Vorhersagen, wie sich COVID-19 entwickelt

Dr. Douglas Fraser, Forscher am Lawson Health Research Institute und der Western University’s Schulich School of Medicine & Dentistry, London, Kanada. (Foto: Lawson Health Research Institute)

Wissenschaftler des Lawson Health Research Institute und der Western University, beides London, Kanada, haben sechs potenzielle Biomarker identifiziert, um vorherzusagen, wie schwer ein Patient an COVID-19 erkranken wird.

Das Team hatte 1161 Plasmaproteine aus dem Blut von 30 Teilnehmern bestimmt: zehn intensivpflichtige COVID-19-Patienten, zehn Patienten mit anderen Infektionen, die auf der Intensivstation des LHSC behandelt wurden, sowie zehn gesunde Kontrollteilnehmer. Das Blut wurde an festgelegten Tagen der Einweisung auf die Intensivstation entnommen, in einem Labor verarbeitet und dann mit statistischen Methoden und künstlicher Intelligenz analysiert.

Dabei identifizierten die Wissenschaftler sechs Moleküle (CLM-1, IL12RB1, CD83, FAM3B, IGFR1R und OPTC), die ihrer Einschätzung nach als potenzielle Angriffspunkte für die Behandlung der Hyperinflammation bei kritisch kranken Patienten dienen könnten.

Bei COVID-19-Patienten, deren Zustand sich auf der Intensivstation noch weiter verschlechterte, waren die Spiegel der sechs Biomarker im Blut erhöht. Die Forscher postulieren, dass die Biomarker, wenn sie am ersten Tag der Einweisung eines COVID-19-Patienten auf die Intensivstation gemessen werden, dazu verwendet werden könnten, vorherzusagen, welche Patienten nach einer intensivmedizinischen Standardbehandlung überleben werden.

“Wenn ein Patient auf die Intensivstation eingeliefert wird, warten wir normalerweise ab, ob sich sein Zustand verschlechtert, bevor wir risikoreiche Eingriffe in Betracht ziehen. Um die Behandlungsergebnisse zu verbessern, brauchen wir nicht nur neue Therapien, sondern auch eine Möglichkeit, eine Prognose zu erstellen, wessen Zustand sich noch weiter verschlechtern wird”, erklärte Dr. Douglas Fraser, leitender Forscher der Lawson and Western’s Schulich School of Medicine & Dentistry und Intensivmediziner am LHSC.

Den Schweregrades der Erkrankung eines COVID-19-Patienten vorhersagen zu können, könnte den Forschern zufolge auf verschiedene Weise hilfreich sein. Es könnte Ärzten ermöglichen, wichtige Gespräche mit Familienmitgliedern zu führen und auf der Grundlage des Gesundheitszustands und der persönlichen Wünsche des Patienten Ziele für die Versorgung festzulegen. Zudem könnte das Wissen genutzt werden, um Ressourcen schneller zu mobilisieren. Wenn Ärzte wüssten, dass ein Patient ein höheres Sterberisiko hat, könnten sie trotz der damit verbundenen Risiken ein früheres Eingreifen in Erwägung ziehen. Das Team hofft auch, dass die Erkenntnisse genutzt werden können, um klinische Studien zu COVID-19 besser zu gestalten, indem die Patienten auf Grundlage ihres Risikos gruppiert werden. Dies könnte bei der Untersuchung potenzieller Behandlungsmöglichkeiten für die Krankheit zu besseren Ergebnissen führen.

“Obwohl weitere Forschung erforderlich ist, sind wir von diesen Biomarkern überzeugt und vermuten, dass diese Muster bereits vor der Aufnahme auf die Intensivstation vorhanden sein könnten, beispielsweise, wenn sich ein Patient zum ersten Mal in der Notaufnahme vorstellt”, ergänzte Fraser.

Verstehen, warum Blutgerinnsel entstehen

Eine Hauptkomplikation, die bei den meisten kritisch kranken COVID-19-Patienten auftritt, ist die Gerinnselbildung in den kleinen Blutgefäßen der Lunge, die zu einem niedrigen Sauerstoffgehalt im Körper führt.

“Der Grund für diese Thrombenbildug war bisher unklar. Die meisten Forscher vermuten, dass die Gerinnungsmechanismen in unserem Blut überlastet sind, und so haben viele Kliniker COVID-19-Patienten mit gerinnungshemmenden Therapien behandelt”, erklärte  Fraser. “Wir haben allerdings einen ganz anderen Mechanismus entdeckt.”

In den Blutproben der 30 Teilnehmer fanden die Forscher nämlich auch Hinweise darauf, dass die Innenauskleidung der kleinen Blutgefäße geschädigt wird und Entzündungen entstehen, sodass sie für Thrombozyten eine willkommene Umgebung zum Ankleben bieten.

Sie entdeckten, dass COVID-19-Patienten erhöhte Werte von drei Molekülen (Hyaluronsäure, Syndecan-1 und P-Selektin) aufwiesen. Bei den ersten beiden Molekülen handelt es sich um Produkte, die von der Glykokalyx abgebaut werden, die das Innere der Blutgefäße auskleidet. Erhöhte Werte deuten deshalb darauf hin, dass die Glykokalyx durch Abbauprodukte, die in die Blutbahn gelangen, geschädigt wird. P-Selektin wiederum trägt dazu bei, dass sowohl Blutplättchen als auch die Innenauskleidung der Blutgefäße aneinander haften.

“Die Glykokalyx verhindert, dass die Thrombozyten die Innenwand des Blutgefäßes berühren, und hilft bei der Produktion von Stickstoffmonoxid, das eine wichtige Rolle bei der Verhinderung des Anhaftens der Thrombozyten spielt”, erklärte Fraser. “Wir vermuten, dass die Immunreaktion des Körpers Enzyme produziert, die diese kleinen haarähnlichen Strukturen abscheren, wodurch die Blutgefäße sich entzünden und zu einer einladenden Umgebung für die Blutplättchen werden, um Blutgerinnsel zu bilden.“

Das Team geht davon aus, dass zwei Therapien vielversprechend für die Behandlung von Blutgerinnseln bei COVID-19-Patienten sein könnten: Thrombozytenhemmer, die das Anhaften von Thrombozyten verhindern, und Moleküle zum Schutz und zur Wiederherstellung der Innenauskleidung von Blutgefäßen.

“Indem wir diese Therapien als potenzielle Alternativen zu gerinnungshemmenden Therapien untersuchen, können wir möglicherweise die Ergebnisse der Patienten verbessern”, sagte Fraser. “Durch unsere Erkenntnisse hoffen wir, Instrumente zur Vorhersage der am schwersten erkrankten Patienten und Behandlungen sowohl für Hyperinflammation als auch für Blutgerinnsel bereitstellen zu können”.

Originalliteratur:
Fraser D et al. Novel Outcome Biomarkers Identified With Targeted Proteomic Analyses of Plasma From Critically Ill Coronavirus Disease 2019 Patients. Critical Care Explorations 2020;2(9):e0189.