Alzheimer mit Immunsystem bekämpfen? Wie CLIC1 Mikrogliazellen steuert

Neuronales Netzwerk mit Amyloid-beta-Plaques, überwacht von Mikroglia, deren Funktion durch CLIC1 gesteuert wird. (BIld: © stock.adobe.com/Artur)

Die Bedeutung des Immunsystems rückt bei Alzheimer zunehmend in den Fokus. In einer neuen Studie hat das Team von Prof. Christian Madry vom Institut für Neurophysiologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin das Protein CLIC1 als zentralen Schalter in Mikrogliazellen identifiziert. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.

Mikrogliazellen sind mit unzähligen hochbeweglichen Fortsätzen ausgestattet, mit denen sie das Hirngewebe rund um die Uhr abtasten. „Man kann sich Mikroglia wie einen Tintenfisch vorstellen, der mit seinen Tentakeln ständig seine Umgebung überprüft“, erklärt Madry. „Diese Beweglichkeit ist im Gehirn einzigartig, aber bisher wussten wir nicht genau, wie sie funktioniert.“

Doppelt wichtig: Das Schlüsselprotein CLIC1

Madry und sein Team konnten in ihrer Studie zeigen, dass das Protein CLIC1 (Chloride Intracellular Channel 1) in den Mikrogliazellen bei zwei Mechanismen eine entscheidende Rolle spielt. Zum einen steuert CLIC1 die Beweglichkeit der Mikroglia-Fortsätze und damit die Effizienz der Wächterfunktion. Im Falle einer sich anbahnenden Alzheimer-Erkrankung bedeutet dies, dass die Immunzellen im frühen Krankheitsstadium optimal dafür gerüstet sind, lösliches Amyloid-beta zu beseitigen, bevor schädliche Plaques entstehen. „Ohne CLIC1 verlieren die Zellen ihre typische Verästelung und ihre Fähigkeit, das Gewebe zu überwachen. Dadurch können sie schädliche Veränderungen, etwa alzheimertypische Amyloid-beta-Ablagerungen, weniger effektiv erkennen und beseitigen“, erklärt Madry.

Zum anderen kontrolliert CLIC1 die Freisetzung entzündungsfördernder Botenstoffe. Bei normalen Immunreaktionen ist diese Entzündung hilfreich, denn sie schützt das Gehirn vor weiteren Schäden. Bei Alzheimer jedoch läuft die Reaktion zunehmend aus dem Ruder: Mikroglia werden überaktiv, setzen immer mehr entzündliche Stoffe frei und tragen so selbst zum Fortschreiten der Erkrankung bei.

„Die Mikroglia verlieren ihre Balance. Statt zu schützen, beginnen sie, Nervenzellen zu schädigen“, erklärt Madry. „Wir konnten zeigen, dass CLIC1 den Entzündungs-Komplex NLRP3 in Mikroglia steuert. Dieser ist bei Alzheimer und anderen entzündlichen Erkrankungen des Nervengewebes überaktiviert und maßgeblich für diese Fehlsteuerung verantwortlich. Wenn man CLIC1 blockiert, kann man die übermäßige Entzündungsreaktion stoppen.“

Neue Therapieansätze: CLIC1 gezielt beeinflussen

Für die klinische Bewertung relevant war außerdem die Übertragung der an Tiermodellen gewonnenen Erkenntnisse auf Mikroglia des Menschen. Dafür wurden Stammzellen sowie menschliches Hirngewebe verwendet, das im Rahmen unvermeidlicher Operationen und unter Erfüllung strenger ethischer Auflagen für Forschungszwecke freigegeben wurde. Die so gewonnenen Ergebnisse eröffnen den Forschenden zufolge zwei potenzielle Therapieoptionen für unterschiedliche Krankheitsphasen:

Frühe Phase: Mikroglia stärken. In frühen Stadien der Erkrankung könnte die CLIC1-gesteuerte Beweglichkeit der Mikroglia gezielt unterstützt werden, um die natürliche „Wächterfunktion“ der Zellen zu fördern. Dadurch ließen sich giftige Amyloid-beta-Spezies frühzeitig erkennen und abbauen, bevor sie größeren Schaden anrichten.

Späte Phase: Entzündung bremsen. Wenn die Krankheit fortschreitet und die Mikroglia überaktiv werden, könnte eine gezielte Blockade von CLIC1 helfen, schädliche Entzündungsprozesse zu dämpfen. So ließen sich Nervenentzündungen bremsen und das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung verlangsamen.

Immunzellen als potenzieller Schlüssel zur Therapie

Laut Madry hat das Protein darüber hinaus einen entscheidenden Vorteil für eine mögliche therapeutische Nutzbarmachung. „CLIC1 kommt im menschlichen Gehirn fast ausschließlich in Mikroglia vor. Das eröffnet die Möglichkeit, Behandlungen zu entwickeln, die nur gezielt in diesen Zellen wirken. So könnten Nebenwirkungen minimiert werden.“

„De facto gibt es keine neurologische Erkrankung, an der Mikroglia nicht beteiligt sind“, betont Madry weiter. „Ihre Fähigkeit, Entzündungen zu initiieren und zu regulieren, macht sie zu einer der wichtigsten Stellschrauben im Krankheitsverlauf. Wenn wir sie verstehen und gezielt beeinflussen, können wir den Verlauf von Alzheimer entscheidend verändern.“

Das Forschungsteam entwickelt derzeit ein Alzheimer-Mausmodell ohne CLIC1, um die Rolle des Proteins in den verschiedenen Krankheitsphasen genau zu untersuchen. Gleichzeitig überprüft es die Ergebnisse an menschlichem Hirngewebe, um die Erkenntnisse auf den Menschen zu übertragen.