Waschbärspulwurm in neun europäischen Ländern nachgewiesen

Die in Europa invasiven Waschbären sind in vielen Fällen vom parasitären Waschbärspulwurm Baylisascaris procyonis (Kreis) befallen. Quelle: D. Dörge Copyright: ZOWIAC/Goethe-Universität Frankfurt

Der Waschbärspulwurm Baylisascaris procyonis kann schwere Erkrankungen beim Menschen bis hin zu tödlichen Hirnschädigungen auslösen. Einer Studie zufolge ist der Parasit bereits in neun europäischen Ländern etabliert und breitet sich kontinuierlich aus.

Ein Frankfurter Forschungsteam des Verbundprojektes ZOWIAC hat nun die erste umfassende Analyse für Europa vorgelegt. Die Studie kombiniert neue Untersuchungen von 146 Waschbären aus Deutschland mit einer umfassenden Auswertung aller verfügbaren europäischen Daten. Sie wurde im Fachjournal „Parasitology Research“ publiziert.

Eine Infektion des Menschen mit dem Waschbärspulwurm wird als Baylisascariose bezeichnet. Die bisher wenigen dokumentierten Fälle von Baylisascariose in Europa beim Menschen resultierten alle in dauerhafter Sehbehinderung.

Während die Ausbreitung des Waschbären in Europa oft diskutiert wird, bleibt sein Begleiter eher unbeachtet. Der Waschbärspulwurm B. procyonis reiste bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den ersten Waschbären aus Nordamerika ein. Seit der Freilassung bzw. dem Entkommen aus Pelztierfarmen hat sich der Waschbär unkontrolliert über weite Teile Mitteleuropas verbreitet – und mit ihm sein Parasit. Deutschland gilt heute als Hauptverbreitungsgebiet für beide Arten in Europa.

Gefährlicher Begleiter des Waschbären

„Dieser Parasit kann auch den Menschen infizieren und eine sog. Larva migrans verursachen, bei der wandernde Larven Gewebe und Organe schädigen können“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel von der Goethe-Universität Frankfurt und dem Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. Menschen infizieren sich durch das versehentliche Verschlucken infektiöser Eier. Diese kommen im Boden, in Gewässern oder auf Gegenständen vor, die mit Waschbärkot kontaminiert sind.

Ein Forschungsteam des Verbundforschungsprojektes ZOWIAC (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) hat nun untersucht, wie weit sich der Parasit in Europa bereits verbreitet hat.

Parasit mit „heimtückischem“ Lebenszyklus

Der Lebenszyklus des Parasiten ist komplex: Erwachsene Spulwürmer leben im Dünndarm des Waschbären. Die Weibchen produzieren täglich bis zu 180.000 Eier, die über den Kot in die Umwelt gelangen. An sogenannten Waschbärlatrinen – bevorzugten Kotstellen – sammeln sich die widerstandsfähigen Eier an. In der Umwelt entwickeln sie sich bei ausreichender Temperatur und Luftfeuchtigkeit innerhalb von zwei Wochen zu infektiösen Larven. Diese können mehrere Jahre überleben.

Bei der Sektion im Labor wird deutlich, wie stark der Darm eines einzelnen Waschbären von Baylisascaris procyonis befallen ist. Quelle: D. Dörge Copyright: ZOWIAC/Goethe-Universität Frankfurt

Kleinkinder besonders gefährdet

Anne Steinhoff von der Goethe-Universität Frankfurt und Erstautorin der Studie erklärt: „Gelangen die Larven in das zentrale Nervensystem, kann die Erkrankung schwerwiegende Folgen haben. Aufgrund des häufigen Hand-Mund-Kontakts erkranken vorrangig Kleinkinder.“

Die meisten bekannten Fälle treten in Nordamerika auf, dem natürlichen Verbreitungsgebiet von Waschbär und Spulwurm. Dort führte die Erkrankung in den meisten dokumentierten Fällen zu bleibenden neurologischen Schäden oder gar zum Tod.

„Darüber hinaus wird angenommen, dass viele Fälle aufgrund der unspezifischen Symptome unentdeckt bleiben oder falsch diagnostiziert werden“, ergänzt Klimpel. „In Europa wird die Diagnose beim Menschen durch das Fehlen spezifischer diagnostischer Testmöglichkeiten zusätzlich erschwert.“ Eine definitive Diagnose ist derzeit nur bei den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA und Kanada möglich.

Erste umfassende Europa-Analyse

Ziel der Studie war es, einen aktuellen Überblick über die Verbreitung des Parasiten in Europa zu erstellen und den Forschungsbedarf zu identifizieren. Dazu untersuchte das Team um Klimpel und Steinhoff Waschbären aus Deutschland mittels Sektion. Auch ergänzten die Wissenschaftler diese neuen Daten durch eine umfassende Analyse verfügbarer wissenschaftlicher Studien und Befallsdaten aus Europa.

Von den 146 untersuchten Waschbären waren 66,4 Prozent mit B. procyonis infiziert: in Hessen waren es 77,4 Prozent, in Thüringen 51,1 Prozent und in Nordrhein-Westfalen 52,9 Prozent.

Für Thüringen lieferte die Studie erstmals Prävalenzdaten. „Die Ergebnisse zeigen sowohl eine Ausweitung des Verbreitungsgebiets des Spulwurms sowie eine stabiles Infektionsvorkommen auf hohem Niveau in den deutschen Waschbärpopulationen“, führt Klimpel aus. Die Analyse ergab, dass der Spulwurm in neun europäischen Ländern bei wildlebenden Waschbären vorkommt, vorrangig in Zentraleuropa – teilweise mit extrem hohen Befallszahlen. In drei weiteren Ländern wurden Infektionen bei Waschbären oder anderen Tierarten in Gefangenschaft nachgewiesen.

Ausbreitung gekoppelt an Waschbärpopulationen

„Die Studien zeigen eine stetige Ausdehnung des Verbreitungsgebiets in Europa. Dabei ist die Verbreitung des Spulwurms an die stetige Ausbreitung des Endwirts Waschbär gekoppelt, der inzwischen europaweit vorkommt“, führt Klimpel weiter aus. „Die tatsächliche Verbreitung des Spulwurms wird wahrscheinlich aufgrund unzureichender oder fehlender Datenerhebungen erheblich unterschätzt.“

Besonders besorgniserregend: Die Urbanisierung der Waschbärpopulationen erhöht die Wahrscheinlichkeit von Kontakten zwischen Menschen und kontaminierten Bereichen. Drei dokumentierte Fälle von Baylisascariose in Europa sind bekannt – alle resultierten in dauerhafter Sehbehinderung.

„Die Ergebnisse der vorliegenden Studie machen deutlich, dass weitere Forschung zum Waschbärspulwurm in Europa dringend erforderlich ist – insbesondere vor dem Hintergrund wachsender Waschbärpopulationen und ihrer zunehmenden Anpassung an städtische Lebensräume“, schließt Klimpel.

Mehr zum Projekt Zowiac:

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