Wenn das vordere Kreuzband wiederholt reißt – Evidenzbasiert verhindern oder in den Griff bekommen?

Risiko für die Ruptur des vorderen Kreuzbandes: Handballsport in jungen Jahren (Foto: Franz – stock.adobe.com)

Bis zu 30 Prozent aller unter 18-Jährigen erleiden eine Re-Ruptur des vorderen Kreuzbandes (VKB), manche sogar mehrfach. Welches die Gründe und individuellen Risikofaktoren sind und wie man dieses Problem in den Griff bekommt, wurde auf dem BVASK-Kongress thematisiert.

„Das Risiko einer VKB-Re-Ruptur ist extrem abhängig vom Alter. Je jünger, desto höher ist die Gefahr“, erklärt der Referent zu dem Thema Prof. Mirco Herbort, Kniechirurgie und Sportorthopädie an der OCM-Klinik München. Dabei spiele unter anderem ein höheres Aktivitätsniveau und risikoreiche Sportarten eine Rolle, vor allem Handball, gleich gefolgt vom Fußball. Bei Mädchen und Frauen sei das Risiko einer VKB-Ruptur generell höher als bei Jungen und Männern.

Inzwischen wisse man, so Herbort, dass individuelle Risiko-Faktoren in den Gelenken für solche wiederholten Risse verantwortlich sind. Früher habe man nur versucht, die VKB-OP selbst zu optimieren. Aber dies allein war zum Teil ein Irrweg. Seit wenigen Jahren weiß die Medizin, dass auch die Neigung des Unterschenkels einen entscheidenden Einfluss darauf haben kann, so Herbort weiter. Der Normwert des schräg nach hinten runterverlaufendem Unterschenkel liegt bei 7-8 Grad. Bei den betroffenen Patienten sind jedoch Abweichungen bis zu über 20 Grad zu beobachten. Diese Patienten haben eine Knochenanomalie, die eine Schubbewegung des Unterschenkels nach vorn verursacht. Das vordere Kreuzband muss das verhindern, auf ihm lastet dann ein Zug bis zum Fünffachen. So ziehen bei jeder Aktivität viel zu hohe Kräfte am Band – bis es reißt oder nach einer VKB OP nicht richtig einheilen kann, erklärt der Experte.

In der Veterinärmedizin habe man das Problem schon früher erkannt. Denn Hunde als Vierbeiner beispielsweise stehen angeborenerweise viel steiler im Unterschenkel. Sie bekämen kein neues Kreuzband, sondern es werde der Knochen durchtrennt, die Neigung etwas begradigt. Somit könne der Hund auch ohne Kreuzband wieder regelhaft laufen.

Herbort: „Ähnlich machen wir es jetzt auch. Bei den Patienten wird ein kleiner Keil rausgesägt, das Knie vorne etwas zugeklappt und eine Platte darauf fixiert. Dies ist vom Eingriff zum Teil weniger einschränkend als eine Kreuzband-OP. Jedes Grad, was ich verändere, macht als Nebeneffekt die Streckung des Kniegelenkes besser. Bei der Kreuzband-OP dagegen entsteht oft ein Streck-Defizit, was wiederum ein Arthrose-Risiko mit sich bringt und somit zusätzlich behandelt werden kann.“

Angelehnt an den Begriff „Slope“ (Neigung des Unterschenkels), wird dieses Verfahren als „Slope-Korrektur-Osteotomie“ bezeichnet. Sie kann bei Patienten von 16 bis 18 Jahren (Wachstumsabschluss) an bis hin zu über 50-Jährigen angewandt werden. Bereits nach vier bis sechs Wochen ist alles angeheilt – und der Patient darf ohne Krücken belasten. Nach zehn bis zwölf Wochen kann meist sogar aufbauend wieder mit dem Sport begonnen werden.