Wie Tumore Blutgefäße umwandeln20. März 2023 Gewebeschnitt eines Brusttumors einer Maus: Matrix-Kanäle (grün) teilen das Tumorgewebe (blau) und bilden Nischen für Immunzellen (rot), die so die Tumorzellen nicht mehr erreichen und töten können. (Quelle: aus © Fonta et al., Matrix Biol.) Im immer dichter werdenden Zellhaufen wachsender Tumoren verwandeln sich Blutgefäße in Kanäle, die mit Fasern vollgestopft sind. Das schwächt die Abwehrkraft von Immunzellen, wie aktuelle Resultate von Forschenden nahelegen. Vor knapp zehn Jahren machten Wissenschaftler erstmals die Beobachtung, dass Tumore verschiedener Krebsarten wie Darmkrebs, Brustkrebs oder schwarzer Hautkrebs Kanäle aufweisen, die von der Oberfläche ins Innere des Zellhaufens führen. Doch wie diese Kanäle entstehen und welche Funktionen sie ausüben, blieb lange im Verborgenen. Aufwendige und detaillierte Untersuchungen Nun haben die Forschungsgruppen um Viola Vogel, Professorin für angewandte Mechanobiologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) Zürich (Schweiz) und um Gertraud Orend von der Université Strasbourg (Frankreich) mit aufwendigen und detaillierten Untersuchungen mögliche Antworten auf diese Fragen gefunden: Vieles deutet darauf hin, dass die als „tumor tracks“ bezeichneten Kanäle von Blutgefäßen abstammen. Zu Beginn versorgen Blutgefäße den rasch wachsenden Zellhaufen mit Zucker und Sauerstoff. Doch dann durchlaufen die Gefäße einen Prozess, während dem sie ihre ursprüngliche bluttransportierende Funktion verlieren, weil sich die Gefäßwand verändert und sich der Gefäßhohlraum allmählich ausfüllt. Wenn Fasern das Verhalten von Immunzellen steuern Das Füllmaterial besteht vor allem aus Zellen und neu gemachten Proteinfasern, die zur extrazellulären Matrix gehören. Neben Kollagenfasern finden sich auch Fasern aus Fibronektin. Sie sind an Wachstumsprozessen beteiligt, die sich überwiegend während der Embryonalentwicklung oder der Wundheilung abspielen. In den in Tumorkanäle umgewandelten Blutgefäßen sind die Fasern in der Lage, Immunzellen festzuhalten, wie die Forschenden in ihrem Fachbeitrag aufzeigen. Denn die Zellen strecken sich entlang der Kanäle und haften an den losen Fibronektin-Fasern. „In dieser langgezogenen Form beteiligen sich die Immunzellen nicht am Abwehrkampf, sondern unterstützen Heilungsprozesse“, sagt Vogel. Anstatt sich gegen die Tumorzellen zu richten, scheiden die Immunzellen wachstumsfördernde Moleküle aus – und helfen so den Krebszellen, sich zu vermehren. Bisher verkannte Rolle der Gewebespannung Offenbar spielt die von der extrazellulären Matrix vermittelte Gewebespannung eine wichtige und bisher nicht bekannte Rolle in der Entwicklung eines Tumors, denn die Fibronektin-Fasern sind im gesunden Gewebe stark gestreckt – und nur im Tumorgewebe schlaff. In dieser lockeren, entspannten Form, umgeben von transformierten Gefäßwänden, schaffen die Fibronektin-Fasern offenbar eine Nische, in der die Krebszellen ungestört wachsen können. Bisher hätten meist die Zellen im Fokus der Krebsforschung gestanden, erklärt Vogel. „Die extrazelluläre Matrix wurde vernachlässigt.“ Dadurch blieb unentdeckt, wie die Umgebung Zellfunktionen steuert. „Aber wenn man verstehen will, wie eine Spinne funktioniert, muss man auch ihr Netz berücksichtigen“, sagt die Biophysikerin. Analogien und Unterschiede finden Die neuen Erkenntnisse versteht Vogel deshalb auch als Denkanstoß, um den Blickwinkel zu erweitern – und so unser Verständnis zu verfeinern. „Denn je besser wir verstehen, was Tumorzellen brauchen, um sich zu vermehren, desto eher finden wir auch Möglichkeiten, wie wir diese Vermehrung verhindern können“, sagt Vogel. Sie gibt allerdings zu bedenken, dass die Resultate aus Versuchen an Mäusen mit Brustkrebs stammen. Ob sie sich direkt auf das Krebsgeschehen im Menschen übertragen lassen, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar. Allerdings gibt es einige Parallelen, wie die Gruppe um Orend kürzlich mit einer anderen Studie aufzeigt hat. Derweil hat die Forschungsgruppe von Viola Vogel eine Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital Baden begonnen: Einer ihrer Doktoranden untersucht in einem Folgeprojekt, ob sich auch in Gewebeproben von Brustkrebspatientinnen Spuren von umgewandelten Blutgefäßen finden lassen. „Wo finden wir Analogien – und wo Unterschiede?“, erklärt Vogel die zu untersuchende Fragestellung.
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