Wie Stigmatisierung der Psyche schadet

Prof. Nicolas Rüsch, Professor für Public Mental Health an der Uni Ulm und am DZPG-Standort Mannheim-Heidelberg-Ulm (Quelle: © privat)

Das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) erforscht Wege, Stigma in der Gesellschaft abzubauen. Ein neues Projekt soll Betroffenen helfen, mit der Kommunikation über ihre Krankheit umzugehen.

Menschen mit psychischen Erkrankungen werden noch immer stigmatisiert – und damit ausgegrenzt und benachteiligt. Die Folgen für die Betroffenen können gravierend sein. Prof. Nicolas Rüsch, Professor für Public Mental Health an der Uni Ulm und am DZPG-Standort Mannheim-Heidelberg-Ulm und Stigmaforscher, erklärt: „Wenn Menschen neben einer psychischen Erkrankung stigmatisiert werden, entsteht oft eine Negativspirale aus Rückzug, Demoralisierung und sogar erhöhtem Suizidrisiko.“

Stigma beruhe darauf, dass eine Person nicht als Individuum beurteilt werde, sondern aufgrund der Eigenschaften, die ihrer Gruppe zugeschrieben werden, fährt Rüsch fort. „Typische Meinungen sind zum Beispiel: ‚Psychisch Kranke sind inkompetent, gefährlich oder selbst schuld‘.“

Für die Last der Stigmatisierung hat sich in der Fachwelt der Begriff der „zweiten Krankheit“ etabliert, da sie für Betroffene oft belastender ist als die Erkrankung selbst. Sie kann die Lebensqualität erheblich mindern, indem sie zu sozialer Isolation und verschlechterter Gesundheit bis hin zur Vermeidung einer wirksamen Behandlung führt. Viele Betroffene verinnerlichen die Vorurteile, was man Selbststigma nennt: „Weil ich psychisch krank bin, muss ich inkompetent sein.”

Das Problem ist riesig: „Eine weltweite Studie, an der auch Deutschland und die Schweiz teilgenommen haben, hat mehr als 1000 Menschen mit Schizophrenie und etwa 800 Menschen mit Depression befragt. Rund 80 Prozent gaben an, dass sie Stigmatisierung erlebt haben“, berichtet  Rüsch. Edmund Bornheimer, Mitglied des Trialogischen Zentrumsrates des DZPG, ergänzt: „Aufgrund der Stigmatisierung kann eine Offenlegung der Krankheit heute immer noch negative Folgen haben. So habe ich das im beruflichen Kontext mehrfach erlebt.“

Auch Angehörige sind von Diskriminierung betroffen

Die Diskriminierung trifft dabei nicht nur die Betroffenen selbst: „Auch die Angehörigen machen nach wie vor schmerzhafte stigmatisierende Erfahrungen im alltäglichen Leben. Insbesondere Nahestehende von schwer psychisch Erkrankten haben dadurch selbst ein erhöhtes Risiko, psychische Gesundheitsprobleme zu entwickeln“, erklärt Heike Petereit-Zipfel vom Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) und ebenfalls Mitglied im Trialogischen Zentrumsrat.  

Gesellschaftliche Wahrnehmung psychischer Erkrankungen verbessern

Das DZPG hat es sich nicht nur zur Aufgabe gemacht, die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, sondern auch das Stigma psychischer Erkrankungen abzubauen. Das Gruppenprogramm „In Würde zu sich stehen“ (IWS) unterstützt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universitätsmedizin Ulm am Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg beispielsweise Menschen mit psychischen Erkrankungen, eine überlegte Entscheidung darüber zu treffen, ob sie ihre Erkrankung offenlegen oder nicht. Darin liegt eine Schlüsselentscheidung im Umgang mit Stigma und Selbststigma. IWS wird von geschulten Peers, also Menschen mit eigener Krankheitserfahrung, geleitet. 

Persönlicher Kontakt bewirkt mehr als Sachwissen

Was die Forschung bereits weiß: Aufklärungskampagnen, die Information über psychische Erkrankungen vermitteln, haben sich beim Abbau von Stigma als wenig effektiv erwiesen. Rüsch verweist auf wirksamere Mittel: „Dazu zählen Programme, die direkten sozialen Kontakt von Menschen mit und ohne psychische Erkrankungen fördern und individuelle Begegnungen ermöglichen.“ Auch bei Arbeitgebern, der Polizei oder in Kliniken könnten solche Programme ein Hebel im Kampf gegen Stigmatisierung sein.

Ein Beispiel für kontaktorientierte Antistigma-Arbeit ist das Programm „BASTA“ an Schulen am DZPG-Standort München-Augsburg. Die teilnehmenden Klassen begegnen bei den Kontaktseminaren zwei Mitgliedern der Initiative: einem, der von seinem Leben mit einer psychischen Erkrankung erzählt, begleitet von einem Behandelnden, der moderiert und fachlich ergänzt. Eine wissenschaftliche Bewertung soll nun feststellen, ob ein solches Programm Vorurteile unter Schülern abbaut. Dies soll auch eine zukünftige Entwicklung des Programms für andere Bevölkerungsgruppen ermöglichen. „Kontaktbasierte Antistigma-Arbeit ist nachweislich wirksam“, erklärt Rüsch.