Wunsch und Wirklichkeit: Ethische Werkzeuge für die Tiermedizin8. Dezember 2025 Svenja Springers Forschungsfokus sind die empirische Analyse von Mensch-Tier-Beziehungen und die moralischen Herausforderungen, mit denen Tierärzte konfrontiert sind. „Als Ethikerin erkunde ich einen Graubereich und interessiere mich – jenseits von Richtig-oder-falsch-Klassifizierungen – für die Pluralität der Wahrnehmungen.“ Foto: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Der Umgang mit Tieren berührt nicht nur praktische, sondern auch moralische Fragen. Wenn die Wunschvorstellungen der Tierhaltenden mit der Realität kollidieren, stellt das Tierärzte zuweilen vor schwer zu lösende ethische Fragestellungen. Svenja Springer will beim Brücken bauen helfen. Svenja Springer, neue Assistenzprofessorin für tiermedizinische Ethik am Messerli Forschungsinstitut für Mensch-Tier-Beziehung, untersucht Entscheidungsprozesse rund um die Palliativ- und Sterbebegleitung von Vierbeinern und die Erwartungshaltungen von Hunde- und Katzenhaltern gegenüber der modernen Kleintiermedizin. Wenn „Idealwelt“ und Realität kollidieren Leicht ist es nicht für Tierärzte, die Interessen von Tieren und ihren Haltern unter einen Hut zu bringen. Speziell, wenn die Vierbeiner schwer, womöglich unheilbar erkrankt sind. Ab wann kollidieren die verfügbaren Mittel mit der Lebensqualität? Was rät man, wenn die Hoffnungen und Wünsche verzweifelter Besitzer unvereinbar mit deren finanziellen Möglichkeiten sind(, was ein häufiges Szenario darstellt)? „Das sind Herausforderungen, die über das Medizinische hinausgehen“, sagt Svenja Springer. „Durch die Berufspraxis haben Behandelnde zwar meist eine gute Intuition, das reicht aber in komplexen Fällen nicht immer aus. Denn sie bewegen sich hier in einem Graubereich.“ Empathie allein reicht nicht aus bei komplexen Problemen Die 38-Jährige ist seit März Assistenzprofessorin für tiermedizinische Ethik am Messerli Forschungsinstitut für Mensch-Tier-Beziehung. „Mir ist es wichtig, dass meine Studierenden ein entsprechendes Rüstzeug mitbekommen“, unterstreicht sie. „Tierärzte und Tierärztinnen dürfen keine Misanthropen sein. Um Tiere samt ihren Menschen auch in schwierigen Situationen gut zu betreuen, brauchen sie Empathie, Kompromissbereitschaft und Argumentationsgrundlagen.“ Darum werde in ihren Lehrveranstaltungen viel debattiert. In der Forschung verfolgt sie einen empirischen Ansatz. „Mir geht es nicht um Normen oder Leitlinien, sondern ich möchte Problemlagen erfassen.“ Dazu gehört unter anderem das Wissen, wie es den Tierärzten beim Geben von Behandlungsempfehlungen geht. Womit kommen sie gut zurecht? Was finden sie heikel? Die Datengrundlage, die Springer durch qualitative und quantitative Umfragestudien schafft, gibt Hinweise auf mögliche Strategien und Lösungsansätze. Erfahrungen prägen Menschen: Auch die Tierärzte selbst Oft hängt das Interesse an Ethikthemen mit persönlichen Erfahrungen zusammen. Das hat nicht nur eine Studie Springers gezeigt, auch bei ihr selbst war es so. Als junge Veterinärmedizinstudentin an der Vetmeduni in Wien verbrachte sie gerade die Sommerferien bei ihren Eltern in Deutschland, als die Familienhunde kurz hintereinander starben. Zuerst die krebskranke Retrieverhündin Lotta durch Euthanasie, dann der hochbetagte Dackel Paulchen, weil er rapide abbaute. „Das war ein Schlüsselmoment“, erinnert sie sich. „Es hat in mir so viele Fragen aufgeworfen, auf die ich in den klassischen Lehrbüchern keine Antwort fand.“ Der Zufall wollte es, dass Herwig Grimm damals seinen Lehrstuhl für Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni aufbaute. Nach dem Erlebnis mit Lotta und Paulchen wünschte sich Springer, ihre Diplomarbeit dem Thema Euthanasie zu widmen, hatte aber zunächst Mühe, eine Betreuung dafür zu finden. Sie stieß auf den Anästhesieprofessor Yves Moens, der sie zusätzlich an Grimm verwies. In der Folge diplomierte sie bei den beiden und sie wurden zu ihren wissenschaftlichen Weggefährten. „Sie haben mich quasi in die Ethik hineinsozialisiert.“ Die Faszination für ihr Fach merkt man ihr an. „Tiermedizinische Ethik ist ungeheuer facettenreich, spannend und interdisziplinär.“ Gemeinsam ethische Werkzeuge erarbeiten Der Austausch zwischen Klinikern, Philosophen, Soziologen und anderen Disziplinen ist ein Charakteristikum des Messerli Forschungsinstituts. Hier hat Springer auch – ebenfalls zur Tiereuthanasie – dissertiert und ihre Postdoc-Zeit zugebracht. Ihren PhD zu den Chancen und Herausforderungen der High-Tech-Veterinärmedizin machte sie dann in Dänemark im Zuge einer Kooperation zwischen der Vetmeduni und der Uni Kopenhagen. Aktuell forscht sie zur Palliativmedizin und Sterbebegleitung von Tieren sowie zu Erwartungen von Hunde- und Katzenhaltern an die Kleintierpraxis. Ein vierjähriges FWF-Projekt ist in den Startlöchern. „Es dreht sich um das beste Interesse des Patiententiers. Dies ist zwar ein gängiger Begriff, aber bis dato noch ziemlich vage.“ Zwischen Musik und Medizin Ursprünglich wollte die im norddeutschen Schwerin aufgewachsene, von klein auf musikalisch ausgebildete Münchnerin ja Opernsängerin werden. „Dass ich schon mit sechsauf der Bühne sang, kommt mir jetzt zugute, etwa beim Referieren“, erzählt sie mit einem Lächeln. „Irgendwann wurde mir aber klar, dass das doch nicht mein Weg ist.“ Aus einem medizinischen Haushalt kommend, war ihr die Naturwissenschaft zudem nicht fremd. Initialzündung zum Veterinärmedizinstudium war schließlich ein Praktikum an einer Tierklinik in Ghana. Seit 2008 ist die Forscherin begeisterte Wahlwienerin, inzwischen sogar mit österreichischem Pass. „Ich liebe das Land, die Leute und das Leben hier“, strahlt sie. „Das reiche Musikangebot ist ein Eldorado für mich, ich bin so oft wie möglich im Konzerthaus.“ Zum Auftanken ist sie außerdem gern auf den Wiener Stadtwanderwegen unterwegs. Text: Uschi SorzDer Beitrag ist in VETMED 02/2025 erschienen. Studie unter Beteiligung von Svenja Springer Veterinärmediziner zwischen Berufs- und Privatleben: Grenzen setzen fällt schwer – Biermann Medizin
Mehr erfahren zu: "Evolution des Geruchssinns bei Säugetieren: Studie liefert neue Einblicke" Evolution des Geruchssinns bei Säugetieren: Studie liefert neue Einblicke Durch die Kombination anatomischer Schädelanalysen und genetischer Untersuchungen ist es Forschenden gelungen, den Geruchssinn sowohl lebender als auch fossiler Säugetiere einzuschätzen. Das lässt Rückschlüsse auf die Evolution des Geruchssinns zu.
Mehr erfahren zu: "Fruchtbare Spermien brauchen festes Fundament für ihre Geißel" Fruchtbare Spermien brauchen festes Fundament für ihre Geißel Ein funktionsfähiger Spermienschwanz ist für eine erfolgreiche Fortpflanzung unerlässlich. Eine aktuelle Publikation in „Science Advances“ enthüllt die Bedeutung eines Spermien-spezifischen Ankergerüstes. Fehlt darin ein Protein, führt dies zu Unfruchtbarkeit.
Mehr erfahren zu: "Tiere gehören nicht unter den Weihnachtsbaum – BTK warnt vor unüberlegten tierischen Geschenken" Tiere gehören nicht unter den Weihnachtsbaum – BTK warnt vor unüberlegten tierischen Geschenken Jedes Jahr stehen besonders zum Weihnachtsfest Hundewelpen, Kätzchen oder andere Haustiere weit oben auf den Wunschzetteln. Doch die Bundestierärztekammer (BTK) warnt eindringlich davor, Tiere zu Weihnachten zu verschenken.