Zentrale Fragen zu Familie, Beruf und Diversität in O&U24. Oktober 2024 Almut Tempka, Lukas Schönnagel, Christine Kurmeyer, Sabine Jenner mit Sessionleiter Matthias Plumberger, v.l. (Foto: hr) Die Arbeitsgemeinschaft Familie, Karriere, Beruf und Diversity der DGOU thematisierte in einer DKOU-Session inwieweit berufliche und private Ziele in O&U in Einklang zu bringen sind und welche Rolle Vielfalt und Diskriminierung im Fach spielen. Gleich zu Beginn näherte sich Dr. Lukas Schönnagel, vom Centrum für Muskoloskeletale Chirurgie der Charité der Definition von Vielfalt beziehungsweise Diversity in ihren verschiedenen Dimensionen an. Zur inneren Dimension gehören etwa Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder ethnische Herkunft. Unter anderem Berufserfahrung, Bildungsstand Einkommen oder Elternschaft sind Teil der äußeren Dimension, während zum Beispiel Arbeitsinhalt, Arbeitsverhältnis, Netzwerke oder Status zur organisationalen Dimension gehören. Warum benötigen wir überhaupt Vielfalt in Orthopädie und Unfallchirurgie? All dies mündete in der ersten Frage der Session, die es zu klären galt: Warum benötigen wir überhaupt Vielfalt in Orthopädie und Unfallchirurgie? Diverse Studienergebnisse, die Schönnagel in seinem Vortrag präsentierte, gaben dazu eine recht eindeutige Antwort: „Weil Vielfalt zu weniger Ungleichheiten in der medizinischen Versorgung und auch zu einer qualitativ besseren Patientenversorgung führt“, fasste der Assistenzarzt in Weiterbildung zusammen. Zudem steigere sie die Effizienz und Innovation im klinischen Alltag. Wie vielfältig ist unsere Fachgesellschaf bereits jetzt? – „Diversität erschließt sich nicht auf den ersten Blick“ Prof. Almut Tempka schloss sich mit der Frage an: Wie vielfältig ist unsere Fachgesellschaf bereits jetzt? „Diversität“, so Tempka, „erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Lediglich das Geschlecht und die Hautfarbe seien erkennbar, alles andere nicht. Allein schon das weibliche Geschlecht spielte lange in der Medizin und ihren Gesellschaften keine Rolle. Noch zu Beginn ihrer Karriere in der plastischen Chirurgie sei sie mit den Worten „Das ist Verschwendung“ begrüßt worden und lange Zeit habe sie in ihrer beruflichen Laufbahn von „meine 30 Jungs und ich“ sprechen müssen, so Tempka, die heute die Ärztliche Leitung des Charité Physiotherapie- und Präventionszentrums am Campus Virchow-Klinikum innehat. Auch bei der Gründung der DGOU im Jahr 2008 spielten Frauen noch kaum eine Rolle. Heute sei die DGOU vielleicht ein „Vorreiter“ bei den weiblichen Mitgliedern (27 Prozent), doch im Vorstand seien sie noch nicht angekommen (13:0), berichtete Tempka. „Auch auf Bildern des Jungen Forums sind deutlich mehr Frauen zu sehen, aber“, so Tempka, „dies spiegelt eben nur das offensichtliche Geschlecht wider“. Und noch immer stagniere der Frauenanteil in der Orthopädie auf einem niedrigen Niveau. „Die Medizin wird vielleicht weiblich, doch ist das genug Diversität?“, fragte sie. Spielten Hautfarbe, sexuelle Orientierung, kulturelle oder religiöse Identitäten keine Rolle? Sogar Statistiken mit solchen Aufschlüsselungen suche sie noch immer vergeblich – etwa zur ethnischen Herkunft, obwohl ja offensichtlich sei, dass Perser oder Syrer längst in der Ärzteschaft Deutschlands präsent sind. Zukunftszenario: Droht der DKOU auf die Größe eines Workshops zu schrumpfen? Warum Frauen selten in der Chirurgie arbeiteten liegt der Medizinerin zufolge weniger daran, dass Frauen das Fachgebiet nicht mögen, sondern prinzipiell die Attraktivität des Faches gering ist. „Modellrechnungen unter der Annahme eines dreiprozentigen Attraktivitätsverlustes des Faches und Steigerung des Frauenanteils kommen zum Schluss, dass der DKOU zukünftig auf die Größe eines Workshops schrumpft“, erläuterte Tempka und plädierte eindringlich dafür, Barrieren abzubauen und Vielfalt zu steigern, „damit wir uns nicht bald in einem Berliner Hotel statt in der Messe treffen müssen“. Es mangele noch immer an weiblichen Vorbildern im Fach, kulturelle und Geschlechterstereotpye seien weiterhin verbreitet. „Noch immer werde ich im Flur als Krankenschwester angesprochen und meine dunkelhäutige Physiotherapeutin wird als Reinigungskraft adressiert“, berichtete Tempka. Die Nichtvereinbarkeit von Beruf- und Privatleben, Diskriminierung in der Karriere und einen männlich dominierte Arbeitsplatzkultur seien Hindernisse für Vielfalt in Fach und Fachgesellschaften, die wiederum der „Schlüssel zum Erfolg“ sei. „Dagegen müssen alle proaktiv vorgehen. Menschen, die diversen Gruppen in O&U angehören, müssen sich zu erkennen geben und Vielfalt einfordern, sonst wird keine Diversität entstehen, forderte Tempka. Wie vielfältig wird die Medizin in Zukunft sein? – Karrierehürden überwinden Wie vielfältig wird die Medizin in Zukunft sein? Dieser dritten zentralen Frage innerhalb der Session näherten sich die beiden Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Charité, Dr. Christine Kurmeyer und Dr. Sabine Jenner, an. Kurmeyer nahm die Diversität innerhalb der Charité in den Blick. Im Verlauf der Karriere drehten diese sich von einer Überzahl von Frauen zu Beginn der Karriere um zu einer Dominanz männlicher Ärzte ab der Oberarztkarriere bis hin zu den Professuren. Der Mittelwert von Oberärztinnen in deutschen Kliniken liegt bei über 35 Prozent, in der Chirurgie mit unter 24 Prozent (2023) am niedrigsten. „Karrierehürden“, so Kurmeyer sind für Frauen die Personalentwicklung, kaum Kinderbetreuung in den Randzeiten und unattraktive Arbeitsbedingungen.“ Hinzu komme ein eingeschränkter Zugang zu informellem Karrierewissen. „Golfen, Segeln und der Kneipentreff, die überwiegend von Männern genutzt werden, sind hier nicht zu unterschätzen.“ Um diesen Benachteiligungen entgegenzuwirken forderte die Frauenbeauftragte Frauen dazu auf, individuelle Lösungen zu finden. Dazu gehören etwa die bessere Eigenvermarktung und klare Zielsetzungen, Mentorinnen und Mentoren zu finden oder sich in Frauennetzwerken wie „Die Chirurginnen“ zu organisieren. Auch auf struktureller Ebene sei dies möglich, wie zum Beispiel durch Führungskräfte-Coachings, interprofessionelles Teambuilding oder dem Ausprobieren von neuen Arbeitszeitmodellen oder Top-Sharings, also eine Führungsposition zu teilen. Vielfalt managen, um Diskriminierungen zu begegnen „Wir müssen Vielfalt besser managen, so können wir auch besser Diskriminierungen begegnen“, regte Jenner an. Denn trotz gesetzlicher Vorgaben, bleibe Diskriminierung ein gesellschaftliches Problem, wie zum Beispiel sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die in der Überzahl Ärztinnen, aber auch Ärzte im Alltag auf verschiedenen Ebenen erlebten. Laut Jenner kann ein gut gemanagtes vielfältiges Team leichter und kreativer Probleme lösen aufgrund der verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen. Dies gelte auch für Mehrfachdiskriminierungen, die bei zwei Umfragen unter Charité-Mitarbeitenden von knapp 44 bzw. rund 52 Prozent der Befragten berichtet wurden und sich auf mindestens einen Aspekt wie Alter, Care-Arbeit, Gewicht, Rassismus oder soziale Herkunft bezogen. Knapp 60 Prozent gaben an, neben einer Belästigung mindestens noch eine weitere Diskriminierung erlebt zu haben. „Ein weiteres Ergebnis war, dass von mehr als 30 Prozent, die eine sexualisierte Belästigung erlebt nur weniger als zehn Prozent erleben durften, dass zu ihren Gunsten eingeschritten worden ist“, berichtete Jenner weiter. „Um Diversity zu managen, gibt es viele Ansatzpunkte. Es würde zum Beispiel ja schon genügen, wenn das Arbeitsumfeld an die eigenen Klinik-Werte angepasst würde“, schlug die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte vor. Professionelle Trainings, die Schaffung von Beauftragtenstellen oder eine progressive Kommunikation könnten Jenner zufolge schon vieles bewirken. Es gilt eine Kultur des Hinschauens, der Zivilcourage und des Beistandes von Diskriminierungsbetroffenen zu schaffen“, so Jenner, die insbesondere das Potenzial des Top-Sharings hervorhob: „Bei diesem werden Karrierestufen gemeinsam erklommen. Teamarbeit statt Konkurrenzkampf steht im Vordergrund.“ Karriere sei trotz Teilzeit möglich – letztendlich sorge Top-Sharing für Vielfalt in Teams. (hr)
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