Von der Immunität zur Allergie: Wie Antibiotika das Immunsystem formen

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Kanadische Forschende konnten erstmals zeigen, wie und warum die Mikroben-Depletion im Darm eines Neugeborenen durch Antibiotika zu lebenslangen Allergien der Atemwege führen kann.

In der im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ veröffentlichten Studie hat das Team von der University of British Columbia (Kanada) eine spezifische Kaskade von Ereignissen identifiziert, die zu Allergien und Asthma führen. Nach Ansicht der Autoren eröffnen ihrer Ergebnisse neue Wege die Erforschung möglicher Präventions- und Therapieansätze.

„Unsere Forschung zeigt endlich, wie die Darmbakterien und Antibiotika das Immunsystem eines Neugeborenen so formen, dass es anfälliger für Allergien wird“, hob die Hauptautor Dr. Kelly McNagny hervor, Professor an der School of Biomedical E ngineering (SBME) und der Abteilung für medizinische Genetik.

Die Weichen für die Entwicklung unseres Immunsystems werden schon sehr früh im Leben gestellt. Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte hat gezeigt, dass das kindliche Darmmikrobiom eine Schlüsselrolle spielt. Erhalten Babys kurz nach der Geburt Antibiotika können diese auch bestimmte Bakterien abtöten, die Butyrat produzieren. Das wiederum spielt eine Schlüsselrolle in den Prozessen, die das Team um McNagny aufgeklärt hat.

Bereits in früheren Studien konnten McNagny und sein Team zeigen, dass Säuglinge mit weniger Butyrat-produzierenden Bakterien besonders anfällig für Allergien sind. Sie hatten auch gezeigt, dass dies durch die Gabe von Butyrat als Nahrungsergänzungsmittel in der frühen Kindheit gemildert oder sogar umgekehrt werden kann. Durch die Untersuchung der zugrunde liegenden Mechanismen im Mausmodell haben sie nun herausgefunden, wie dies funktioniert.

Bei Mäusen mit einem verarmten Darmmikrobiom, die kein zusätzliches Butyrat erhielten, wurden doppelt so viele angeborene lymphoide Zellen Typ 2 (ILC2) gebildet. Diese Zellen stehen im Verdacht bei Entwicklung von Allergien eine Schlüsselrolle zu spielen.

Die Forscher wiesen nach, dass die ILC2 Moleküle produzieren, die bei den weißen Blutkörperchen einen „Schalter“ umlegen, was die Produktion bestimmter Antikörper im Übermaß auslöst. Jede Zelle, jedes Molekül und jeder Antikörper, die in dieser Kaskade beschrieben werden, nehmen dramatisch zu, wenn sie nicht durch Butyrat gedämpft werden.

Butyrat muss in einem engen Zeitfenster nach der Geburt verabreicht werden ‒ einige Monate bei Menschen, einige Wochen bei Mäusen ‒, um die Vermehrung der ILC2 und was daraus folgt, zu hemmen. Wird dieses Zeitfenster verpasst, werden ILC2 gebildet. Dann folgen auch die restlichen Schritte der Kaskade und bleiben lebenslang bestehen.

Jetzt haben die Forscher die restlichen Schritte identifiziert. Das biete viele weitere potenzielle Angriffspunkte, um die Kaskade zu stoppen.

„Wir können jetzt erkennen, wann ein Patient kurz davor ist, eine lebenslange Allergie zu entwickeln, einfach durch die Zunahme der ILC2“, erklärte Ahmed Kabil, Erstautor der Studie und Doktorand in der SBME. „Und wir können möglicherweise auf diese Zelltypen ins Visier nehmen, anstatt uns auf eine Supplementierung mit Butyrat zu verlassen, die nur in den frühen Lebensjahren wirkt.“

Wie McNagny und der Co-Leiter der Studie, Dr. Michael Hughes, betonen, lindert die Behandlung von Allergien mit Antihistaminika und Inhalatoren zwar die Symptome, heilt aber nicht die Krankheit. Für dauerhafte Fortschritte, sei es notwendig auf Zellen und Mechanismen abzuzielen, die das überempfindliche Immunsystem aufbauen. Bislang habe es keine selektive Möglichkeit dazu gegeben.