Während der Schwangerschaft: Probleme bei der Emotionsregulation können frühes Warnsignal für Depression sein

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Eine Studie des Universitätsklinikums Tübingen belegt erstmals, dass Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation bereits während der Schwangerschaft auf ein erhöhtes Risiko für depressive Symptome hinweisen können.

In der Untersuchung wurde überprüft, ob Schwangere, die bereits im zweiten Trimester größere Schwierigkeiten in der Emotionsregulation zeigen, häufiger depressive Symptome im späteren Verlauf der Schwangerschaft und nach der Geburt entwickeln. Solche Schwierigkeiten können sich darin zeigen, dass passende Strategien zur Emotionsregulation weniger verfügbar sind, was dazu führen kann, dass Betroffene häufiger Stimmungsschwankungen erleben, schneller gereizt sind oder sich länger niedergeschlagen fühlen, erklären die Autoren.

Die Forschenden nutzten dafür Daten von 623 Frauen in Schweden, die zwischen Januar 2022 und April 2024 über die App Mom2B regelmäßig Fragen zu Stimmung und psychischer Gesundheit beantworteten. Die Studie wurde vom Universitätsklinikum Tübingen in Zusammenarbeit mit der schwedischen Uppsala Universität durchgeführt und im Fachjournal „Nature Mental Health“ veröffentlicht.

„Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass Frauen mit Problemen in der Emotionsregulation ein höheres Risiko für depressive Symptome bereits während der Schwangerschaft und bis etwa fünf Monate nach der Geburt haben“, berichtet Erstautorin Franziska Weinmar. „Das ermöglicht es, gefährdete Frauen frühzeitig zu identifizieren – noch bevor sich eine Depression manifestiert“, fügt sie hinzu.

App-basierte Langzeitstudie

Die Studie ist nach Angaben der Wissenschaftler eine der ersten groß angelegten, bevölkerungsbasierten Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und depressiven Symptomen während des gesamten perinatalen Zeitraums in einer Längsschnittanalyse beleuchtet. Ihr methodischer Ansatz sei innovativ, so die Forscher: Die Nutzung einer nationalen, app-basierten Plattform ermöglichte eine kontinuierliche Erhebung der psychischen Gesundheit von Schwangeren über einen langen Zeitraum hinweg. Dadurch konnten die Forschenden verschiedene Gruppen depressiver Verläufe identifizieren und miteinander vergleichen.

„Wir konnten zeigen, dass Frauen, die postnatale depressive Symptome entwickelten, bereits im zweiten Trimester höhere Werte bei Schwierigkeiten in der Emotionsregulation aufwiesen“, betont die Co-Autorin Prof. Birgit Derntl und fährt fort: „Ein kurzer Fragebogen, wie etwa der DERS-16, könnte daher künftig eine wertvolle Ergänzung in der Schwangerschaftsvorsorge darstellen.“

Hintergrund zum DERS-16

Der DERS-16 ist ein wissenschaftlich fundierter kurzer Selbstbewertungsfragebogen, mit dem die Fähigkeit zur Emotionsregulation eingeschätzt werden kann. Dieser könnte laut den Autoren ein vielversprechendes Screening-Instrument in der Schwangerschaft darstellen: leicht anzuwenden, zuverlässig und potenziell nutzbar im Rahmen der regulären Schwangerschaftsvorsorge.

In Deutschland wird zwar von den Fachgesellschaften ein Screening hinsichtlich Früherkennung postpartaler Depressionen in den frauenärztlichen Praxen empfohlen, wie etwa der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS). Dies ist derzeit jedoch kein verbindlich vorgeschriebener Bestandteil der offiziellen Leitlinien für alle Frauenärztinnen, so die Autoren. Darüber hinaus könne der DERS-16 bereits frühzeitig eingesetzt werden, um Schwierigkeiten in der Emotionsregulierung zu messen, bevor überhaupt depressive Symptome auftreten, die durch den EPDS später erhoben werden, heißt es weiter.

Neue Chancen für Früherkennung und Prävention

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Risiken für perinatale Depression frühzeitig erkannt werden können, wenn die Emotionsregulation berücksichtigt wird, so die Wissenschaftler. Dies eröffne neue Möglichkeiten für Prävention und gezielte Unterstützung werdender Mütter. „Wenn Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen schon während der Schwangerschaft erkannt werden, können wir frühzeitig handeln – etwa durch Beratungen oder Trainingsprogramme zur Emotionsregulation“, so Franziska Weinmar. „Das stärkt nicht nur die psychische Gesundheit der Mütter, sondern fördert auch das gesunde Aufwachsen der Kinder“, ergänzt Derntl.