Warum Frauen länger leben: Ein Blick in die Evolution der Lebensspanne

Ein männlicher und ein weiblicher Anubispavian (Papio anubis) im Bwindi Impenetrable Forest Nationalpark. Copyright: © Martha Robbins

Aktuelle Forschungsergebnisse des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig liefern neue Erkenntnisse zu einem seit Langem bestehenden Rätsel der Biologie: Warum altern Männer und Frauen unterschiedlich?

Weltweit leben Frauen im Durchschnitt länger als Männer, ein Muster, das sich nahezu in allen Ländern der Welt und über Jahrhunderte hinweg zeigt. Zwar hat sich der Abstand zwischen den Geschlechtern in einigen Ländern aufgrund medizinischer Fortschritte und verbesserter Lebensbedingungen verringert, doch neue Forschungsergebnisse liefern nun Hinweise darauf, warum dieser Unterschied wahrscheinlich nicht so schnell verschwinden wird: Die Ursachen sind tief in der Evolutionsgeschichte verwurzelt und bei vielen Tierarten zu beobachten.

Ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat gemeinsam mit Co-Autoren aus der ganzen Welt die bislang umfassendste Analyse der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Lebensdauer von Säugetieren und Vögeln durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.

Chromosomen im Fokus

Bei den meisten Säugetieren, darunter Pavianen oder Gorillas, überleben die Weibchen ihre männlichen Artgenossen. Dieses Muster gilt jedoch nicht universell: Bei vielen Vögeln, Insekten und Reptilien zeigt sich ein umgekehrtes Bild und die Männchen sind langlebiger.

Eine genetische Erklärung hierfür liefert die heterogamete Geschlechtshypothese, die Unterschiede in den Geschlechtschromosomen berücksichtigt. Bei Säugetieren haben Weibchen zwei X-Chromosomen, während Männchen nur ein X- und ein Y-Chromosom besitzen. Dies macht sie zum heterogametischen Geschlecht. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass zwei X-Chromosomen Weibchen vor schädlichen Mutationen schützen und ihnen somit einen Überlebensvorteil verschaffen. Bei Vögeln ist das System jedoch umgekehrt: Hier sind die Weibchen das heterogametische Geschlecht.

Anhand von Daten zu über 1176 Säugetier- und Vogelarten in Zoos weltweit stellten die Forschenden einen deutlichen Unterschied in der Lebenserwartung fest, der die heterogametische Geschlechtshypothese untermauert. Demnach leben bei den meisten Säugetieren (72 Prozent) die Weibchen länger, im Durchschnitt um zwölf Prozent. Bei den meisten Vogelarten (68 Prozent) lebten hingegen die Männchen länger, im Durchschnitt um fünf Prozent. Dennoch gab es auch erstaunliche Abweichungen und zahlreiche Ausnahmen.

„Bei einigen Arten fanden wir das Gegenteil des erwarteten Musters”, so die Hauptautorin Johanna Stärk. Sie fügt hinzu: „So sind beispielsweise bei vielen Raubvögeln die Weibchen sowohl größer als auch langlebiger als die Männchen. Geschlechtschromosomen können das Phänomen also nur teilweise erklären.”

Rolle von Konkurrenz und elterlicher Fürsorge

Neben der Genetik spielen auch Fortpflanzungsstrategien eine Rolle. Durch sexuelle Selektion entwickeln vor allem die Männchen auffällige Merkmale, wie etwa ein farbenprächtiges Gefieder, Waffen oder eine große Körpergröße, die zwar den Fortpflanzungserfolg steigern, aber die Lebensdauer verkürzen können.

Die neue Studie stützt diese Annahme: Bei polygamen Säugetieren mit starkem Wettbewerb sterben die Männchen in der Regel früher als die Weibchen. Viele Vögel hingegen sind monogam, wodurch der Konkurrenzdruck geringer ist und die Männchen oft länger leben. Insgesamt waren die Unterschiede in monogamen Arten am geringsten, während Polygamie und ausgeprägte Größenunterschiede mit einem deutlicheren Vorteil für die Weibchen einhergingen.

Auch elterliche Fürsorge spielt eine Rolle. Die Forschenden fanden Hinweise darauf, dass das Geschlecht, das stärker in die Aufzucht der Nachkommen investiert – bei Säugetieren sind es oft die Weibchen –, tendenziell länger lebt. Bei langlebigen Arten wie Primaten dürfte hier ein Selektionsvorteil wirken: die Weibchen überleben solange bis die Nachkommen selbstständig oder geschlechtsreif sind.

Geschlechtsunterschiede auch im Zoo beobachtet

Eine andere Erklärung sieht Umwelteinflüsse wie Raubtiere, Krankheiten oder raue klimatische Bedingungen als Ursache für geschlechtsspezifische Unterschiede. Um dies zu überprüfen, analysierten die Forscher Tierpopulationen in Zoos, wo diese Faktoren kaum eine Rolle spielen. Das Ergebnis: Die Unterschiede in der Lebenserwartung blieben bestehen – wenn auch weniger ausgeprägt als in Wildpopulationen. Ähnlich wie beim Menschen verringern verbesserte Lebensbedingungen und Zugang zu Ressourcen den Unterschied zwischen den Geschlechtern, beseitigen sie jedoch nicht vollständig.

Die Ergebnisse machen laut den Autoren deutlich: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Lebenserwartung sind tief in evolutionären Prozessen verwurzelt. Sie entstehen wahrscheinlich durch ein Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen und wurden durch Selektionsdrücke geprägt um Paarungspartner und das Überleben der Nachkommen zu sichern. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind also nicht nur ein Produkt der Umwelt, sondern Teil unserer evolutionären Geschichte – und werden sehr wahrscheinlich auch in Zukunft bestehen bleiben.