Von Black Box zu Glasbox: Erklärbare KI in der Schlaganfallbehandlung

Von Black Box zu Glasbox: Erklärbare KI in der Schlaganfallbehandlung. Copyright: CISPA

Das Forschungsprojekt Liberate AI des CISPA Helmholtz Center for Information Security soll mithilfe eines KI-Modells Ärzte bei der Behandlung des ischämischen Schlaganfalls unterstützen.

Ob die mechanische Thrombektomie für Betroffene eines ischämischen Schlaganfalls die vielversprechendste Option darstellt, hängt von einer Vielzahl individueller Faktoren ab. Um Ärzte bei dieser zeitkritischen Entscheidung zu unterstützen, wollen die Forschenden in Liberate AI ein KI-Modell mit medizinischen Daten aus dem Deutschen Schlaganfall-Register sowie den zugehörigen MRT- und CT-Aufnahmen aus verschiedenen deutschen Krankenhäusern trainieren, heißt es in der CISPA-Pressemitteilung.

Hierfür nutzen sie Swarm Learning, eine vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Kooperation mit Hewlett Packard Enterprise entwickelte KI-Technologie. Swarm Learning ermöglicht es der KI, dezentral zu lernen: Sie reist virtuell zu allen Datenquellen im Netzwerk und sammelt dort Wissen ein, ohne dass die Daten selbst die Standorte verlassen, an denen sie gespeichert sind, heißt es weiter.

Dieses Forschungsprojekt wird unterstützt durch den Impuls- und Vernetzungsfond von Helmholtz.

Erklärbarkeit ist entscheidend

In Liberate AI werden technologische Herausforderungen adressiert, die über das eigentliche Training des KI-Modells hinausgehen. Die erste große dieser Herausforderungen betrifft die Erklärbarkeit des KI-Modells. Im Gegensatz zu Deep-Learning-Anwendungen, die meist wie eine Black Box funktionieren, muss das KI-Modell in Liberate AI seine Entscheidungsfindung für die behandelnden Ärzte transparent nachvollziehbar machen.

Prof. Jilles Vreeken vom CISPA erklärt: „Wir wollen eine Glasbox-KI entwickeln, die genauso gute Vorhersagen trifft wie eine Black-Box-KI. Denn wenn man Mediziner:in ist und die KI sagt ‚Ja‘ oder ‚Nein‘, dann ist die erste Frage, die man stellt: ‚Warum sollte ich dir vertrauen?‘. Das bedeutet, dass wir erklärbare KI einsetzen müssen – also den KI-Forschungszweig, in dem wir KI-Modelle entwickeln, bei denen wir nachvollziehen können, auf Grundlage welcher Beweise sie ihre Aussagen treffen. Das ist die Art von KI, die Expert:innen wirklich unterstützen kann, denn Mediziner:innen sind dann in der Lage zu unterscheiden, ob die Vorhersage auf zufälligen Beweisen oder auf echten Biomarkern beruht.“

Vreeken und seine Forschungsgruppe haben es sich zum Ziel gesetzt, ein transparentes KI-Modell zu entwickeln. Im Kontext von Swarm Learning bringt Erklärbarkeit jedoch besondere technologische Herausforderungen mit sich.

„Wir müssen bedenken, dass wir zwar diese Glasbox-KI entwickeln können, sie muss aber immer noch in der Lage sein, in einer Swarm-Learning-Umgebung zu lernen und genauso zuverlässige Vorhersagen zu treffen wie eine Black-Box-KI. Es ist nicht trivial, das möglich zu machen“, so der CISPA-Forscher. Im Zuge des Projekts müssen die Forschenden daher ein Gleichgewicht finden zwischen dem Transparenzgrad des KI-Modells und seiner Fähigkeit, erfolgreich am Swarm Learning teilzunehmen.

Auf der Suche nach Subpopulationen

Die zweite große Herausforderung, mit der sich die CISPA-Forschenden befassen, betrifft die Identifizierung solcher Patientengruppen, die hinsichtlich ihrer langfristigen Lebensqualität positiv oder negativ auf eine mechanische Thrombektomie reagieren. Im Idealfall wird das KI-Modell in der Lage sein, diese statistischen Subgruppen automatisch anhand bestimmter Muster zu identifizieren, die es aus den gesammelten medizinischen Daten extrahiert.

„Die Frage ist: Können wir eine Glasbox-KI entwickeln, die die Bedingungen erkennen kann, unter denen Menschen ein außergewöhnliches Überlebensverhalten zeigen? Zum Beispiel könnte das von der Größe des Blutgerinnsels, hohem oder niedrigem Blutdruck, genetischen Faktoren oder der Einnahme von Blutverdünnern abhängen. Man kann sich verschiedene Bedingungen vorstellen, die auf einige, aber nicht auf alle Patient:innen zutreffen“, erklärt Vreeken.

Diese Subgruppen, betont er, können selbst dann noch identifiziert werden, wenn sich das Training eines erklärbaren Glasbox-Modells im Swarm Learning als unmöglich herausstellen sollte. „Das Schöne an unserer Glasbox-KI ist, dass wir sie zusätzlich zu einer Black-Box-KI nutzen können. Wir können nämlich fragen: ‚Für welche Menschen trifft die Black-Box-KI besonders zuverlässige Vorhersagen?‘ Selbst wenn wir also letzten Endes eine Black-Box-KI verwenden, weil sie akkurater ist als jedes transparente Modell, das wir entwickeln können, sind wir immer noch in der Lage, die Subgruppen zu bestimmen, für die wir sie befragen sollten oder nicht.“

Transparenz im Fokus

Letztendlich möchten die CISPA-Forschenden ein transparentes KI-System entwickeln, das kausale Garantien für seine Vorhersagen geben kann. Wenn es beispielsweise vorhersagen sollte, dass Bluthochdruck die Wirksamkeit der Behandlung verringert, soll es auch die Gründe dafür nennen können. „Das ist sehr schwierig umzusetzen“, erklärt Vreeken, „denn man braucht eine randomisierte Kontrollstudie, um festzustellen, ob Bluthochdruck tatsächlich der alleinige Faktor ist oder nur ein Störfaktor – also etwas, das relevant erscheint, es aber nicht ist. Die ultimative KI, die wir entwickeln möchten, ist also eine Glasbox-KI, die sagen kann: ‚Basierend auf allen verfügbaren Schlaganfalldaten gibt es einen klaren Unterschied zwischen ansonsten vergleichbaren Patient:innen, der sich allein durch den Blutdruck erklären lässt.‘“

Über CISPA

Das CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit ist eine nationale Großforschungseinrichtung in der Helmholtz-Gemeinschaft. Es erforscht Informationssicherheit in all ihren Facetten, um die drängenden großen Herausforderungen der Cybersicherheit und der vertrauenswürdigen Künstlichen Intelligenz, mit denen unsere Gesellschaft im digitalen Zeitalter konfrontiert ist, umfassend und ganzheitlich anzugehen. Das Zentrum nimmt eine weltweite Führungsrolle im Bereich der Cybersicherheit ein, indem es exzellente und oft auch disruptive Grundlagenforschung mit innovativer angewandter Forschung, Technologietransfer und gesellschaftlichem Diskurs verbindet. Thematisch deckt es das gesamte Spektrum von der Theorie bis zur empirischen Forschung ab. International ist es als Ausbildungsstätte für die nächste Generation von Cybersicherheits-Experten sowie wissenschaftlichen Führungskräften in diesem Bereich anerkannt.