Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie erschienen

Vorstellung des Weißbuches durch Clemens Becker, Ulrich Liener, Dieter Wirtz und Rainer Wirth (v.l.o. im Uhrzeigersinn, Foto: Screenshot, hr)

Zusammen mit Geriatern wollen Orthopäden und Unfallchirurgen die Versorgung älterer Menschen optimieren.

Das „Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie” zeigt den Weg auf zu einer besseren medizinischen Behandlung des Bewegungsapparates bei älteren Menschen. Es definiert Strukturen und Prozesse bei der Versorgung von Altersbrüchen und erstmals auch für planbare Eingriffe – wie das Einsetzen von künstlichen Hüftgelenken, betonen die Experten der beiden an der Erstellung des Leitfadens beteiligten Fachgesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG), im Rahmen einer Online-Pressekonferenz.

„Das neue Weißbuch soll Entscheidungsträgern in Medizin und Politik Fakten an die Hand geben, um die Versorgung unserer alternden Gesellschaft sicherzustellen. Letztendlich entscheidet die soziale Gemeinschaft, wie viel Lebensqualität im Alter erreichbar und finanzierbar ist“, sagt DGOU-Vizepräsident Prof. Dieter C. Wirtz zum neu erschienen Leitfaden.

In Deutschland werden pro Jahr derzeit mehr als 400.000 Altersbrüche behandelt. Eine vergleichbar große Anzahl an Patienten wird darüber hinaus mit orthopädischen Erkrankungen im Alter von mindestens 80 Jahren oder älter als 70 Jahren mit mehreren Krankheiten stationär betreut. Die Herausforderung: eine bestmögliche gesundheitliche Betreuung bei Verletzungen, Verschleiß oder Erkrankungen des Knochen- und Bewegungsapparates, um die Lebensqualität von Senioren und Seniorinnen zu erhöhen und Folgeerkrankungen abzuwenden. Dabei müssen die körperlichen Besonderheiten älterer Menschen noch stärker Beachtung finden, fordern die Fachgesellschaften.

„Ältere Menschen sind nicht einfach nur altgewordene Erwachsene, die an einer zunehmenden Zahl von Krankheiten leiden, sondern Menschen mit sehr unterschiedlichem Stoffwechsel und einer sehr eigenen Physiologie, die durch eine besonders hohe Anfälligkeit für Infektionen, Verletzungen und Komplikationen gekennzeichnet ist“, sagt Prof. Rainer Wirth, Präsident der DGG.

„Eine altersgerechte Behandlung erfordert Kooperationsmodelle beziehungsweise sogenannte geriatrische Co-Management-Modelle. Diese wurden speziell für ältere Menschen bereits bei der Versorgung von Knochenbrüchen eingeführt, insbesondere bei der Versorgung von Patienten mit Oberschenkelhalsbrüchen“, so Prof. Clemens Becker, Mitherausgeber und DGG-Experte. Damit lasse sich laut Studienergebnissen die Sterblichkeit älterer Patienten um mehr als 20 Prozent senken.

„Grundsätzlich ist die Behandlung von Erkrankungen am Bewegungsapparat bei älteren Menschen nur durch die eng verzahnte Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen möglich. Experten aus der Orthopädie und Unfallchirurgie, Altersmediziner sowie Fachleute aus Anästhesie und Pflege- und Therapieberufen müssen den alten Menschen ganzheitlich behandeln“, ergänzt Prof. Ulrich Liener, stellvertretender Leiter der Sektion Alterstraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Das sei auf Grundlage eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von 2021 für die Unfallchirurgie bereits gesetzlich verankert, so der Experte weiter. Ziel sei es bis 2025 überall interdisziplinäre und interprofessionelle Einheiten unter der Leitung von Orthopäden und Unfallchirurgen sowie Altersmedizinern zu schaffen.

Nun müssen entsprechende Regelungen auch für planbare Eingriffe – wie den Einsatz von künstlichen Gelenken folgen, fordern die Experten. Neben der verzahnten Behandlung unterschiedlicher Fachdisziplinen gelte es, den zeitlichen Planungsvorlauf aktiv zur Vorbereitung des Patienten zu nutzen, um ihn in einen bestmöglichen körperlichen Zustand zu versetzen. So müssten beispielsweise Infektionen, unkontrollierte Herzrhythmusstörungen oder Blutzuckerentgleisungen vor der Operation festgestellt und behandelt werden. Auch der Betreuung nach einer Operation sollte noch eine größere Bedeutung beigemessen werden, um das OP-Ergebnis langfristig zu verbessern und die Komplikationsrate zu mindern, sind sich die Experten einig und geben folgende Empfehlungen: 

Zeitliche Planbarkeit beim Einsatz von künstlichen Gelenken nutzen
Vor der Operation:

  • optimierte Einstellung der Medikamente
  • optimierte frühzeitige Schmerztherapie
  • Hemmung der Blutgerinnung durch Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten
  • Steigerung der Patientensicherheit durch Stärkung der körpereigenen Blutreserven
  • Vermeidung von Flüssigkeitsverlust und weitere Maßnahmen

Behandlung während der Operation:

  • Der gealterte und weniger feste Knochenapparat erfordert geeignete Behandlung und Operationstechniken.
  • Bestehende Erkrankungen, die Medikation sowie die körperliche Verfassung des Erkrankten müssen berücksichtigt werden.

Nachbehandlung nach einer Operation: 

  • Die Nachbehandlung muss individuell für den Patienten angepasst werden. 
  • Sie sollte sowohl stationär als auch deutlich häufiger ambulant stattfinden, wo dies möglich ist. 

Die Experten weisen darauf hin, dass auf die Herausforderungen einer interdisziplinäreren Zusammenarbeit viele Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte noch nicht optimal vorbereitet sind, belastbare Strukturen seien häufig nicht vorhanden. Auch die Vor- und Nachbehandlung müsse strukturell verbessert werden, da sie derzeit noch erhebliche Defizite und Lücken aufweist. Das zu ändern, sei die Herausforderung für die nächsten Jahre, um die bestmögliche orthopädisch-unfallchirurgische Behandlung älterer Menschen sicherzustellen.