Wie DNA-Ringe Krebs bei Kindern verursachen17. Dezember 2019 Erbinformation einer Neuroblastomzelle mit DNA-Ringen. Foto: © Henssen/Charité Bei der Krebsentstehung sammeln sich über die Zeit Fehler im Erbgut an. Krebs gilt daher als Erkrankung des Alters. Warum aber gibt es dann Tumoren bei Kindern? Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin und des Memorial Sloan Kettering Cancer Center hat jetzt gezeigt, wie kleine DNA-Ringe – extrachromosomale zirkuläre DNA – zur Entstehung von Krebs bei Kindern beitragen können. Die Arbeit beschreibt erstmals das Ausmaß und die Vielfalt der noch immer weitgehend unbekannten zirkulären DNA. Fast eine halbe Million Menschen erkrankt in Deutschland pro Jahr an Krebs. Etwa 2100 von ihnen sind Kinder unter 18 Jahren. Dass der Großteil der Betroffenen im Schnitt erst mit knapp 70 Jahren erkrankt, liegt an der Art und Weise, wie Krebs in den meisten Fällen entsteht: Verschiedene äußere Faktoren, zum Beispiel Tabakrauch oder Strahlung, können das Erbmaterial der Zellen schädigen. Sammeln sich solche Fehler im Erbgut über viele Jahre an, kommt es manchmal dazu, dass die betroffenen Zellen die Kontrolle über ihr Wachstum verlieren – ein Tumor entsteht. Kinder jedoch sind gar nicht alt genug für diese Art der Krebsentwicklung. Was also ist dann der Grund für Neuroblastome und andere Krebserkrankungen im Kindesalter? Eine Forschungsgruppe um Dr. Anton Henssen von der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité und vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC), ist der Beantwortung dieser Frage nun einen großen Schritt nähergekommen. Zusammen mit dem Team um Dr. Richard Koche vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center und weiteren internationalen Partnern haben die Wissenschaftler in der jetzt veröffentlichten Studie nachgewiesen, dass kleine DNA-Ringe das Erbgut so durcheinanderbringen können, dass Krebs entstehen kann. Die Existenz dieser DNA-Ringe ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Weil sie zusätzlich zur normalen Erbinformation vorliegen, die die Zellen in Form von Chromosomen speichern, bezeichnet man sie als extrachromosomale zirkuläre DNA. Doch noch immer wissen Wissenschaftler sehr wenig über ihre Funktion – weil bisher die Methoden fehlten, sie genau zu untersuchen. Die Forschungsgruppe hat jetzt neueste Sequenziertechniken mit komplexen bioinformatischen Algorithmen kombiniert. So gelang ihr erstmals eine detaillierte Kartierung der zirkulären DNA in Neuroblastomen. Die Ergebnisse lassen wichtige Rückschlüsse auf die Entstehung dieser Tumoren zu. Für die Untersuchungen analysierte das Forschungsteam in einer Kooperation mit dem Barcelona Supercomputing Center die Neuroblastom-Gewebeproben von 93 Kindern. Dabei wurde klar: Zirkuläre DNA findet sich in den Tumorzellen deutlich häufiger und in größerer Komplexität als bisher angenommen. Die Wissenschaftler wiesen je Probe im Schnitt 5000 Kopien kleiner DNA-Ringe nach. Zusätzlich konnten sie aus den Sequenzdaten ableiten, wie genau sich bestimmte Abschnitte der Erbinformation aus einem Chromosom herauslösen und eine Ringform einnehmen – um sich anschließend wieder an anderer Stelle des Chromosoms zu reintegrieren. „Ein solcher Vorgang kann zu Krebs führen, wenn dabei die ursprüngliche Abfolge der Erbinformation durcheinander gebracht wird“, erklärt Dr. Henssen, Leiter einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe und wissenschaftliches Mitglied des Deutschen Krebskonsortiums (DKTK) am Standort Berlin. Der Berlin Institute of Health (BIH) Clinician Scientist betont: „Diese detaillierten Abläufe waren so bisher nicht bekannt und liefern einen Hinweis darauf, auf welche Weise eine so junge Zelle wie die eines Kindes entarten kann.“ „Wir konnten zusätzlich zeigen, dass bestimmte DNA-Ringe das Wachstum eines Neuroblastoms beschleunigen“, ergänzt Koche. „Ihr Nachweis könnte in Zukunft also die Abschätzung des Krankheitsverlaufs erleichtern. Jüngste Studien deuten außerdem an, dass zirkuläre DNA auch bei anderen Krebsarten eine Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund könnten unsere Erkenntnisse wichtige Implikationen nicht nur für Tumoren im Kindesalter, sondern für ein breites Spektrum an Krebserkrankungen haben.“ Die Forschungsgruppe plant, die diagnostische Aussagekraft der DNA-Ringe beim Neuroblastom in einer Folgestudie zu validieren. „Außerdem möchten wir den Ursprung der zirkulären DNA näher untersuchen, um besser zu verstehen, warum Tumoren bei Kindern entstehen“, sagt Henssen. Publikation: Koche RP et al., Extrachromosomal circular DNA drives oncogenic genome remodelling. Nat Genet 2019. dx.doi.org/10.1038/s41588-019-0547-z
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