Von Eisbären, Hunden und Menschen – Vetmed meets Neuro

(Symbolbild) Foto: © YK – stock.adobe.com

Interview mit Tierarzt Dr. Martin Deutschland, der in Berlin eine Neurologische Überweisungspraxis für Haustiere leitet. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der vom 6.-9. November in Berlin stattfand, hatte Martin Deutschland die seltene Gelegenheit als Tierarzt vor Humanmedizinern zu sprechen. Eine inspirierende Erfahrung, wie er sagt.

Knuts Vermächtnis: Warum der junge Eisbär im Berliner Zoo im März 2011 nicht umsonst gestorben ist, hat Martin Deutschland gemeinsam mit dem Humanmediziner Prof. Harald Prüß, der an der Charité und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) forscht, auf dem DGN-Kongress demonstriert.

In Memoriam Knut:

Der im Dezember 2006 geborene Eisbär, der ein internationales Medienecho hervorgerufen hat, ertrank 2011 nach einem epileptischen Anfall. Nach einer umfassenden Erregeruntersuchung wurde bei Knut postmortal eine Enzephalitis unbekannter Ätiologie (Meningomyeloencephalitis of unknown origin, MUO) diagnostiziert. Anhand der bei menschlichen Patienten angewandten Diagnosekriterien konnte ein Team Berliner Wissenschaftler in einer Studie zeigen, dass Knuts Enzephalitis nahezu identisch mit der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis ist, einer schweren Autoimmunerkrankung, die die häufigste nichtinfektiöse (Antikörper-)Enzephalitis beim Menschen darstellt. Dies machte Knut zum ersten nicht-menschlichen Fall dieser behandelbaren Krankheit. Die Ergebnisse der Studie, deren Erstautor Harald Prüß war, legen nahe, dass die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis eine Krankheit von großer Bedeutung für Säugetiere sein könnte.

Dr. Martin Deutschland Foto: © privat

Hallo Herr Dr. Deutschland, Sie hatten das Vergnügen als Veterinärmediziner auf dem DGN-Kongress einen kurzen Vortrag gemeinsam mit Prof. Harald Prüß von der Charité halten zu dürfen. Wie kam es dazu?

Deutschland: Wir haben in Berlin die komfortable Situation, dass wir die Charité hier haben. Ich war auf Prof. Prüß durch seine Veröffentlichung von Knut aufmerksam geworden und nahm mir schon damals vor, ihn irgendwann mal zu kontaktieren. Aber dazu später mehr! Zuvor hatte ich schon vor vielen Jahren Prof. Peter Vajkoczy kennenlernen dürfen, den Direktor der Klinik für Neurochirurgie der Charité. Er hat uns damals geholfen, ein Meningeom bei einem Hund zu operieren. Auch darf ich mir alle zwei bis drei Jahre bei ihm eine humanmedizinische OP anschauen. Superspannend! Und ich muss sagen: Ich nehme jedes Mal etwas mit. Sei es eine neue Verschlusstechnik für den Schädel oder die Handhabung der Neuronavigationssysteme, die in der Humanmedizin deutlich früher im Einsatz waren als bei uns in der Veterinärmedizin. Jedenfalls stehe ich mit den Humanneurologen der Charité immer wieder in regem kollegialem Austausch.

Würden Sie sagen, der Wissensflow resp. Benefit ist nur einseitig, also nehmen nur die Veterinärmediziner etwas mit?

Deutschland: Wenn man nicht nur auf die kurzfristige „Wissensmitnahme“ schaut, sondern langfristig auf die gegenseitigen Vorteile, dann können die Humanmediziner schon auch etwas von uns Tiermedizinern lernen. Denn wir haben das Patentienpotenzial mit den entsprechenden Erkrankungen. Dabei gibt es für mich schon rote Linien. In den USA werden z. B. Hunde mit Gendefekt gezüchtet für die Forschung und unter Aufsicht von Tierneurologen, da würde ich nicht miteinsteigen. Da ist bei mir ethisch eine Grenze. Meiner Auffassung nach ist eine Mitwirkung hier auch nicht unsere Aufgabe als praktizierende Tierärzte. Aber wenn jemand an mich herantritt und mir sagt: Schau, wir haben die und die Erkrankung, wie etwa die Lafora-Krankheit und wir brauchen Zellen von betroffenen Hunden, um neue Therapien zu entwickeln, dann bin ich dabei. Und wenn das dann ggf. mit einem Tierversuchsantrag einhergehen kann, dann sollten wir trotzdem schauen, dass wir für die Hunde eine Therapie entwickeln und ihnen damit direkt helfen können. Aber das ist natürlich nichts, was sich kurzfristig ankurbeln lässt.

Eine echte Win-Win-Situation?

Deutschland: Ja, definitiv. In der Humanmedizin gibt es z. B. unfassbar teure Therapien – aus unserem veterinärmedizinischen Blickwinkel, die speziell für einzelne Patienten vorbereitet werden müssen. Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) etwa ist dies der Fall, die der Superoxid Dismutase 1 (SOD1)-Mutation bei der Degenerativen Myelopathie (DM) bei Hunden entspricht. Die DM ist histologisch mit der ALS identisch. Beim Menschen tritt relativ selten eine familiäre Form auf, bei der das SOD1-Gen mutiert ist, bei unseren Hundepatienten stellt dies jedoch eher den Normalfall dar. Eine betroffene Rasse ist etwa der Corgi, die Lieblingsrasse der Queen. Auch Deutsche Schäferhunde sind häufig betroffen. Außerdem sind der Berner-Sennenhund, der Belgische Schäferhund, der Collie, der Siberian Husky, der Barsoi, der Weimaraner und der Rhodesian Ridgeback betroffen, sowie Deutsche Doggen, der Bull Mastiff, der Heideterrier und der Havaneser etwa. Ich hatte auch mal einen Irish Soft Coated Wheaten Terrier mit DM als Patient. Die Kollegen an der FU Berlin haben auch schon DM ohne Genmutation bei Hunden nachgewiesen, es gibt also auch Spontanformen. Die scheinen jedoch insgesamt gesehen bei Hunden eher selten zu sein. Beim Menschen kommt es zu sehr unterschiedlichen Verläufen. Einige Patienten sterben innerhalb weniger Monate, werden sehr rasch beatmungspflichtig und dann gibt es Menschen wie etwa Stephen Hawking, der 55 Jahre lang mit der Erkrankung überlebt hat. Was einen enormen Auftrieb für die Forschung bedeutet hat, war die ALS Ice Bucket Challenge, eine Online-Aktion im Sommer 2014, die auf die ALS aufmerksam machte und um Spendengelder warb. Die Aktion brachte 200 Millionen US-Dollar ein, davon zehren viele Projekte noch immer. Die Challenge bestand darin, dass, wenn einer gesunden Person ein Eimer mit Eiswasser über den Kopf geschüttet wird, dies für einige Sekunden ein Gefühl der Lähmung im Körper hervorruft – wie sie ein Erkrankter sein Leben lang ertragen muss. Jedenfalls existiert für die familiäre erbliche Form der ALS seit Kurzem eine Therapie. Das eingesetzte Medikament ist gegen Mutationen im SOD1-Gen gerichtet. Falls in der Behandlung humanmedizinischer Patienten z. B. der Fall eintritt, dass ein an ALS erkrankter Patient verhindert ist und ihm seine fast 30 000 Euro teure Infusion nicht appliziert werden kann, muss dieses wertvolle Medikament dann verworfen werden. Das sind Summen, die für uns in der Veterinärmedizin unvorstellbar sind.

Nach meinem Vortrag auf der DGN wurde ich von der Moderatorin gefragt, ob denn bei Tieren keine Antikörpertherapien, wie etwa Rituximab wie bei den Autoimmunenzephalitiden beim Menschen, im Einsatz sind. Das musste ich schlichtweg für den Einsatz in der Tierneurologie in Deutschland verneinen. Einzelne Therapieansätze beim B-Zelllymphom produzierten bei mindestens sechs Anwendungen Kosten von mindestens 5000 Euro zuzüglich der tierärztlichen Kosten für Infusion und stationärem Aufenthalt. Für Humanmediziner ist das eine preiswerte Therapie. Natürlich könnte man bei einem Hund, für den die Besitzer eine Krankenversicherung abgeschlossen haben, darüber nachdenken, ob man das der Versicherung zumuten möchte, aber das erscheint doch etwas realitätsfern. Könnten wir ein neu auf den Markt kommendes Medikament aber ggf. in einem Therapie-Trial bei erkrankten Tieren anwenden, würde dies natürlich ganz neue Möglichkeiten eröffnen in der Forschung, schon weil Tier- und Humanmediziner im direkten Austausch stünden.

Im direkten Austausch: Das erinnert mich an die Forschungskooperation von Kinderärzten vom Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, die auf Prof. Hartmann, die Leiterin der Kleintierklink der LMU zukamen, weil in der COVID-19-Pandemie Kinder mit Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) Symptome entwickelten, die sehr ähnlich aussahen wie die bei der Felinen infektiösen Peritonitis (FIP). Die Zusammenarbeit hält zu beiderseitigem Vorteil bis heute an.

Deutschland: Apropos COVID-19 resp. FIP – da habe ich immer noch einen dicken Hals, denn ich sehe es als einen Skandal an – und zwar als doppelten, dass GS-441524 nicht in der Humanmedizin zum Einsatz kam in der Pandemie resp. nicht auf den humanmedizinischen Markt gebracht wurde bis heute. Und wenn schon dies nicht erfolgt ist, warum wird es dann nicht wenigstens auf den veterinärmedizinischen Markt gebracht zur Therapie der FIP?

Ja, das ist sehr bedauerlich, da kann ich Ihnen nur zustimmen. Stichwort Lafora-Erkrankung: Dazu forschen Sie gemeinsam mit dem UKE in Hamburg?

Deutschland: Ja, wir haben bis vor Kurzem deutschlandweit nach Hunden, die an der Lafora-Krankheit leiden, gesucht. Hier hat sich wieder das hervorragende Netzwerk und schnelle Zusammenarbeit der Tierneurologen in Deutschland gezeigt: Prof. Flegel der Kleintierklinik Leipzig und Dr. Rupp von der Tierklinik Hofheim waren sofort mit dabei. Für die Untersuchung brauchten die Wissenschaftler am UKE nur Urin, der allerdings ganz frisch dorthin gelangen musste. Aus den Epithelzellen werden jetzt pluripotente Stammzellen induziert, die sich zur Erforschung des Gendefekts und der Anwendung von Gensequenzersatz eignen.

Kamen die Humanmediziner eigentlich auf Sie zu oder umgekehrt? Und was können Sie Tiermedizinern raten, die gerne zusammen mit humanmedizinischen Kollegen forschen würden?

Deutschland: Tatsächlich sind die Humanmediziner vom UKE in Eppendorf auf mich zugekommen, weil ich mal eine Veröffentlichung zur Lafora-Erkrankung bei einem Hund gemacht habe. Herrn Prof. Prüß habe ich im Zusammenhang mit dem Tod des Eisbären Knut aus dem Berliner Zoo kennengelernt, der damals ja Schlagzeilen machte. Ich fand das Paper der Pathologen rund um das Institut für Zoologie und Wildtierforschung (IZW) interessant, die meinten: Sie sehen eine perivaskuläre Lymphozytose im Gehirn, aber sie wissen nicht sicher, warum. Zu dem Zeitpunkt waren sämtliche Viren durchgetestet worden und weder Herpes- noch Influenzaviren konnten nachgewiesen werden. Das Gehirn von Knut war irgendwann das bestuntersuchteste Tierhirn, das es jemals gab. Die Veröffentlichung der Kollegen des IZWs geriet dann in die Aufmerksamkeit von Prof. Prüß, der mit seinem Verdacht dann genau richtig lag.

Einige Zeit danach wurde ein Hund mit immer wiederkehrendem Anfallsgeschehen zur Zweitmeinung an mich überwiesen. Es handelte sich um eine ungewöhnliche Art von fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörungen, einschließlich sensorischer Ataxie und postiktaler Ruhephase. Bei dem Fall war es von Vorteil, dass ein halbes Jahr zuvor ein MRT in der Kleintierklinik Leipzig angefertigt worden war. Auf den Bildern waren bilateral symmetrische Hyperintensitäten in den lentiformen Nuclei und im Globus pallidus zu sehen. Die Liquorprobe zeigte eine lymphozytäre Pleozytose mit Anfangsverdacht auf ein Lymphom. Und nun ein halbes Jahr später war der Hund noch immer am Leben, was mich wirklich erstaunte. Ich habe die Liquoruntersuchung wiederholt und erhielt genau das gleiche Ergebnis: Wieder eine mittelgradige lymphozytäre Pleozytose. Dann habe ich den Fall an Prof. Prüß herangetragen und er war sofort superbegeistert. Er hat den Liquor gegen Mäusegehirne aufgestrichen und Immunglobulin-G-Autoantikörper gegen das basische Myelinprotein (MBP) nachgewiesen (Deutschland M et al., 2024, s. unten). Die Hündin, ein sechsjähriger Podencomischling, ist erfreulicherweise immer noch am Leben. Was ein bisschen schwierig an dem Fall ist, ist, dass wir das MBP in den lentiformen Nuclei nachgewiesen haben, das ist jetzt nicht so die klassische Lokalisation für viel Myelin. Und es ist auch nicht gerade die klassische Region für Anfallsgeschehen. Das Anfallsgeschehen ist allerdings auch nicht so typisch und tritt auch nur drei- bis viermal im Jahr auf. Das Tier hat keine Medikamente erhalten. Es bleibt auf diesem Niveau. Das war damals ein wahnsinnig spannender Fall.

Was ich meinen tierärztlichen Kollegen vorschlagen würde: Sie sollten einfach mal humanmedizinische Kollegen zu Vorträgen einladen. Vereinzelt wird das auch schon gemacht. Harald Prüß ist zu unserer Fortbildung, die wir einmal im Jahr in Berlin machen, gekommen und die Tierärzte waren nach seinem Vortrag besser über Autoimmune Enzephalitiden bei Mensch und Tier informiert als die meisten Neurologen hier in Berlin. Ich habe ihn jetzt auch auf unseren Europäischen Tiereurologenkongress in Berlin 2026 eingeladen. Dann habe ich noch eine Spezialistin für Multiple Sklerose (MS) auf dem DGN-Kongress kennengelernt, die auch interessiert war.

Wie hat es Ihnen auf dem DGN-Kongress gefallen?

Deutschland: Ich hatte das große Glück, dass ich mir auf dem DGN-Kongress auch die Neurogenetik und viele weitere Vorträge anhören konnte, man lernt da einfach Vieles. Die Humanmediziner sind, wenn man auf den Richtigen trifft, wirklich gut im Besprechen von Fällen und man kann sie auch neugierig machen. Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich bei Peter Vajkoczy mit im OP stand, ungefähr 2019, da wusste keiner, wer ich bin. Ich stand da mit zehn anderen Ärzten im OP-Saal, denn Peter Vajkoczy ist weltweit einer der erfahrensten Neurochirurgen überhaupt. Und als ich gefragt wurde, in welcher Klinik ich arbeiten würde, da staunten die anwesenden Neurochirurgen nicht schlecht, dass ich nur Tierarzt bin. So ähnlich war es auch bei meinem Vortrag: Ich wurde schon ein bisschen belächelt vom Publikum, das war nicht zu übersehen, aber ich glaube, dass da trotzdem etwas hängen geblieben ist. Ich hoffe es jedenfalls. Ich bin gespannt, ob vielleicht mal ein humanmedizinischer Kollege auf mich zukommt und meint, er hätte meinen Vortrag gehört.

Wo sehen Sie Berührungspunkte und auch Unterschiede zu den humanmedizinischen Kollegen?

Deutschland: Wenn ich auf dem Kongress erzählt habe, dass ich als Tierneurologe eben nicht nur klinische Fälle behandle, sondern auch Bandscheibenvorfälle und Gehirntumore operiere, dann wurde ich angeguckt, als käme ich aus einer anderen Galaxie. Das ist für internistisch arbeitende Humanneurologen außerhalb der Vorstellungskraft. In der Humanmedizin sind die Disziplinen eben strikt getrennt. Klar kam ich mir schon so ein bisschen wie eine Jahrmarktskuriosität vor. Aber insgesamt war der DGN-Kongress eine inspirierende Erfahrung. Ich bin jetzt natürlich interessiert auch auf den Neurochirurgen-Kongress nächstes Jahr zu gehen. Es gab auch einen Vortrag im Programm, in dem die wichtigsten Veröffentlichungen der Neurologie der letzten zwölf Monate vorgestellt wurden. Der Vortragende, Prof. Diener, hat das auf eine sehr eloquente Art gemacht, es war ein Genuss, ihm zuhören zu dürfen. So einen Überblick plane ich auch für unseren Europäischen Tierneurologenkongress übernächstes Jahr.

Ich könnte mir vorstellen, dass Sie das ebenfalls sehr unterhaltsam gestalten würden. Wenn wir jetzt mal noch so ein bisschen die Ähnlichkeiten zwischen Tieren und Menschen aufgreifen, was sehen Sie noch in Ihrem Arbeitsalltag?

Deutschland: Ich sehe so ungefähr drei bis vier Fälle im Jahr von akuter idiopathischer Polyradikuloneuritis/-neuropathie, die dem Guillain-Barré-Syndrom beim Menschen entspricht. Die Erkrankung tritt bei Hunden und Katzen auf und ist durch langsam fortschreitende Demyelinisierung der motorischen Anteile der Nervenwurzeln der Spinalnerven gekennzeichnet. Das führt innerhalb von 72 Stunden bis zu zehn Tagen zu einer Parese der Beckengliedmaße und dann der Vordergliedmaßen, die zur Seitenlage des Tieres und evtl. Atemproblemen führen kann. Zusätzlich kann es bei Involvierung der sensiblen Axone zu einer ausgeprägten Hyperästhesie der distalen Anteile der Gliedmaßen kommen. Mögliche Ursachen können Reaktionen auf Waschbärbisse oder –kratzer sein, Impfreaktionen (besonders junge Katzen und Hunde), akute Infektionen wie Endometritis, Pneumonie, bakterielle Enteritis. Beim Menschen scheinen Infektionen mit Campylobacter jejuni eine besondere Rolle zu spielen. Außerdem scheint auch die protozoäre Neuritis, die durch Toxoplasma gondii oder Neospora caninum ausgelöst wird, von Bedeutung zu sein.

Da möchte ich einhaken: Die beiden parasitären Erkrankungen Neosporose und Toxoplasmose gehören auch zum Alltag in der Haustierarztpraxis …

Deutschland: Es gibt eine neue Studie zur Neosporose, die zum Ergebnis kam, dass die Prädilektionsstellen nicht immer das Kleinhirn und der Hirnstamm sein müssen, das Entzündungsgeschehen kann sich auch woanders abspielen, was ich persönlich noch nicht gesehen habe. Die meisten „meiner“ Neosporosen waren tatsächlich im Kleinhirn lokalisiert. Es handelt sich bei den erkrankten Tieren gehäuft um Jagdhunde, da die eher mal Aborte aufnehmen, die durch Neospora caninum ausgelöst wurden. (Fisher C et al., 2024, s. unten)  Zur Toxoplasmose ist zu sagen, dass beide untersuchten Serum-Antikörper (IgG und IgM) positiv sein müssen, um eine akute Infektion überhaupt erstmal als wahrscheinlich betrachten zu können. Bei Hunden wird eine klinisch manifeste Toxoplasmose serologisch nachgewiesen und zusätzlich mittels PCR (Liquor) gesichert. Nur erhöhtes IgM allein rechtfertigt definitiv keine vier- oder sechswöchige Therapie mit Clindamycin.

Wieviele MRTs resp. Liquoruntersuchungen machen Sie pro Jahr?

Deutschland: Wir führen um die 200 MRT- pro Jahr durch und ungefähr 100 Liquoruntersuchungen, die Punktion nehmen wir subokzipital und zisternal vor. In aller Regel haben wir bereits vor der Punktion einen Verdacht, was es sein könnte. Aber manchmal ist die Abgrenzung, ob es sich um eine Blutung, einen Tumor oder eine fokale Entzündung handelt, nicht leicht zu treffen. Da ist die Liquoruntersuchung dann sehr hilfreich und man ist glücklich, dass der Besitzer der Untersuchung zugestimmt hat, die nach der MRT-Untersuchung, wenn das Tier noch in Narkose ist, vorgenommen wird.

Elektrodiagnostische Untersuchungen scheinen in der Tiermedizin von eher untergeordneter Bedeutung zu sein. Wo würden Sie diese verorten?

Deutschland: Naja, ich habe schon so ein Gerät bei mir rumstehen, es hat sich in zwölf Jahren aber tatsächlich noch nicht amortisiert. Ich ziehe die Elektrodiagnostik manchmal zurate, wenn ich mich absichern will, zur Differenzierung bestimmter Erkrankungen und als Entscheidungshilfe für den nächsten diagnostischen Schritt. Ich sehe es als neurodiagnostisches Hilfsmittel an. Positiv scharfe Wellen oder Fibrillationspotentiale können uns einen wichtigen Hinweis auf die Lokalisation einer Denervation von einzelnen Muskeln geben. Wir können mit dem elektrodiagnostischen Gerät auch Höruntersuchungen machen. Mir macht es Spaß und das Gebiet hat auch in der Humanmedizin durchaus noch seinen Stellenwert.

Auf dem DGN-Kongress hatten Sie die MUO des Hundes ja so ein bisschen in Relation zur MS beim Menschen gesetzt, also Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgeführt, wobei die größte Differenz darin lag, dass es bei Hunden nicht zu einer vergleichbaren Demyelinisierung kommt, was die Frage aufwirft, warum nicht? Welche weiteren Erkrankungen schweben Ihnen vor für Ihre Zusammenarbeit mit Prof. Prüß?

Deutschland: Wir wissen schlussendlich nicht, warum Hunde und Katzen keine Multiple Sklerose bekommen. Wenn wir es wüssten, könnten wir vielleicht präventiv den vielen Patienten weg vom Äquator helfen! Grundsätzlich möchten wir die ganzen Gehirn- und Rückenmarksentzündungen, die wir als MUOs einordnen, weiter mit Harald Prüß untersuchen. Da gibt es sehr unterschiedliche Formen, wie die klassisch nekrotisierende Leukenzephalitis (NLE) der Yorkshire Terrier etwa, die wollen wir im Rahmen einer Studie zusammen abklären, d. h., dass von allen Hundepatienten, bei denen wir Tiermediziner einen entzündlichen Hintergrund vermuten, der Liquor durch Harald Prüß untersucht wird, um rauszubekommen, gegen was die Entzündung genau gerichtet ist. Und sobald wir die ursächlichen Antikörper kennen, können wir im besten Fall Gesetzmäßigkeiten in einer Gruppe von Hunden resp. einer Rasse nachweisen – bei Möpsen etwa. Wenn wir zeigen können, dass die Mops-Enzephalitis z. B. immer gegen einen bestimmten Rezeptor gerichtet ist bzw. welchen, dann können wir gezielt nach therapeutischen Optionen suchen. Idealerweise natürlich in Anlehnung an humanmedizinische Fälle. Oder auch eine CAR-T-Zell-Therapie bei Tieren anwenden, das würde mich reizen. Auf dem DGN-Kongress war „CAR-T-Zell-Therapie“ das gefühlt häufigste Wort, das mir zu Ohren kam. Im Moment befinden wir uns mit den MUOs in der Veterinärmedizin noch in der Steinzeit. Auch wenn in den USA bereits einige Untersuchungen gelaufen sind, die Fallzahlen waren jedoch sehr niedrig, nur um die 15 Hunde. Es gab nun eine Studie, in der eine kombinierte Therapie mit Cytarabin und Corticosteroiden keinen zusätzlichen Nutzen erbracht hat im Vergleich zur Corticosteroid-Monotherapie bei MUOs (Jones BS et al., 2024, s. unten). Aber das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Harald Prüß und ich, wir sind uns einig, dass wir die gemeinsame Forschung weiter ausbauen sollten und dann kommen wir bestimmt auf effektivere Therapieoptionen, auch für Tiere. Das ist jedenfalls unser Ziel.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Deutschland.

Das Interview führte Tierärztin Sigrun Grombacher.