Wie Tiere sich untereinander Gehör verschaffen

Klippschliefer im Ein Gedi Nature Reserve, Israel. Foto: ©: Héloïse Brotier und Lee Koren, Bar-Ilan University

Ein Forschungsteam der Universität Konstanz, der Tel Aviv University und der Bar-Ilan University hat untersucht, ob die sogenannten wail-Laute, mit denen Klippschliefer ihren Gesang einleiten, dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Artgenossen zu erregen.

Wir sind von so vielen Informationen umgeben, dass es schwierig ist, ihnen allen aufmerksam zu folgen. Um Details wahrzunehmen, müssen wir uns auf spezielle Signale oder einen besonderen Informationskanal konzentrieren. Daher verwenden wir in der menschlichen Kommunikation sehr häufig Signale, welche die Aufmerksamkeit erhöhen: So setzen wir beispielsweise bei der persönlichen Ansprache ein „Hey” oder „Du” vor den Namen oder lassen einen Gong vor einer Ansage an Bahnhöfen oder Flughäfen erklingen.

Welche akustischen Signale dienen der Tierkommunikation?

Solche Aufmerksamkeitssignale (alerting signals) finden wir auch im Tierreich. Diese zielen hauptsächlich darauf ab, die Konzentration der Artgenossen darauf zu lenken, was man mitteilen will. „Für Tiere ist dies noch wichtiger, da sie ständig ihre Umgebung überwachen müssen. Sonst verpassen sie womöglich Nahrungsangebote oder bemerken Raubtiere nicht”, sagt Verhaltens-Ökologe Vlad Demartsev. Aus diesem Grund machen solche Aufmerksamkeitssignale die Tier-Kommunikation besonders effizient. Sie helfen den Empfängern, die Abstriche bei der generellen Überwachung ihrer Umgebung machen müssten, wenn sie sich ständig auf ein spezifisches Signal konzentrieren würden. Und sie stellen für die Mitteilenden sicher, dass ihre Kernbotschaft ankommt, die möglicherweise aufwendig oder riskant zu erzeugen ist.

Vlad Demartsev, Postdoc am Exzellenzcluster „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz und am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, und seine Kollegen von der Tel Aviv University und der Bar-Ilan University stellen in einem kürzlich in der Fachzeitschrift „Animal Behaviour“ veröffentlichten Artikel ein Rahmenkonzept vor, um die aufmerksamkeitssteigernde Funktion (alerting function) von Tiersignalen zu testen. In einem zweiten Schritt untersuchen sie damit, ob die in unseren Ohren heiser-klagend klingenden Laute in Klippschliefer-Gesängen – wail-Laute genannt – die Kriterien für eine solche Funktion erfüllen.

Was lässt auf eine aufmerksamkeitssteigernde Funktion schließen?

Das Konzept, welches die Forscher vorschlagen, analysiert drei Ebenen: das Signal selbst, den Signalgeber und die Zuhörer. Zunächst einmal wird von einem Aufmerksamkeitssignal erwartet, dass es aus größerer Entfernung zu hören ist und sich gegen Umgebungsgeräusche durchsetzen kann. An den Signalgebern wird untersucht, ob sie den Laut flexibel nutzen, indem sie ihn beispielsweise weglassen, wenn ihre Artgenossen darauf antworten oder ihn wiederholen, falls er in lauter Umgebung unterzugehen droht. Und was schließlich die Empfänger betrifft: Beeinflusst das Signal diese auf vorhersehbare Weise, indem es deren Reaktion schneller oder mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgen lässt? „Das Phänomen solcher alerting signals ist wahrscheinlich unter Tieren weit verbreitet“, sagt Demartsev, „aber bisher hatten wir keine systematische Methode, um es zu untersuchen.“

Ein „singendes Säugetier“: Der Klippschliefer

Klippschliefer sind gesellig lebende Säugetiere mit einem gut beschriebenen Lautrepertoire. Ihre Gesänge sind komplex und enthalten eine Menge Informationen. Als „singende“ Säugetiere sind Klippschliefer ziemlich einzigartig. Vermutlich nutzen die Männchen ihre Gesänge, um sich vor potenziellen Partnerinnen zu präsentieren und Konkurrenten einzuschätzen. Gehör zu finden ist daher enorm wichtig für sie, jedoch mit hohen Risiken verbunden, wenn sie etwa von Raubtieren oder aggressiven Konkurrenten entdeckt werden.

Die Gesänge von Klippschliefern bauen sich aus Abfolgen von drei unterschiedlichen vokalen Elementen auf. Dazu gehören wails, von denen Demartsev und seine Kollegen vermuten, dass sie eine aufmerksamkeitssteigernde Funktion haben könnten. Denn diese Laute leiten die Gesänge ein, lassen aber häufig in deren weiterem Verlauf nach. Außerdem stehen sie – anders als andere vokale Elemente – nicht in Zusammenhang mit Eigenschaften der Männchen wie Alter und Ranghöhe.

„Aufgepasst – ich hab euch was zu sagen!“

Wie aber fanden die Forschenden heraus, ob diese Laute dazu dienen könnten, Aufmerksamkeit zu schaffen? Zunächst analysierten sie alle gesammelten Gesangsdateien. Dabei stellten sie fest, dass Klippschliefer die wails nur zu Beginn ihrer Gesänge verwenden. Und sie ließen diese weg, wenn ihnen Ereignisse vorangingen, die bereits die Aufmerksamkeit der Artgenossen fesselten, wie die Anwesenheit von Raubtieren, Warnrufe oder Kämpfe. Anschließend führte das Forschungsteam Experimente durch, wie weit wail-Laute sich über Distanzen und unter verschiedenen Windbedingungen verbreiteten bzw. wo sie abebbten.

„Schließlich experimentierten wir im Feld mit den Gesängen selbst. Wir nahmen einen ‚Mustergesang‘, spielten ihn ab, maßen die Reaktionen anderer Klippschliefer. Dann löschten wir die meisten wails und ersetzten sie durch Hintergrundgeräusche. Außerdem segmentierten wir die wails selbst und unterbrachen deren Verlaufsstruktur. Bei beiden Manipulationen beobachteten wir, dass sich die Reaktionen der Zuhörer verringerten“, erklärt der Biologe.

Diese Laute erfüllen mehrere Kriterien für ein alerting signal: Sie bleiben über mittlere Übertragungsentfernungen stabil, kommen zu Beginn der Gesänge vor und gehen mit einer erhöhten Reaktionsrate einher, was die Forschenden als entscheidenden Maßstab für deren aufmerksamkeitserregenden Charakter beschreiben. „Diese wails steigern wahrscheinlich die Aufmerksamkeit unter den Zuhörern, auch wenn sie nicht alle unsere Kriterien perfekt erfüllen. Umweltbedingungen wie die Struktur des Lebensraums, Hintergrundgeräusche oder die Gefahr durch Raubtiere wirken sich hier sicher beeinträchtigend aus. Außerdem würde ich nicht so weit gehen zu behaupten, dass wails einzig als Aufmerksamkeitssignale dienen. Darin mögen weitere Informationen verschlüsselt sein, die wir noch nicht herausgefunden haben“, erklärt Demartsev.

Die Forschenden hoffen, dass ihr Rahmenkonzept auch auf andere Tierarten Anwendung findet, um potenzielle Aufmerksamkeitssignale einzuordnen. Zukünftige Forschungen könnten sich auch damit befassen, zu welchen Kompromissen die evolutionäre Entwicklung führte, etwa wenn die Erzeugung gut erkennbarer Signale mit einer erhöhten Auffälligkeit gegenüber unbeabsichtigten Empfängern wie Raubtieren oder Konkurrenten einherging.