Wissenschaftler sagen Fake Science den Kampf an

Künstliche Intelligenz ermöglicht die Produktion gefälschter Studien in industriellem Maßstab. Grafik: bussarin – stock.adobe.com

Mit der „Stockholm Declaration“ rufen 27 internationale Wissenschaftler die wissenschaftliche Gemeinschaft auf, sich gegen die steigende Bedrohung durch gefälschte Studien zu wehren. Kernpunkt der vier Empfehlungen ist eine Änderung der Publikationspraxis.

Fälschungen gab es in der Wissenschaft schon immer, man denke nur an den „Piltdown-Menschen“ in der evolutionären Anthropologie oder in neuerer Zeit die Arbeiten von Eliezer Masliah in der Neurowissenschaft. Doch inzwischen hat sich, unterstützt durch das Internet und Künstliche Intelligenz, eine regelrechte Industrie entwickelt.

Wie der Biowissenschaftler Reese A. K. Richardson von der Northwestern University in Evanston (IL, USA) und Kollegen kürzlich in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichteten, besteht das Geschäftsmodell solcher „paper mills“ in der Anfertigung gefälschter oder erfundener Studien gegen Bezahlung. Doch damit nicht genug: Es gibt auch noch „broker“ zwischen Produzenten und Herausgebern und ganze „predatory journals“, die keine Qualitätskontrollen der eingereichten Arbeiten durchführen. Besonders betroffen sind die Biowissenschaften.

Diesen Machenschaften sagen Bernhard Sabel und Dan Larhammar jetzt den Kampf an. Der deutsche Neuropsychologe und Hirnforscher von der Universität Magdeburg und der ehemalige Präsident der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften (KVA) haben gemeinsam mit weiteren 25 Wissenschaftlern in ihrer „Stockholmer Erklärung“, publiziert in der KVA-Fachzeitschrift „Royal Society Open Science“, vier Empfehlungen für eine gute Publikationspraxis erarbeitet, die dem grassierenden Wissenschaftsbetrug Einhalt gebieten sollen.

Kommerzielle Verlage und Publikationsdruck

Die eine Wurzel des Übels ist nach Ansicht der Autoren die Tatsache, dass die Publikation wissenschaftlicher Forschungsarbeiten in der Hand gewinnorientierter Verlage liegt. „Die Wissenschaft übernimmt wieder die Kontrolle über das Publizieren“, lautet dementsprechend die erste Forderung der Unterzeichnenden. Gewinnorientierte Publikationsmodelle sollen demnach in nachhaltige und gemeinnützige Modelle umgewandelt werden, in denen die wissenschaftliche Gemeinschaft die Zeitschriftentitel besitzt und die Autoren das Urheberrecht behalten.

Als zweite Wurzel des wissenschaftlichen Betruges sehen Sabel und Larhammer die „Reputationsökonomie“ des „publish or perish“ („veröffentliche oder gehe unter“), die junge Forscher dazu anhält, möglichst viel zu publizieren, um viel zitiert zu werden und so einen hohen wissenschaftlichen Ruf zu erlangen. „Anreizsysteme für Qualität statt Quantität“ sollten stattdessen an die Stelle der „Massenproduktion minderwertiger Artikel“ treten. „Ranglisten akademischer Leistungen anhand von Kennzahlen wie Zitationshäufigkeit, ‚Journal Impact Factor‘ (JIF) und ‚Publikationszahl‘ müssen verantwortungsvoll verwendet werden, da sie oft nicht mit der Forschungsqualität korrelieren“, fordern die Autoren.

Betrug erkennen und bestrafen

Während die ersten beiden Empfehlungen also bewirken sollen, dass weniger Fake-Artikel entstehen, richten sich die anderen beiden auf den Umgang mit solchen Publikationen. Die Unterzeichnenden fordern, dass Korruption im Publikationswesen, gefälschte Artikel und entsprechende Journals aufgedeckt, sanktioniert und registriert werden. Validierte Qualitäts- und Integritätsmerkmale sollen zur Erkennung gefälschter Artikel eingesetzt werden. Schlussendlich, so die vierte Empfehlung, müssen auch Gesetze und Verordnungen Qualität und Integrität der Wissenschaft schützen. Hier sei der Gesetzgeber gefragt, Fehltritte auch mit Strafen zu belegen.

Insbesondere, was die ersten beiden Empfehlungen angeht, könnten die Forderungen der Wissenschaftler nicht weniger als eine Revolution des wissenschaftlichen Publikationswesens bedeuten. Denn so schnell werden sich die privaten Verlage, bei denen auch die renommiertesten Journals lokalisiert sind, ihre Hefte nicht aus der Hand nehmen lassen. Und um das eingeschliffene „publish or perish“ zu überwinden, bräuchte es erst einmal ein anderes „mindset“ in der Wissenschaft und mutige Forscher, die sich nicht um der Karriere willen dem maximalen Output verschreiben.

Die Stockholmer Erklärung ist offen für weitere Akademien, wissenschaftliche Organisationen, Förderinstitutionen oder Verwaltungseinrichtungen, die ihre Unterstützung ganz oder teilweise ausdrücken wollen („Co-signing opportunity“). Sie geht zurück auf eine Konferenz der KVA in Stockholm am 9. und 10. Juni 2025. Aus Deutschland sind neben Sabel unter anderem Peter Seeberger, Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Senatsmitglied der Max-Planck-Gesellschaft, und Gerd Gigerenzer, Vizepräsident des European Research Council und emeritierter Direktor des Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, mit dabei.

(ms/BIERMANN)