Neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft: Wie behält der Einzelne den Überblick?18. September 2025 Annemarie Uhlig. Foto: Universität Göttingen Heutzutage ist es für eine Einzelperson nahezu unmöglich, den Überblick über neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft zu behalten. Im folgenden Beitrag legen die Autoren mögliche Lösungsstrategien dar. Ein rapider Zuwachs an verfügbaren medizinischen Publikationen lässt sich seit Jahrzehnten beobachten und wird sich auch in den nächsten Jahren nicht abschwächen (1). Damit gehen neue Herausforderungen für die moderne Medizin einher: Um medizinisches Fachwissen auf dem aktuellen Stand zu halten, ist mittlerweile das Auffinden, Bewerten und Einordnen neuer Publikationen zu einer großen Aufgabe für Mediziner, aber auch für Fachgesellschaften und Leitlinienkommissionen geworden. Neue Methoden der Biostatistik, die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) und eine zunehmende Vernetzung von Studienzentren bringen immer kompliziertere und größere Studien hervor. Mit Sorge muss die steigende Zahl an sogenannten predatory journals und KI-generierten Publikationen betrachtet werden. Zusammen mit der Schnelllebigkeit wissenschaftlicher Trends erschweren sie die Einschätzung der Glaubwürdigkeit einzelner Publikationen (2). Metaanalysen und Living Guidelines Einen Lösungsansatz bieten Metaanalysen, welche die verfügbare Evidenz bündeln und quantitativ wie qualitativ bewerten. Unsere Leitlinien wiederum bedienen sich dieser Erkenntnisse als höchster Evidenzstufe, wodurch letztlich die klinische Praxis beeinflusst wird (3). Jedoch ist die Erstellung von Metaanalysen, insbesondere der Cochrane-Reviews, zeitaufwändig und bedarf personeller und mitunter finanzieller Ressourcen. Gerade im Bereich der Uroonkologie sind bis zur Publikation der Metaanalyse möglicherweise schon wieder neue Studien erschienen, welche die Arbeit veralten lassen. Als potenzielle Abhilfe haben sich sogenannte rapid reviews etabliert, welche den Erstellungsprozess verkürzen. Im Bereich der Leitlinien werden living guidelines propagiert: Hierbei werden Leitlinien mindestens jährlich aktualisiert – was leider ebenfalls mit erheblichem Ressourcenaufwand verbunden ist. Individuelle Strategien Auch für Einzelpersonen bestehen Lösungsansätze, sich die Informationsflut nutzbar zu machen. Die klassische Literaturrecherche, zum Beispiel über die Plattformen PubMed, Scopus oder Web of Science verfügen über Sortierfunktionen nach Publikationsdatum. Die Seiten bieten hilfreiche Suchabonnements für die Schlagwortsuche an. Neu publizierte Artikel sind in der Regel nach ca. 3 Wochen bei PubMed hinterlegt, was eine akzeptable Aktualität der Plattform gewährleistet. Ebenfalls nützlich und vor allem aktueller sind RSS-Feeds: Hiermit können Benachrichtigungen für neue Beiträge von Websites abonniert werden. Fachzeitschriften wie „European Urology“ oder „Journal of Urology“ bieten RSS-Feeds an. User werden über neue Beiträge benachrichtigt und erhalten Zusammenfassungen der einzelnen Publikationen. Content-aggregation tools, wie beispielsweise die Software feedly, können abonnierte RSS-Feeds bündeln und sind auch als App verfügbar. Feedly ermöglicht über eine KI über die Zeit eine individuelle Personalisierung der angezeigten Inhalte und priorisiert relevante Themen. Auch andere Anbieter wie PubCrawler, Google Alerts, Mendeley Suggest, ReadCube oder Semantic Scholar ermöglichen eine Bündelung und Strukturierung von Inhalten. Die großen urologischen Journals sind auch auf der Plattform X verfügbar. Nachdem sich im Januar 2025 jedoch viele deutsche Hochschulen von der Plattform zurückgezogen haben, etablieren sich zunehmend Alternativen wie Bluesky oder Mastodon (4). Auf letzterer Plattform wurden bis dato jedoch keine Accounts relevanter urologischer Journals registriert. Neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft finden sich auch über die Zeitschriftenaccounts bei Instagram. Dennoch besteht wie bei X durch den üblichen „Beifang“ an Werbung, Filterblasen und manipulativen Trends die Gefahr, den Überblick wieder zu verlieren. Betrug und Paywalls Um KI-generierte wissenschaftliche Publikationen zu entlarven, haben sich bereits einige Werkzeuge etabliert. Zerogpt steht als kostenloser GPT- und KI-Inhaltsdetektor zur Verfügung. Die Qualität der Auswertungen ist allerdings unzureichend untersucht und ebenfalls einem ständigen Wandel unterworfen, da sich sowohl die KI-Textgeneratoren als auch die Detektoren ständig verbessern. Letztlich bleibt aber anzunehmen, dass die KI-Textgeneratoren den Detektoren stets ein Stück voraus sind. Paywalls stellen keine betrügerische Form der Publikation dar, verhindern oder verkomplizieren aber den Zugang zu Volltexten massiv. Selbst über Hochschulzugänge können oft nicht alle Artikel eingesehen werden. Die Beschaffung von Volltexten wird so schnell zeitaufwendig oder teuer. Daher sei hier für Open Science plädiert. Zusammenfassung Zusammengefasst ist es aufgrund der sich ständig ändernden medinisch-wissenschaftlichen Landschaft ausgesprochen schwierig, den Überblick über neue Erkenntnisse zu behalten. Metanalysen und Leitlinien, sofern denn aktuell, unterstützen als evidenzbasierte Quellen; vor allem, indem sie eine Auswahl relevanter Publikationen treffen und diese bewerten und einordnen. RSS-feeds und content-aggregation-tools können im Alltag das Auffinden besonders aktueller Arbeiten erleichtern und Informationen strukturiert bündeln. Autoren: apl. Prof. Dr. med. Annemarie UhligUniversitätsmedizin Göttingen, Klinik für Urologie[email protected] apl. Prof. Dr. med. Johannes UhligUniversitätsmedizin Göttingen, Institut für Klinische und Interventionelle Radiologie[email protected] Prof. Annemarie Uhlig referierte zu diesem Thema am 18.09.2025 im Forum F12, „Evidenzbasierte Medizin 2.0 – Was bringt es dem Patienten“, beim 77. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Hamburg
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