Weiches Hirnstamm-Implantat für hochauflösendes Hören

Das an der EPFL entwickelte weiche Hirnstamm-Implantat (ABI) schmiegt sich sanft an das Hirngewebe an und verbessert so Signalpräzision und Komfort für Patienten. Foto: © 2025 EPFL/Alain Herzog – CC-BY-SA 4.0

Ein Schweizer Team hat ein flexibles auditorisches Hirnstamm-Implantat (ABI) entwickelt, das sich eng an die gekrümmte Oberfläche des Hirnstamms anpasst. Die Technologie ermöglichte im Tiermodell hochauflösendes Hören.

Für Menschen, deren Cochlea-Nerv für ein Standard-Cochlea-Implantat zu geschädigt ist, ist ein auditorisches Hirnstamm-Implantat (ABI) eine vielversprechende Alternative. Allerdings sind ABIs derzeit zu starr und ermöglichen keinen guten Gewebekontakt. Infolgedessen schalten Ärzte häufig einen Großteil der Elektroden aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen wie Schwindel oder Gesichtszuckungen ab. Das führt dazu, dass die meisten ABI-Nutzer nur vage Geräusche wahrnehmen und kaum Sprache verstehen können.

Nun hat ein Team der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), Schweiz, ein weiches Dünnschicht-ABI entwickelt. Das Gerät verwendet mikrometergroße Platinelektroden, die in Silikon eingebettet sind und eine biegsame Anordnung von nur einem Bruchteil eines Millimeters Dicke bilden. Dieser neuartige Ansatz ermöglicht einen besseren Kontakt mit dem Gewebe. Dadurch wird eine nicht zielgerichtete Aktivierung der Nerven verhindert und Nebenwirkungen können verringert werden.

„Die Entwicklung eines weichen Implantats, das sich wirklich an die Umgebung des Hirnstamms anpasst, ist ein entscheidender Meilenstein für die Wiederherstellung des Hörvermögens von Patienten, die keine Cochlea-Implantate verwenden können. Unser Erfolg bei Makaken zeigt, wie vielversprechend es ist, diese Technologie in die Klinik zu übertragen und ein reichhaltigeres, präziseres Hören zu ermöglichen“, erklärt Stéphanie P. Lacour, Leiterin des Labors für weiche bioelektronische Schnittstellen (LSBI) an der EPFL.

Erprobung des „prothetischen Hörens“ mit einer komplexen Verhaltensaufgabe

Anstatt sich einfach auf chirurgische Tests zu verlassen, führten das Team um Lacour umfangreiche Verhaltensexperimente an Makaken mit normalem Gehör durch. So konnten sie messen, wie gut die Tiere elektrische Stimulationsmuster wie beim natürlichen akustischen Hören unterscheiden können.

„Die Hälfte der Herausforderung besteht darin, ein brauchbares Implantat zu entwickeln, die andere Hälfte darin, einem Tier beizubringen, uns durch sein Verhalten zu zeigen, was es tatsächlich hört“, erläutert Emilie Revol, Mitautorin und ehemalige Doktorandin an der EPFL. Sie trainierte die Tiere akribisch auf eine auditive Unterscheidungsaufgabe: Die Affen lernten, einen Hebel zu drücken und loszulassen, um anzuzeigen, ob aufeinanderfolgende Töne „gleich“ oder „verschieden“ waren.

„Wir haben dann die Stimulation durch das weiche ABI schrittweise eingeführt und sie zunächst mit normalen Tönen gemischt, damit der Affe die Lücke zwischen akustischem und prothetischem Hören überbrücken konnte“, führt Revol weiter aus. „Letztendlich wollten wir sehen, ob das Tier kleine Verschiebungen von einem Elektrodenpaar zum anderen erkennen kann, wenn nur das weiche ABI stimuliert wird. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Tier diese Impulse fast genauso verarbeitet wie echte Geräusche.“

Warum eine weiche Anordnung?

„Unsere Hauptidee war es, weiche, bioelektronische Schnittstellen zu nutzen, um die Elektroden-Gewebe-Anpassung zu verbessern“, erklärt Alix Trouillet, eine ehemalige Postdoc-Forscherin an der EPFL und Co-Erstautorin der Studie. „Wenn das Array auf natürliche Weise der gekrümmten Anatomie des Hirnstamms folgt, können wir die Stimulationsschwellen senken und mehr aktive Elektroden für hochauflösendes Hören beibehalten.“

Herkömmliche ABIs liegen auf der dorsalen Oberfläche des Cochlea-Kerns auf, der einen Radius von 3 mm und eine komplexe Form aufweist. Starre Elektroden hinterlassen Luftspalten, was zu einer übermäßigen Stromausbreitung und unerwünschten Nervenstimulation führt. Im Gegensatz dazu lässt sich das ultradünne Silikondesign des EPFL-Teams leicht um das Gewebe biegen.

Abgesehen von der Anpassungsfähigkeit bedeutet die flexible Mikrofabrikation des Soft Arrays, dass es für verschiedene Anatomien neu konfiguriert werden kann. „Die Gestaltungsfreiheit der Mikrolithografie ist enorm“, betont Trouillet. Ihr zufolge sind höhere Elektrodenzahlen oder neue Layouts vorstellbar, die die frequenzspezifische Abstimmung weiter verfeinern. „Unsere derzeitige Version enthält 11 Elektroden – künftige Iterationen könnten diese Zahl deutlich erhöhen“, ist sich die Wissenschaftlerin sicher.

Verbesserter Komfort und weniger Nebenwirkungen

Ein entscheidendes Ergebnis der Makaken-Studie war das Fehlen spürbarer Nebeneffekte. Die Forschenden berichten, dass das Tier innerhalb des getesteten Strombereichs keine Anzeichen von Unbehagen oder Muskelzuckungen im Gesicht zeigte. Beides sind häufige Beschwerden von menschlichen ABI-Nutzern. „Der Affe drückte den Hebel, um die Stimulation selbst auszulösen, immer wieder“, erklärt Revol. „Wäre die Eingabe durch die Prothese unangenehm gewesen, hätte er wahrscheinlich aufgehört“.

Der Weg zur klinischen Umsetzung

Obwohl diese Ergebnisse vielversprechend sind, sind auf dem Weg zu einem kommerziell erhältlichen weichen ABI weitere Forschungs- und Zulassungsschritte erforderlich. „Eine unmittelbare Möglichkeit besteht darin, das Gerät intraoperativ bei ABI-Operationen am Menschen zu testen“, sagt Lacour und weist darauf hin, dass die klinischen Partner des Teams in Boston regelmäßig ABI-Eingriffe bei Patienten mit schweren Cochlea-Nervenschäden durchführen. „Sie könnten unser weiches Array kurz vor dem Standardimplantat einsetzen, um zu messen, ob wir die Streunervenaktivierung wirklich reduzieren.“

Darüber hinaus muss jedes Material in einem Implantat, das für den menschlichen Gebrauch bestimmt ist, vollständig medizinisch einwandfrei sein und eine robuste, langfristige Zuverlässigkeit aufweisen. Dank der anspruchsvollen Tests, die das Gerät bereits bestanden hat, sind die Forschenden jedoch zuversichtlich: „Unser Implantat blieb im Tier mehrere Monate lang an Ort und Stelle, ohne dass eine messbare Elektrodenwanderung auftrat“, merkt Trouillet dazu an. Das sei ein entscheidender Schritt nach vorn, wenn man bedenke, dass herkömmliche ABIs im Laufe der Zeit oft „wandern“.