Weltweite Studie identifiziert Gene für Depressionen bei allen Ethnien

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Ein internationales Forschungsteam hat in einer weltweiten Studie neue genetische Risikofaktoren für Depressionen über alle ethnischen Gruppen hinweg identifiziert. Die nach Angaben der Forschenden bislang größte genetische Untersuchung dieser Art entdeckte rund 300 bisher unbekannte genetische Zusammenhänge mit der Erkrankung.

„Die weltweit größte und ethnisch vielfältigste genetische Studie zu Depressionen, die jemals durchgeführt wurde, hat rund 300 bisher unbekannte Zusammenhänge genetischer Variationen – kleine Unterschiede in der DNA-Sequenz, aus der ein Gen besteht – mit der Krankheit aufgedeckt. Zum ersten Mal wurden damit neue genetische Risikofaktoren für Depressionen über alle großen Weltbevölkerungen hinweg identifiziert“, heißt es in einer Pressemitteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, dessen Wissenschaftler an der Studie beteiligt waren.

100 der neu entdeckten genetischen Variationen wurden durch die Einbeziehung von Menschen afrikanischer, ostasiatischer, hispanischer und südasiatischer Abstammung identifiziert. Die internationale Studie wurde unter der Leitung der Universität Edinburgh und des King’s College London durchgeführt.

Genauere Vorhersage des Depressionsrisikos

Die bisherige Forschung zur Genetik der Depression konzentrierte sich in erster Linie auf Bevölkerungsgruppen, die ursprünglich von in Europa lebenden Menschen abstammen. Therapien, die auf der Grundlage genetischer Ansätze entwickelt werden, sind daher bei anderen Ethnien möglicherweise nicht wirksam, was derzeit bestehende gesundheitliche Ungleichheiten noch vergrößert.

Jede einzelne genetische Variante hat einen sehr geringen Einfluss auf das Gesamtrisiko, an einer Depression zu erkranken. Wenn eine Person mehrere Varianten hat, können sich diese kleinen Auswirkungen summieren und das Risiko erhöhen. Das Forschungsteam war in der Lage, das Depressionsrisiko einer Person genauer vorherzusagen, indem es die neu identifizierten Varianten berücksichtigte.

Rund 300 unbekannte genetische Zusammenhänge aufgedeckt

Das internationale Team von Wissenschaftlern untersuchte die genetischen Daten von mehr als fünf Millionen Menschen in 29 Ländern weltweit. Jede vierte Person, die in die Studie einbezogen wurde, hatte nichteuropäische Vorfahren.

Die Forscher identifizierten insgesamt 700 Variationen im genetischen Code von Personen, die mit der Entwicklung von Depressionen in Verbindung gebracht werden. Fast die Hälfte dieser Variationen, die sich auf 308 spezifische Gene beziehen, sind zuvor noch nie mit der Krankheit in Verbindung gebracht worden. Die identifizierten genetischen Varianten wurden mit Neuronen in verschiedenen Hirnregionen in Verbindung gebracht, einschließlich Regionen, die Emotionen steuern.

Neue Ansätze für die Behandlung von Depressionen möglich

Den Forschenden zufolge bieten die Ergebnisse bislang unbekannte Einblicke in die Ursachen der Depression im Gehirn und könnten neue Ansätze in der Behandlung ermöglichen. Das Forschungsteam hebt die bereits vorhandenen Medikamente Pregabalin und Modafinil hervor, die zur Behandlung chronischer Schmerzen beziehungsweise der Schlafstörung Narkolepsie eingesetzt werden und auf der Grundlage der Studienergebnisse möglicherweise auch in der Behandlung von Depressionen wirksam sein könnten. Das Team weist jedoch darauf hin, dass weitere Studien und klinische Versuche erforderlich sind, um das Potenzial der Medikamente bei Patienten mit Depressionen zu erforschen.

Depressionen in hohem Maße polygen

An dem Forschungsteam des Psychiatric Genomics Consortium waren neben dem ZI in Mannheim auch Wissenschaftler aus allen Kontinenten beteiligt, unter anderem aus Südafrika, Brasilien, Mexiko, den USA, Australien, Taiwan und China.

„Depressionen sind eine weit verbreitete Erkrankung, und wir müssen noch viel über ihre biologischen Grundlagen lernen. In unserer Studie wurden Hunderte von zusätzlichen genetischen Varianten identifiziert, die bei Depressionen eine Rolle spielen. Diese Ergebnisse zeigen, dass Depressionen in hohem Maße polygen sind, und eröffnen Wege, um diese Erkenntnisse in eine bessere Versorgung von Menschen mit Depressionen umzusetzen“, erklärte Cathryn Lewis, Co-Leiterin der Studie und Professorin am Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience am King’s College London, Großbritannien.

„Die vorliegende Studie stellt einen bedeutenden Fortschritt dar. Dennoch ist es notwendig, weiterhin genetische Varianten zu identifizieren, die mit psychiatrischen Erkrankungen in weltweiten Populationen assoziiert sind. Um die Lücke zwischen genetischen Entdeckungen und ihrer klinischen Umsetzung zu schließen, wollen wir maschinelle Lernansätze entwickeln und anwenden, um in multivariaten Ansätzen eine Vielzahl polygener Prädiktoren für die Vorhersage von psychischen Gesundheitszuständen und dem Ansprechen auf bestimmte Behandlungen zu nutzen“, ergänzte Dr. Fabian Streit, Mitarbeiter am Hector Institut für Künstliche Intelligenz in der Psychiatrie am ZI und einer der Erstautoren der Studie.