Wenn das Kleinhirn aktiv wird14. Mai 2024 Am ersten Tag lernen die Versuchspersonen die Furchtassoziation. Am zweiten Tag lernen sie, diese Assoziation wieder zu verlieren (Exinktionslernen). Während des Lernexperiments wird die Hirnaktivität im 7-Tesla-Magnetresonanztomografen gemessen. (Foto: © Roberto Schirdewahn/Rubin – Ruhr-Universität Bochum) Lange Zeit wurde ignoriert, dass das Kleinhirn auch eine wichtige Rolle bei der Regulierung unserer Emotionen spielt – etwa beim Verarbeiten von Furcht. Prof. Melanie Mark von der Ruhr-Universität Bochum und Prof. Dagmar Timmann von der Universität Duisburg-Essen liefern nun experimentelle Beweise dafür, dass das Kleinhirn zum Erlernen, aber auch zur Auslöschung konditionierter Furchtreaktionen beiträgt. Um der Rolle des Kleinhirns beim Furchtlernen auf die Spur zu kommen, führten die beiden Neurowissenschaftlerinnen Lernexperimente durch – die Neurologin mit Menschen und die Neurobiologin mit Mäusen. „In unseren Studien greifen wir auf klassische Furchtkonditionierungs-Experimente zurück und vergleichen dabei Menschen und Mäuse, die gesund sind, mit jenen mit einer Kleinhirnerkrankung, einer Ataxie“, fasst Timmann das gemeinsame Studiendesign zusammen. Kleinhirnerkrankungen verstehen Neben 20 gesunden Menschen hat die Neurologin in ihrer jüngsten Studie auch 20 Probanden ausgewählt, die unter seltenen Kleinhirnerkrankungen wie der spinozerebellären Ataxie vom Typ 6 (SCA6) leiden. „Die Bewegungsstörung SCA6 wird durch einen genetischen Defekt ähnlich wie dem bei der Chorea Huntington ausgelöst und betrifft in Deutschland nur sehr wenige Menschen“, erklärt Timmann, die seit vielen Jahren am Uniklinikum Essen eine Ataxie-Sprechstunde anbietet. „Die SCA6 geht mit einem Verlust von Purkinjezellen im Kleinhirn einher. Diese sind wichtig in der Vermittlung zwischen dem Kleinhirn und dem übrigen Gehirn. Das Kleinhirn hilft dabei beispielsweise dem Großhirn, Bewegungsabläufe zu optimieren“, erklärt die Forscherin. Studie zur Furchtkonditionierung In ihrer Studie haben Timmann und ihr Team ihre Probanden innerhalb von zwei Tagen erst Furcht erlernen und dann verlernen lassen und sie währenddessen im 7-Tesla-Magnetresonanztomografen (7-Tesla-MRT) beobachtet. Der direkte Vergleich von gesunden Versuchspersonen und Ataxie-Erkrankten hat die Annahme bestätigt, dass Menschen mit Ataxien Defizite beim Lernen und Verlernen von Furcht haben. Nicht nur der Erwerb und die Konsolidierung der erlernten Furchtreaktion dauerten länger als bei der gesunden Kontrollgruppe, sondern auch das Verlernen der Furcht war langwieriger. Die Defizite waren dabei jedoch sehr viel geringer als erwartet: „Wir waren im Vorfeld davon ausgegangen, dass unsere Ataxie-Patienten bei der Furchtkonditionierung deutlich stärker beeinträchtigt wären und dass das wiederum mit deutlich sichtbaren Veränderungen im Zerebellum einhergehen würde“, erklärt Timmann. Im 7-Tesla-MRT war das Aktivierungsmuster bei den Betroffenen mit Ataxien jedoch ebenfalls erstaunlich gut erhalten und zeigte nur geringe Abweichungen zu den gesunden Probanden. Das Mausmodell Um die Beobachtungen der Essener Klinikerin zu bestätigen, führte ihre Forschungskollegin in Bochum, Neurobiologin Melanie Mark, die Furchtkonditionierungsstudie mit gesunden und an SCA6-erkrankten Mäusen durch. Dazu benutzte Mark SCA6-Mausmodelle, die sie bereits für Vorgängerstudien entwickelt hatte. Im Experiment lernten und verlernten die gesunden und erkrankten Mäuse, einen Ton mit einem unangenehmen Elektroschock zu assoziieren. „Unsere SCA6-Mäuse konnten genauso wie die Ataxie-Erkrankten die Furchtreaktion lernen, aber sie haben das Gelernte nicht konsolidiert. Ihre Erinnerung hat nicht bis zum nächsten Tag angehalten“, erklärt Mark. Damit konnte die Forscherin zeigen, dass das Furchtgedächtnis bei den SCA6-Mäusen im Vergleich zu den gesunden Mäusen gestört war. Die Kleinhirnerkrankung hatte verhindert, dass die Mäuse das Gelernte konsolidieren und darauf aufbauend eine erlernte Vorhersage treffen konnten. Mark kommt damit zum gleichen Schluss wie Timmann: Das Zerebellum spielt beim Erlernen von Furchtreaktionen eine Rolle. Die Defizite waren aber auch beim Maus-Modell geringer als erwartet. „Bei dieser chronischen Erkrankung haben andere Gehirnregionen möglicherweise gelernt, das Defizit des Kleinhirns zu kompensieren. Das ist evolutionär gewollt. Wenn eine Region ausfällt, bricht nicht direkt der ganze neuronale Kreislauf zusammen. Das heißt nicht, dass das Kleinhirn nicht involviert wäre“, erklären Mark und Timmann. Das Team um Mark arbeitet nun auf Hochtouren daran, die Lern-Defizite in SCA6-Mäusen mit verschiedenen Methoden zu beheben.
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