Weniger ist mehr – bei Lungenkrebs

Abbildung: © appledesign/stock.adobe.com

Ziel der modernen Krebstherapie ist das Erreichen einer optimalen Tumorkontrolle bei möglichst wenig Nebenwirkungen. Die STRIPE-Studie hat eine sehr gute Tumorkontrolle und Lebensqualität nach stereotaktischer Strahlentherapie von kleinen Lungentumoren bei älteren, inoperablen Patientinnen und Patienten ergeben.

Angesichts der hohen Tumorkontrolle könnte in dieser Situation die Strahlentherapie womöglich auch eine durchaus vertretbare und „sanftere“ Alternative zur Operation bei jüngeren Patientinnen und Patienten sein. Eine weitere Strategie zur Reduktion von Nebenwirkungen bei gleicher Wirksamkeit sei die Reduzierung des Zielvolumens durch eine 18F-FDG-PET/CT-basierte „involved field“-Bestrahlung beim fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC), schreibt die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) in einer aktuellen Mitteilung.

Bei etwa jedem vierten von Lungenkrebs Betroffenen sei der Tumor selbst in einem frühen Stadium nicht operabel, so die DEGRO. Ohne lokale Behandlung überlebe aber nur jeder dritte Patient mehr als fünf Jahre. Mit der stereotaktische Bestrahlung (SBRT), ließen sich sehr gute Heilungsraten erzielen. Die SBRT bietet laut der DEGRO vielen auch der nicht operablen Patientinnen und Patienten eine wichtige Behandlungsalternative, da sie im Gegensatz zur Operation ohne Narkose/nicht invasiv erfolgen kann.

In der von der Deutschen Krebshilfe im Rahmen des Förderungsschwerpunktprogramms „Therapiestudien bei Patienten im höheren Lebensalter beziehungsweise Patienten mit Ko-Morbiditäten und/oder Einschränkungen von Organfunktionen und/oder schlechtem Allgemeinzustand (medically non-fit)“ geförderten und jetzt abgeschlossenen STRIPE-Studie wurden in der Klinik für Strahlenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg unter der Leitung von Prof. Anca-Ligia Grosu in den Jahren 2011-2014 insgesamt 100 Patientinnen und Patienten mit kleinen Lungentumoren mit einer SBRT behandelt, für die aufgrund hohen Alters oder massiver Begleiterkrankungen die Operation in interdisziplinären Tumorkonferenzen nicht als onkologisch sinnvollste Therapie erachtet wurde oder die die Operation ablehnten.

Die Therapieergebnisse und Nebenwirkungen wurden systematisch über zwei Jahre erfasst. Es wurde eine lokale Heilungsrate von 91,8 Prozent erreicht, was mit den nach operativen Eingriffen beschriebenen Raten vergleichbar ist. Dabei ist die Behandlung selbst für Alte und sehr Kranke gut verträglich. Im Rahmen der STRIPE-Studie wurden zudem alle Betroffenen vor der Behandlung, sowie zwei und sieben Wochen nach der Bestrahlung, dann dreimonatlich bis etwa zwei Jahre nach Behandlungsabschluss mittels standardisierter Fragebögen zu ihrer Lebensqualität befragt. Dabei zeigte sich, dass die Lebensqualität nach der Behandlung insgesamt stabil bleibt, auch abgefragte Symptome nehmen aus Sicht der Betroffenen über zwei Jahre kaum relevant zu. Beleuchtet man allerdings nur die Patientinnen und Patienten, die ihre Lebensqualität vor der Behandlung als sehr schlecht einstuft hatten, so zeigte sich interessanterweise, dass gerade diese hinsichtlich ihrer Lebensqualität relevant profitierten. Im Gegensatz dazu gibt es Daten zur Lebensqualität nach der Operation kleiner Lungentumore, die eine starke und zum Teil lang anhaltende Verschlechterung der physischen Funktionen aufzeigen, vor allem Patientinnen und Patienten mit Begleiterkrankungen und schlechtem Allgemeinzustand waren hiervon betroffen.

Insgesamt bestätigt die STRIPE-Studie nach Ansicht der DEGRO die gute Effizienz und Verträglichkeit der SBRT auch für alte und sehr kranke Patientinnen und Patienten und trägt damit zu einer breit fundierten Datenbasis für diese Therapieoption bei. Die STRIPE-Studie sei die erste prospektive Studie, die zeige, dass Erkrankte mit initial schlechter Lebensqualität durch die SBRT kleiner Lungentumore bezüglich ihrer Lebensqualität profitieren.

Grosu, Direktorin der Klinik für Strahlenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg und Kongresspräsidentin der 27. Jahrestagung der DEGRO, nahm die Studiendaten auch zum Anlass, die Standardtherapie bei jüngeren, durchaus noch operablen Patientinnen und Patienten neu zu überdenken: „Die SBRT ist eine elegante Methode, die zu einer exzellenten Tumorkontrolle führt, und zwar ohne relevante Einbußen hinsichtlich der Lebensqualität. Zwar versucht man bei jungen Patienten ‚aus Tradition‘ zuerst, mit Stahl statt mit Strahl zu therapieren, aber angesichts der guten Therapieergebnisse ist das zu hinterfragen. Die Studie deutet darauf hin, dass in dieser Situation die Strahlentherapie eine durchaus vertretbare Alternative zur Operation sein könnte.“

Ergebnisse der PET-Plan-Studie

Mit dem Einsatz der Positronen-Emissions-Tomographie (FDG-PET) können das Zielvolumen der Bestrahlung reduziert und gleichzeitig „punktgenau“ effektivere Strahlendosen verabreicht werden. Eine internationale Studie unter deutscher Federführung hat gezeigt, dass dadurch bei Patienten mit inoperablem NSCLC ein besseres Therapieergebnis erreicht wird: Es kam fast zu einer Halbierung der lokalen Rückfallrate. Nach Ansicht von DEGRO-Experten setzt die von der Deutschen Krebshilfe mit rund 1,1 Mio. Euro geförderte Studie einen neuen internationalen Standard für die Bestrahlungsplanung und stellt einen Meilenstein in der Erfolgsgeschichte der Radioonkologie dar. Beim inoperablem NSCLC stellt die Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie den Therapiestandard dar. Wenn Lymphknoten befallen sind, sich aber keine Metastasen gebildet haben, ist mit dieser Kombinationstherapie auch eine Heilung möglich. Um möglichst vielen Betroffenen helfen zu können, wird weiter nach Wegen der Therapieoptimierung gesucht.

Eine internationale Studiengruppe unter der Leitung von Prof. Ursula Nestle (Freiburg und Mönchengladbach), untersuchte, ob der Einsatz der FDG-PET zur Reduktion des Zielvolumens Vorteile für die behandelten Patienten bringt. An der randomisierten Studie nahmen 24 Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz teil. Verglichen wurden zwei Patientengruppen, bei denen die Strahlentherapie entweder nach konventionellen Standards oder innovativ unter Beschränkung auf die in der FDG-PET auffälligen Areale durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der PET-Plan-Studie2 wurden in „Lancet Oncology“ publiziert und sind laut der DEGRO ein Meilenstein in der Erfolgsgeschichte der Radioonkologie: Durch die PET-unterstützte Bestrahlungsplanung konnte das Auftreten eines erneuten Tumorwachstums in der ursprünglich befallenen Region auf fast die Hälfte reduziert werden (lokale Rückfallrate von 0,39 vs. 0,2 nach 2 Jahren, HR: 0,57). Hinsichtlich der Nebenwirkungen gab es keine Unterschiede zwischen den Studienarmen. Die häufigsten akuten Nebenwirkungen – Speiseröhrenentzündungen und Schluckstörungen – traten in höherer Intensität (Grad 3) in beiden Studiengruppen bei nur 16 Prozent der Behandelten auf.

Eine aktuelle Reevaluation der Studienergebnisse wurde im Rahmen der DEGRO-Jahrestagung 2021 von PD Dr. Eleni Gkika aus Freiburg präsentiert. Sie zeigt, dass die Abweichung vorgegebener Strahlentherapie-Qualitätsparameter mit einer ungünstigen Prognose vergesellschaftet ist. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Qualitätssicherungsmaßnahmen in der Strahlentherapie.

,,Die Studie hat gezeigt, dass die bestrahlten Bereiche auf die bildgebend nachgewiesene Tumorregion beschränkt werden können, ohne dass vorsorglich weitere Regionen bestrahlt werden müssen. Daraus ergibt sich sogar die Chance auf eine bessere Wirkung der Behandlung, ohne dass mehr Nebenwirkungen riskiert werden“, erklärte Nestle. Wodurch dieser positive Effekt genau zustande kommt, ist Gegenstand weiterer Forschung. Es konnten nach bildgestützter Bestrahlungsplanung höhere Strahlendosen gegeben werden, ohne dass mehr Nebenwirkungen auftraten. Zudem wurde weniger gesundes, nicht tumorbefallenes Gewebe bestrahlt, was nicht nur für die Verträglichkeit der Behandlung, sondern möglicherweise auch für das Immunsystem günstiger ist.

DEGRO-Präsident Prof. Rainer Fietkau (Erlangen) erklärt: „Dieses ist ein zunehmend wichtiger Aspekt, da heute die Radiochemotherapie bei Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkrebs auch mit einer Immuntherapie kombiniert wird.“ Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass bei diesen Patienten mit der Kombination aus zielgerichteter Strahlentherapie und Immuntherapie der Behandlungserfolg weiter verbessert werden kann. „Um das Therapiespektrum voll ausschöpfen zu können, sind strahlentherapeutische Verfahren, die das Immunsystem möglichst wenig beeinflussen, daher zu bevorzugen.“

„Wir haben mit dieser Studie einen neuen internationalen Standard für die Bestrahlungsplanung gesetzt“, unterstreicht DEGRO-Kongresspräsidentin Grosu. Die Pressesprecherin der DEGRO, Prof.  Stephanie E. Combs (München) ergänzt: „Wir hoffen, dass in Zukunft auch bei anderen Tumoren – zusammen mit einer guten Systemtherapie – die Konzentration der Bestrahlung auf das sichtbare Tumorvolumen getestet werden kann.“