Wie ein „Super-Organismus“: Ameisen signalisieren tödliche Infektion10. Dezember 2025 Der Kokon tödlich infizierter Puppen wird entfernt. Ameisenpuppen, die ihren nahen Tod aufgrund unheilbarer Infektion an die Arbeiterinnen signalisieren, werden von diesen aus dem Kokon ausgepackt und anschließend desinfiziert. Quelle: Christopher D. Pull Copyright: © ISTA Eine Ameisenkolonie ist ein „Super-Organismus“. Wie Zellen im Körper kooperieren die Einzeltiere, um die Kolonie gesund zu halten. Dabei erlaubt ein Frühwarnsystem die rasche Erkennung und Beseitigung von Krankheitserregern aus der Kolonie. Forschende am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) zeigen nun, dass unheilbar kranke Ameisenbrut – ähnlich infizierter Körperzellen – ein Geruchssignal aussendet, das über ihren baldigen Tod und die damit einhergehende Ansteckungsgefahr informiert. Dieses ausgeklügelte Frühwarnsystem erlaubt schnelles und zuverlässiges Erkennen und Entfernen von Krankheitserregern aus der Kolonie. Die Studie ist in „Nature Communications“ erschienen. Zeitnahe Desinfektion schützt vor Ausbreitung der Krankheit Oftmals versuchen in Gruppen lebende Tierarten ihre Krankheitssymptome zu verheimlichen, um nicht aus dem Sozialleben ausgeschlossen zu werden. Ameisenbrut macht genau das Gegenteil: Kranke Ameisenpuppen senden der Kolonie ein Alarmsignal, das zeigt, dass sie eine unheilbare Infektion besitzen und bald zum Ansteckungsrisiko für die Kolonie werden.Die Arbeiterinnen der Kolonie reagieren sofort auf dieses Warnsignal. Sie packen die tödlich erkrankten Puppen aus und beißen kleine Öffnungen in deren Haut. Danach tragen sie ihr antimikrobielles Gift auf – ihr eigens produziertes Desinfektionsmittel, die Ameisensäure. Durch diese Behandlung werden die sich im Inneren der Puppe vermehrenden Krankheitserreger sofort abgetötet. Aber auch die Puppe selbst übersteht den Desinfektionsprozess nicht.„Was zunächst wie Selbstaufopferung wirkt, bringt auch dem Tier, das das Signal sendet, indirekt einen Vorteil, da es seine Verwandten schützt. Durch ihr Warnsignal sichert eine an einer tödlichen Infektion erkrankte Ameise die Gesundheit der Gesamtkolonie und die Produktion neuer Tochterkolonien. Diese tragen ebenfalls die Gene der sich aufopfernden, kranken Ameisen in die nächste Generation weiter“, erklärt Erstautorin der Studie, Erika Dawson, über ihr abgeschlossenes Postdoc-Projekt in der „Social Immunity“-Forschungsgruppe von Prof. Sylvia Cremer am ISTA.Gemeinsam mit dem chemischen Ökologen Thomas Schmitt von der Universität Würzburg beschreibt das Forschungsteam hiermit erstmals dieses altruistische Krankheits-Signalsystem bei sozialen Insekten. Würde eine todkranke Ameise jedoch ihre Symptome verstecken, unerkannt in der Kolonie umkommen und schließlich hochinfektiös werden, würde nicht nur sie selbst sterben, sondern auch ein Großteil der Kolonie. Gäbe es dieses Frühwarnsystem also nicht, könnte die Kolonie Krankheiten erst viel später erkennen und bekämpfen. Altruismus im Superorganismus Auf der Kolonieebene sind Ameisen wie ein gemeinsamer Organismus aufgebaut, ein sogenannter „Superorganismus“. Es gibt eine oder mehrere Königinnen, die für den Nachwuchs sorgen, und die nicht fruchtbaren Arbeiterinnen, die sich um die Erhaltung und Gesundheit der Kolonie kümmern. Das ist sehr ähnlich wie Zellen im menschlichen Körper, die ebenso spezialisiert sind und entweder für die Fortpflanzung (die Zellen der Keimbahn) oder für die restlichen Körperfunktionen (die somatischen Zellen) verantwortlich sind.Egal ob im Organismus oder im Superorganismus: weder Keimbahn noch Soma sind eigenständig. Sie sind gegenseitig aufeinander angewiesen und bilden nur gemeinsam den Körper bzw. die Kolonie. Kooperation ist also essentiell. Wie die Zellen im Körper arbeiten auch die einzelnen Ameisen zusammen, bis hin zur „altruistischen“ Selbstaufgabe. Das ‚Find-me and eat-me‘-Signal Warum jedoch sollte sich ein kompliziertes Frühwarnsystem entwickeln, wenn sich kranke Tiere doch einfach aus der Kolonie zurückziehen können? „Erwachsene Ameisen, die kurz vor ihrem Tod stehen, verlassen das Nest und sterben außerhalb der Kolonie. Auch Arbeiterinnen, die sich gerade mit Pilzsporen angesteckt haben, zeigen ‚social distancing‘“, so Cremer. Sie führt aber weiter aus: „Allerdings ist das nur Tieren möglich, die selbst mobil sind. Erkrankte Ameisenbrut in der Kolonie oder infizierte Zellen im Gewebeverband sind nicht sehr beweglich und haben diese Möglichkeit nicht.“Körperzellen und Ameisenbrut, wie die sich entwickelnden Puppen, sind also auf die Hilfe anderer angewiesen, um den Gesamtverband zu beschützen. Interessanterweise lösen beide das Problem auf die genau gleiche Weise: Sie senden ein chemisches Signal aus, das entweder die Immunzellen des Körpers oder die Arbeiterinnen der Kolonie anlockt, um sie als zukünftige Ansteckungsquelle zu erkennen und zu entfernen. Immunologen nennen dieses Phänomen ‚Find-me and eat-me‘-Signal.„Wichtig ist, dass ein solches Signal sowohl sensitiv wie auch spezifisch ist“, führt Sylvia Cremer weiter aus. „Das bedeutet, dass alle unheilbar erkrankten Ameisenpuppen aufgespürt werden sollten, aber keine gesunden Puppen, oder solche, die mit ihrem eigenen Immunsystem die Infektion überwinden können, ausgepackt werden.“ Wie sieht ein Signal aus, das so präzise ist? Veränderung des Körpergeruchs Thomas Schmitt, dessen Forschungsschwerpunkt auf der geruchlichen Kommunikation bei sozialen Insekten liegt, erklärt: „Arbeiterinnen behandeln einzelne Puppen ganz gezielt. Der Geruch liegt also nicht in der Nestkammer ‚in der Luft‘, sondern er ist ganz eng mit der erkrankten Puppe verknüpft. Somit war klar, dass es keine flüchtigen Duftstoffe sein können, sondern nicht-flüchtige Geruchsstoffe auf der Oberfläche der Puppe selbst.“Bei todkranken Puppen werden im Besonderen zwei Geruchskomponenten ihres natürlichen körpereigenen Duftprofils intensiviert. Um zu beweisen, dass dieser veränderte Körpergeruch alleine ausreicht, um das Hygieneverhalten der Arbeiterinnen auszulösen, gingen die Forschenden noch einen Schritt weiter. Sie haben das Signal auf gesunde Puppen übertragen und dann die Reaktion der Arbeiterinnen beobachtet.„Wir haben das Geruchssignal von erkrankten Puppen abgewaschen und auf gesunde Brut transferiert“, erklärt Cremer den Versuchsansatz. Das Ergebnis war eindeutig. Der übertragene Signalgeruch alleine reichte aus, um die destruktive Behandlung durch die Arbeiterinnen auszulösen. Daher wird klar, dass der veränderte Körpergeruch unheilbar infizierter Brut die gleiche Funktion in der Ameisenkolonie übernimmt wie das ‚Find-me and eat-me‘-Signal infizierter Zellen im Körper. Signalisieren nur im Ernstfall Laut Dawson ist es besonders faszinierend, dass Ameisen nicht jede Infektion sofort signalisieren. „Die Königinnen-Puppen konnten dank ihres starken Immunsystems die Infektion selbst eindämmen und sendeten kein Warnsignal an die Kolonie. Die Arbeiterinnen-Puppen dagegen wurden aufgrund ihres schwächeren Immunsystems von der Infektion überwältigt und signalisierten ihre unheilbare Krankheit dann an die Kolonie.“Indem die kranke Brut erst ein Warnsignal sendet, sobald sie den eigenen Kampf gegen die Infektion verloren hat, ermöglicht sie der Kolonie, ernste Gefahren zu erkennen und proaktiv darauf zu reagieren. Gleichzeitig jedoch werden Tiere, die eigenständig die Infektion überwinden können, nicht unnötig geopfert. „Genau diese Feinabstimmung zwischen der individuellen und der Kolonie-Ebene macht dieses altruistische Krankheitssignal so effizient,“ fasst Cremer zusammen. Projektförderung Die Studie wurde vom European Research Council (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizon 2020“ der Europäischen Union (Nr. 1270 771402; EPIDEMICSonCHIP) finanziert. Information zu Tierversuchen Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Verhaltensbiologie, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß strengen gesetzlichen Richtlinien gesammelt, gehalten und in Experimenten untersucht. Weitere Informationen: https://ist.ac.at/de/forschung/cremer-gruppe/ Forschungsgruppe “Soziale Immunität” am ISTA
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