegen des sich immer weiter verschärfenden Fachkräftemangels sowie der ausufernden Kosten für Klinikbehandlungen wird auch politisch immer nachdrücklicher gefordert, bisher stationär erbrachte Leistungen kostendämpfend in die ambulante Versorgung zu verlagern. Zwar wird auf Fachebene kontrovers diskutiert, wie hoch das Ambulantisierungspotenzial von stationären Behandlungsfällen tatsächlich ist, dennoch hat der Gesetzgeber klare Zielvorgaben formuliert.

Vor diesem Hintergrund hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) eine aktuelle Datenauswertung veröffentlicht, die zeigt, dass das wissenschaftlich prognostizierte Ambulantisierungspotenzial von jährlich bis zu drei Millionen stationären Behandlungsfällen rechnerisch ohne weiteres von den niedergelassenen Ärzten übernommen werden könnte.

Je nach Fachgruppe kämen auf die Vertragsärzte eine jeweils unterschiedliche Anzahl an zusätzlichen Fällen aus bisher stationär erbrachten Leistungen zu. Das Ergebnis der Datenanalyse zeigt, dass die höchste Anzahl bei den Internisten zu erwarten ist. Diese Fachgruppe käme rechnerisch auf 204 zusätzliche ambulantisierbare Behandlungsfälle pro Arzt und Jahr. Das ist weniger als ein zusätzlicher Fall pro Tag. Danach folgt die Fachgruppe der Urologie. 2021 gab es in hier insgesamt 734.000 stationäre Fälle. Von diesen sind laut Berechnungen der Technischen Universität Berlin 311.000 (42,4 Prozent) Behandlungsfälle potenziell ambulantisierbar. Bezieht man diese 311.000 Fälle auf alle vertragsärztlich operativ tätigen Urologen, würden bei voller Übernahme dieser Fälle pro Jahr jeweils rund 106 zusätzliche Fälle entfallen. Damit würden sich die Fallzahlen der operativ tätigen vertragsärztlichen Urologen um 2,3 Prozent bzw. die Anzahl operativer Fälle dort um 40 Prozent erhöhen.

Zi fordert „Ambulantisierungsturbo“

„Selbst wenn alle als ambulantisierbar identifizierten Klinikbehandlungen komplett von den Vertragsärztinnen und -ärzten übernommen würden, wäre dies rechnerisch für die vertragsärztliche Versorgung bei derzeit insgesamt fast 600 Millionen ambulanten Behandlungsfällen pro Jahr noch kein Problem“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. Angesichts der notwendigen Strukturänderungen in der stationären Versorgung, vor allem auch vor dem Hintergrund internationaler Vergleiche, sei ein durchgreifender „Ambulantisierungsturbo“ in Deutschland schon lange überfällig.

„Auch in Anbetracht der immer weiter explodierenden Beitragskosten für gesetzlich Versicherte sind die oftmals um ein vielfach [sic] teureren Klinikbehandlungen, die weitaus günstiger auch ambulant durchgeführt werden können, weder zeitgemäß noch den bereits heute maximal belasteten Beitragszahlenden weiter ernsthaft zu vermitteln. Klar ist aber auch, dass die Vergütung für diese Fälle in der ambulanten Versorgung angemessen und ausreichend differenziert sein muss. Denn nicht nur die Krankenhäuser müssen im Zeitalter der Ambulantisierung ihre Infrastruktur modernisieren. Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte investieren in die Zukunft der medizinischen Versorgung und müssen vor allem entsprechendes Personal vorhalten“, so der Zi-Vorstandsvorsitzende abschließend.

(Zi/ms)