Zahnmedizinische Behandlung in Vollnarkose: Keine ausreichende Finanzierung als Sonderbehandlung für vulnerable Gruppen

The child treats teeth under general anesthesia. Treatment of baby teeth. The hands of doctors with medical dental instruments. The mouth is open.

Die zahnmedizinische Versorgung in Vollnarkose bei sehr kleinen und schwerkranken Kindern und Erwachsenen sowie bei alten Patientinnen und Patienten kann laut Deutscher Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e.V. (DGMKG) derzeit nicht ausreichend gewährleistet werden.

Diese vulnerablen Gruppen benötigen oft eine Vollnarkose zur Zahnbehandlung – häufig muss jedoch auf zeitaufwendige zahnerhaltende und prothetische Maßnahmen, die im Zuge eines chirurgischen Eingriffs zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit angebracht wären, verzichtet werden. Durch die vorhandenen Engpässe werde oft die schneller durchzuführende Extraktion des Zahnes der konservierenden Erhaltung vorgezogen – Expertinnen und Experten der DGMKG bemängeln das. Sie weisen darauf hin, dass aktuellen Erkenntnissen zufolge die Wartezeiten für zahnmedizinische Behandlungen in Vollnarkose an Universitätskliniken hierzulande für vulnerable Patientengruppen derzeit im Schnitt viereinhalb Monate betragen. Die DGMKG prangert diese dramatische Situation an und stellt klare Forderungen an Politik und Kostenträger.

Zum zahnärztlichen Therapiespektrum gehören präventive und konservierend-prothetische Maßnahmen, wie Prophylaxe und Parodontitistherapie, zahnerhaltende und -ersetzende Restaurationen und Wurzelkanalbehandlungen, sowie chirurgische Sanierungen wie Zahnextraktionen oder die Behandlung von Abszessen, Zysten und Schleimhautveränderungen in der Mundhöhle. „Die meisten chirurgischen Sanierungen werden ambulant von niedergelassenen Zahnärztinnen und -ärzten durchgeführt“, erklärt der neue Pressesprecher der DGMKG, Prof. Hendrik Terheyden. „Die Patientinnen und Patienten erhalten dann eine lokale Betäubung und bei Bedarf eine Sedierung. Eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus ist nur notwendig, wenn zusätzliche Narkoserisiken – wie zum Beispiel angeborene Herzfehler – vorliegen oder besondere Schwierigkeiten zu erwarten sind.“

Vulnerable Patientinnen und Patienten benötigen jedoch oft eine zahnmedizinische Versorgung in Vollnarkose – und damit im Krankenhaus. „Als vulnerabel gelten Patientengruppen, die nicht ambulant auf dem Zahnarztstuhl in einer zahnärztlichen Praxis in örtlicher Betäubung oder unter Nutzung von Sedierungsverfahren behandelt werden können, sondern eine Allgemeinanästhesie mit teilweiser oder vollständiger Ausschaltung des Bewusstseins – also unter stationären Bedingungen – benötigen,“ erklärt Dr. Jörg-Ulf Wiegner, Präsident der DGMKG. „Vulnerable Patientinnen und Patienten in diesem Zusammenhang können Kinder und Erwachsene mit gesteigerter Behandlungsangst, schwer Pflegebedürftige oder Patientinnen und Patienten mit geistigen und körperlichen Einschränkungen sein.“ Sehr häufig auftretende orale Erkrankungen, wie Zahnkaries und Parodontitis, werden bei diesen Personen im Rahmen einer Vollnarkose behandelt, da diese Erkrankungen heftige Schmerzzustände auslösen können, die – wenn sie nicht adäquat behandelt werden – zu infektiösen Folgeerkrankungen wie einer allgemeinen Sepsis mit Todesfolge führen können.

Da konservierend-prothetische Behandlungen in Narkose bei vulnerablen Patientinnen und Patienten deutlich längere Behandlungszeiten bedingen und bei weitem nicht ausreichend vergütet würden, entstünden bei den Kliniken, die diese Versorgungen anbieten, hohe Defizite. Bei Kapazitätsengpässen könne es vorkommen, dass vulnerablen Patientinnen und Patienten eher ein Zahn gezogen werde, anstatt diesen mit zahnerhaltenden oder prothetischen Maßnahmen zu erhalten, so die DGMKG. Der Verlust eigener Zähne verringert jedoch die Kaufähigkeit der Betroffenen und schränkt ihre Lebensqualität deutlich ein, zudem bringt er gesundheitliche Risiken mit sich, da diese Patientinnen und Patienten durch Umstellung auf weiche Kost oder Breikost eine deutlich schlechtere Ernährung haben. Eingeschränkte Kaufähigkeit bedingt zudem kognitive Einschränkungen, wie neuere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Für die betroffenen vulnerablen Patientengruppen bedeute all dies im Vergleich zu „regulären“ Patientinnen und Patienten eine deutliche Minderversorgung, hebt die Fachgesellschaft hervor.

„Da es sich bei der Behandlung von vulnerablen Gruppen nicht um Komfortnarkosen handelt, sondern um eine dringende medizinische Notwendigkeit, fordert die DGMKG Politik und Kostenträger auf, die Kosten für zahnmedizinische Leistungen – unter anderem auch den Zahnerhalt durch Prophylaxe und restaurative Therapiemaßnahmen ­– bei vulnerablen Gruppen in Narkose adäquat zu vergüten“, so Prof. Diana Wolff, Präsidentin der VHZMK und Ärztliche Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg. Auch Netzwerkstrukturen, in denen niedergelassene Kolleginnen und Kollegen Hand in Hand mit Schwerpunktpraxen arbeiten, seien von großer Relevanz.