Wie die Evolution unsere Herzen prägte1. Oktober 2024 Symbolbild: ©adrenalinapura/stock.adobe.com Wie genau sich die Herzen von Menschen und nichtmenschlichen Primaten genetisch unterscheiden, hat ein Team deutscher Forscher gezeigt. Ihre Studie liefert neue Erkenntnisse über evolutionäre Anpassung und Herzkrankheiten. Das Erbgut von Menschen und Schimpansen gleicht sich zu 98 bis 99 Prozent. Warum unterscheiden wir uns dann? Vor allem die Genexpression ist zum großen Teil für unsere unterschiedliche Entwicklung im Laufe der Evolution verantwortlich, hat die Forschung in den vergangenen Jahren gezeigt. Wie überraschend verschieden die Genexpression in den Herzen von Menschen und anderen Primaten ist, hat jetzt die Arbeitsgruppe Genetik und Genomik von Herz-Kreislauferkrankungen von Prof. Norbert Hübner und der Technologieplattform Pluripotente Stammzellen unter Dr. Sebastian Diecke am Max Delbrück Center aufgeklärt. Die Studie in „Nature Cardiovascular Research“ gibt Hinweise zu den Anpassungsmechanismen, über die Gene reguliert werden, die unser Herz von dem unserer evolutionär engsten Verwandten unterscheiden. Sie zeigt auch, dass Forschungsergebnisse, die am Tierherzen gewonnen wurden, nicht ohne weiteres auf menschliche Herzen übertragen werden können. „Uns hat besonders überrascht, wie sehr sich die Genregulation im menschlichen Herzen von der anderer Primaten unterscheidet“, sagt Erstautor Dr. Jorge Ruiz-Orera. Anatomisch sind sich die Herzen der meisten Säugetiere zwar ähnlich. „Aber wir haben viele einzigartige evolutionäre Neuerungen in Bezug auf die Genregulation oder die Übersetzung in Proteine durchlaufen“, fügt er hinzu. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten Hunderte von Genen und Mikroproteinen, deren Funktion jedoch größtenteils ein Rätsel war. Diese Mikroproteine sind im menschlichen Herzen vorhanden, fehlen jedoch in den Herzen anderer Primaten, Ratten oder Mäuse. „Viele dieser menschlichen Gene und Mikroproteine sind auch bei der Herzinsuffizienz ungewöhnlich exprimiert. Das deutet darauf hin, dass sie eine wichtige Rolle für die Herzfunktion und bei Herzerkrankungen spielen und mögliche Angriffspunkte für Therapien darstellen“, erläutert Ruiz-Orera. Gentranskription- und translation im Vergleich Das Team analysierte Herzgewebe von Schimpansen und Makaken, das aus der niederländischen Biobank von Dr. Ivanela Kondova im Biomedical Primate Research Centre in Rijswijk stammte. Zusätzlich untersuchten sie eingelagertes Herzgewebe von Menschen, Ratten und Mäusen, das sie bereits in früheren Forschungsarbeiten genutzt hatten. Mithilfe der RNA-Sequenzierung kartierten und quantifizierten die Forschenden zunächst die RNA-Moleküle des Herzgewebes. Das ermöglichte einen umfassenden Überblick über die Genexpression bei verschiedenen Primatenarten. Um speziell die RNA-Regionen zu identifizieren, die in Proteine übersetzt werden, nutzten sie Ribo-seq. Diese Technik des Ribosomen-Profilings sequenziert jene RNA-Fragmente, die in jeder Zelle aktiv übersetzt wurden. Dies gab Aufschluss darüber, welche Gene funktionelle Proteine produzieren. Durch die Integration von Daten aus diesen Technologien schuf das Team die bisher umfassendste Ressource zur Gen- und Proteinaktivität in Herzen von Menschen und nichtmenschlichen Primaten. Darüber hinaus nutzte das Team Kardiomyozyten-Zellkulturen, die sie aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC-CM) gewannen, und beobachtete, wie Gene in verschiedenen Entwicklungsstadien während der Herzentwicklung beim Menschen und anderen Primaten abgelesen werden. Dabei entdeckten sie, dass spezifische Mikroproteine – die von kleinen DNA-Schnipseln, den Open Reading Frames (ORFs), kodiert werden – in menschlichen Herzzellen in verschiedenen Entwicklungsstadien auf einzigartige Weise gebildet oder übersetzt werden. Das deute darauf hin, dass sich einige dieser genetischen Elemente entwickelt haben, um den Anforderungen des menschlichen Herzens gerecht zu werden, erklärt Ruiz-Orera. ORFs weisen nicht die klassischen Merkmale von proteinkodierenden Genen auf und werden daher nicht als Gene klassifiziert. „Der Energiebedarf unserer Herzen unterscheidet sich von dem kleinerer Primaten wie Makaken, die viel schnellere Herzfrequenzen haben“, erklärt der Wissenschaftler. „Dieser Unterschied spiegelt sich anscheinend auch in der Regulierung von Genen wider, die mit der Energieproduktion im Herzen zusammenhängen. Diese evolutionären Anpassungen können auch mit unserem aufrechten Gang, unserem Lebensstil und unserer Ernährung zusammenhängen.“ Das Team identifizierte insgesamt mehr als 1000 artspezifische Anpassungen im Genom, darunter 551 Gene und 504 Mikroprotein-kodierende Regionen, die nur im menschlichen Herzen nachweisbar sind. Darunter waren 76 Gene, die sowohl bei Menschen als auch bei anderen Primaten und Säugetieren auftreten, sich aber nur bei der menschlichen Spezies so entwickelt haben, dass sie im Herzen exprimiert sind. Bedeutung für Herzkrankheiten und Tierversuche Die Forschenden zeigten, dass einige der Gene und Mikroproteine, die spezifisch für den Menschen sind, bei Erkrankungen wie der dilatativen Kardiomyopathie, fehlreguliert sind. Sie spielen also möglicherweise eine Rolle bei der Entwicklung von Herzkrankheiten und könnten als Angriffspunkte für neue Behandlungsmöglichkeiten dienen. Die Studie wirft auch wichtige Fragen zur Verwendung von Tieren wie Mäusen auf, um die Genetik menschlicher Herzkrankheiten zu erforschen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Unterschiede zwischen den Arten mitunter zu irreführenden Ergebnissen führen können“, sagt Ruiz-Orera. „Es gibt viele Gene, die im menschlichen Herzen aktiv sind, aber nicht in den Herzen anderer Arten.“ Beim Menschen ist das Gen SGLT1 beispielsweise im Herzen aktiv. Bei nichtmenschlichen Primaten, Ratten und Mäusen ist dies jedoch nur in den Nieren der Fall. Hemmer von SGLT1 und SGLT2 können erwiesenermaßen Herzinsuffizienz lindern, auch wenn deren genaue Rolle im Herzen noch immer ein Rätsel ist, sagt Ruiz-Orera. Da es jedoch nicht in den Herzen anderer Arten aktiv ist, kann die Wissenschaft wenig lernen, wenn solche Therapien an Tiermodellen getestet werden. „Es ist wichtig, den evolutionären Kontext in der medizinischen Forschung zu berücksichtigen“, fügt er hinzu.
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