Wenn Candida nicht Candida ist – die Herausforderung der Benennung von Pilzen4. Mai 2021 Lichtmikroskopische Bilder des Hefepilzes Candida albicans (DSM 1386) Abb.: © DSMZ Pilze sind allgegenwärtig und spielen eine entscheidende Rolle in Ökosystemen. Sie zersetzen organisches Material oder recyceln Nährstoffe. Bislang sind rund 150.000 Pilzarten bekannt, Schätzungen gehen aber von bis zu 3,8 Millionen Arten aus. Welche Herausforderungen die Katalogisierung dieser Pilzvielfalt beinhaltet und welche Umsetzungsstrategien und zukünftigen Konzepte es gibt, hat ein internationales Team, in dem auch Dr. Andrey Yurkov vom Leibniz-Institut DSMZ in Braunschweig mitgewirkt hat, im renommierten „Journal Nature Microbiology“ veröffentlicht. Viele Pilze sind Krankheitserreger, wie beispielsweise der Stängelrost (Puccinia graminis f.sp. tritici), der Getreidepflanzen befällt, oder verschiedene Candida-Arten, die Candidose beim Menschen auslösen. Da Pilze meist unsichtbar in und auf einer Vielzahl von Substraten wachsen und oft nur durch ihre sporenbildenden Strukturen zu erkennen sind, ist ihre Charakterisierung stark auf indirekte Methoden angewiesen, die von moderner Mikroskopie bis hin zur DNA-Sequenzierungstechnologie reichen. Besonders die in letzter Zeit stark zunehmende Nutzung der Sequenzierung hat viele Überraschungen für Mykologen – Experten im Bereich der Pilze – gebracht. Diese zeigt die internationale Expertengruppe, angeführt von der International Commission on the Taxonomy of Fungi, in der neuen Publikation auf: Vermeintlich klar definierte Pilzgruppen, wie beispielsweise Candida-Hefen, entpuppen sich als zahlreiche verschiedene Gattungen und sogar Familien, was die Einführung neuer wissenschaftlicher Namen erforderlich macht. Andrey Yurkov, Mykologe am Leibniz-Institut DSMZ, fasst zusammen: „Die Zuverlässigkeit der Taxonomie ist für viele Wissenschaftler gleichermaßen entscheidend. Namen von Pilzen sind ein integraler Bestandteil von Qualitätsstandards, technischen Empfehlungen und gesetzlichen Vorschriften und werden verwendet, um einen potenziellen Infektionserreger oder Quarantäneorganismus zu kommunizieren. Eines der wichtigsten langfristigen Ziele des taxonomischen Systems ist es, sicherzustellen, dass die Namensgebung sowohl den wissenschaftlichen Fortschritt als auch Informationen über Eigenschaften einer Spezies adäquat widerspiegelt, sei es eine antimykotische Medikamentenresistenz oder ihre mögliche biotechnologische Anwendung.“ Dr. Andrey Yurkov Foto: © DSMZ Auf der anderen Seite enthüllt der neuartige Ansatz der Sequenzierung von Umweltproben eine große Anzahl bisher unbekannter Pilze aus Boden, Wasser, Luft und anderen Quellen, die nur durch ihre DNA-Sequenz bekannt sind und für die es keine physischen Vertreter, z.B. getrocknete Belege, mikroskopischen Präparate oder lebenden Kulturen gibt. Die Klassifizierung von Pilzen erfordert physische Exemplare, die unabhängig und wiederholt untersucht werden können. Daher reichen DNA-Sequenzen alleine nicht aus, um die vielleicht Millionen neuer Pilzarten zu charakterisieren und zu benennen, die aus diesen Umweltquellen entdeckt wurden.Hintergrund: Wie man Pilze benennt Die Regeln für die Benennung von Pilzen, die im Internationalen Code der Nomenklatur für Algen, Pilze und Pflanzen (The International Code of Nomenclature for algae, fungi, and plants) verankert sind, reichen mehr als 150 Jahre zurück. Sie werden alle vier bis sechs Jahre aktualisiert, um mit den neuen wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Doch noch nie haben sich Wissenschaft und Technik so rasch verändert wie im 21. Jahrhundert. Mykologen stehen nicht nur vor der Herausforderung die enorme Pilzvielfalt schnell und dennoch korrekt zu katalogisieren, sondern auch ein stabiles Benennungssystem bereitzustellen, das eine genaue und präzise Kommunikation zwischen taxonomischen Experten und der vielfältigen Anwendergemeinschaft ermöglicht.Das Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen verfügt über eine praktisch einzigartige Expertise auf dem Gebiet der Ökologie und Systematik von Hefen und hefeartigen Pilzen. Unter der Leitung des Mykologen Dr. Andrey Yurkov beschäftigt sich die Arbeitsgruppe Pilze und Pilzsystematik mit der Isolierung von Hefen aus Böden, Pflanzenmaterial und tierassoziierten Quellen. Außerdem ist Andrey Yurkov Mitglied der International Commission on the Taxonomy of Fungi und unterstützt dort mit seiner Expertise die Fachgruppen Heterobasidiomyzeten und Hefen. Über das Leibniz-Institut DSMZ Das Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH ist die weltweit vielfältigste Sammlung für biologische Ressourcen (Bakterien, Archaeen, Protisten, Hefen, Pilze, Bakteriophagen, Pflanzenviren, genomische bakterielle DNA sowie menschliche und tierische Zellkulturen). An der DSMZ werden Mikroorganismen sowie Zellkulturen gesammelt, erforscht und archiviert. Als Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft ist die DSMZ mit ihren umfangreichen wissenschaftlichen Services und biologischen Ressourcen seit 1969 globaler Partner für Forschung, Wissenschaft und Industrie. Die DSMZ ist als gemeinnützig anerkannt, die erste registrierte Sammlung Europas (Verordnung (EU) Nr. 511/2014) und nach Qualitätsstandard ISO 9001:2015 zertifiziert. Als Patenthinterlegungsstelle bietet sie die bundesweit einzige Möglichkeit, biologisches Material nach den Anforderungen des Budapester Vertrags zu hinterlegen. Neben dem wissenschaftlichen Service bildet die Forschung das zweite Standbein der DSMZ. Das Institut mit Sitz auf dem Science Campus Braunschweig-Süd beherbergt mehr als 75.000 Kulturen sowie Biomaterialien und hat knapp 200 Beschäftigte. Originalpublikation: Lücking, R., Aime, M.C., Robbertse, B., Miller, A.N., Aoki, T., Ariyawansa, H.A., Cardinali, G., Crous, P.W., Druzhinina, I.S., Geiser, D.M., Hawksworth, D.L., Hyde, K.D., Irinyi, L., Jeewon, R., Johnston, P.R., Kirk, P.M., Malosso, E., May, T.W., Meyer, W., Nilsson, H.R., Öpik, M., Robert, V., Stadler, M., Thines, M., Vu, D., Yurkov, A.M., Zhang, M., Schoch, C.L. (2021) Fungal taxonomy and sequence-based nomenclature. Nature Microbiology. https://www.nature.com/articles/s41564-021-00888-x
Mehr erfahren zu: "Tiergesundheit: Aktuelle EU-Umfrage zeigt Handlungsbedarf bei Aufklärung und Dialog" Tiergesundheit: Aktuelle EU-Umfrage zeigt Handlungsbedarf bei Aufklärung und Dialog Eine europaweit durchgeführte Umfrage im Auftrag von AnimalhealthEurope zeigt das große Vertrauen der Bevölkerung in tierärztliche Versorgung und Prävention – macht aber auch Informationsdefizite sichtbar, so der Bundesverband für Tiergesundheit […]
Mehr erfahren zu: "Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen" Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen Eine neue internationale Studie konnte nun die Schritte entschlüsseln, die das menschliche Becken im Laufe von Millionen von Jahren so veränderten, dass zweibeiniges Gehen möglich wurde.
Mehr erfahren zu: "Warum das Zwerg-Seepferdchen eine Stupsnase hat" Warum das Zwerg-Seepferdchen eine Stupsnase hat Eine deutsch-chinesische Forschungsgruppe hat das Genom des Zwerg-Seepferdchens sequenziert. Sie konnten dabei unter anderem Genverluste identifizieren, welche für die verkürzte Nase verantwortlich sind.