Zielgerichtete Therapie der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis in Sicht – Mit Potenzial für die Demenztherapie

Symbolbild Enzephalitis (Foto: © Lila Patel – stock.adobe.com)

Eine tierexperimentelle Studie konnte die Bindungsstelle von pathogenen Autoantikörpern, die eine Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis auslösen, genauer identifizieren und einen Antikörper testen, der exklusiv an dieser Subdomäne des NMDA-Rezeptors angreift. Da Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper auch bei Demenzen eine Rolle spielen, gibt der Antikörper der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zufolge Anlass zur Hoffnung auf eine Demenztherapie.

Die Anti-NMDA(N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptor-Enzephalitis wurde erstmals 2007 beschrieben. Es handelt sich dabei um eine relativ seltene, aber schwere Autoimmunerkrankung, von der meistens junge Frauen betroffen sind. Enzephalitiden werden ansonsten meist von Erregern ausgelöst, zum Beispiel durch das Herpes simplex-Virus oder das Epstein-Barr-Virus. Bei der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis entsteht die Entzündung dadurch, dass das Immunsystem Antikörper gegen NMDA-Rezeptoren im Gehirn, die für die Signalübertragung bedeutsam sind, bildet und so wichtige Funktionen von Nervenzellen wie Lernen, Neuroplastizität, Erinnerung und Bewegung stört.

Die neurologischen und psychiatrischen Folgen sind mitunter fulminant: Es kommt zu Hyperkinesien, epileptischen Anfällen, autonomer Dysregulation oder Mutismus. Noch auffälliger und verstörender sind die psychiatrischen Symptome, darunter Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Angstzustände und Verhaltensänderungen. Häufig leiden die Betroffenen auch unter kognitiven Einschränkungen, welche zu bleibenden Schäden in Form von demenziellen Syndromen führen können.

Die Erkrankung galt lange Zeit als „rätselhaft“. Wie dramatisch und albtraumhaft sie für die Betroffenen ist, hat die US-Autorin Susannah Cahalan in ihrem Buch „Feuer im Kopf“ beschrieben. Der, zumindest in Deutschland, berühmteste „Patient“ ist aber wohl Eisbär Knut aus dem Berliner Zoo: Er ertrank bei einem durch die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis ausgelösten epileptischen Anfall im Wasser seines Geheges.

Prof. Harald Prüß, Berlin, Sprecher der DGN-Kommission Neuroimmunologie, hebt hervor: „Wir gehen davon aus, dass in der Vergangenheit durchaus Betroffene als psychisch krank beziehungsweise schlichtweg ‚verrückt‘ eingestuft und ohne Aussicht auf Heilung in Nervenheilanstalten verwahrt wurden. Diese Vorstellung ist aus heutiger Sicht beklemmend, denn wir wissen, dass die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis behandelbar ist. Insofern ist diese Erkrankung ein echtes Erfolgsbeispiel der neurologischen Grundlagenforschung: Mit dem Verständnis des krankheitsauslösenden Mechanismus konnten Therapien angeboten werden – und die Therapien werden immer spezifischer.“

Seit Aufdeckung des Krankheitsmechanismus wird das „fehlgeleitete“ Immunsystem mit Immunsuppressiva, wie Glukokortikoiden, intravenösen Immunglobulinen oder Chemotherapien, unterdrückt. Sie können jedoch schwere Nebenwirkungen mit sich bringen, da sie das gesamte Immunsystem drosseln und nicht spezifisch wirken. Eine zweite Behandlungsmöglichkeit ist, die krankheitsauslösenden Antikörper mittels Apherese aus dem Körper zu entfernen. Diese Therapie ist aber nicht nachhaltig, da das Immunsystem kontinuierlich neue Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper bildet.

Die Forschung arbeitet daher seit einigen Jahren an kausalen Therapien, die zielgenau in den Krankheitsmechanismus eingreifen und somit nebenwirkungsärmer sind. Ein eindrucksvolles Beispiel war 2023 die selektive Zerstörung genau der Antikörper-produzierenden Zellen (sogenannte B-Zellen) im Tiermodell, die Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper produzieren.1 Aktuell wurden neue experimentelle Daten2 veröffentlicht, die einen weiteren Schritt in diese Richtung darstellen. Es konnte gezeigt werden, dass die krankhaften Autoantikörper an einer bestimmten Untereinheit des NMDA-Rezeptors (GluN1-NTD) binden und vermutlich darüber pathogen wirken, dass sie benachbarte NMDA-Rezeptoren untereinander verbinden und zu ihrer Internalisierung führen. Das bedeutet, dass die Neurotransmitter-Rezeptoren ins Zellinnere verlagert werden, wo sie ihre Funktion nicht mehr ausüben können. Die Domäne GluN1-NTD stellt damit ein vielversprechendes Therapieziel dar. Die Forschenden „bauten“ daraufhin den humanisierten monovalenten Antikörper ART5803, der genau diese Untereinheit des NMDA-Rezeptors mit einer hohen Affinität bindet, ohne die NMDAR-Aktivität zu beeinträchtigen oder eine Internalisierung zu bewirken.

Im Tiermodell konnten die Forschenden zeigen, dass humane pathogene Autoantikörper Verhaltens- und Bewegungsstörungen wie bei einer Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis hervorrufen. Durch die Gabe von ART5803 (als intrazerebroventrikuläre Infusion oder als intraperitoneale Injektion) wurden die Symptome zurückgedrängt. Auch das im Tiermodell beobachtete pharmakokinetische Profil ließ darauf schließen, dass mit ART5803 ein vielversprechender Wirkstoffkandidat zur Verfügung steht, sodass bei Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis vielleicht schon in wenigen Jahren anstelle der nebenwirkungsreichen Immunsuppression eine kausale, zielgerichtete Therapie angeboten werden kann.

Wie Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, hervorhob, ist das Potenzial dieser spezifisch gegen Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper gerichteten Therapien nicht nur deswegen relevant, weil die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis die häufigste Form der Autoimmun-Enzephalitiden darstellt, sondern womöglich noch viel weitreichender: Auf dem amerikanischen Neurologiekongress wurde im April diesen Jahres eine niederländische Studie3 vorgestellt, die Autoimmunenzephalitiden als häufigste Ursache für rasch fortschreitende, behandelbare Demenzen ausmachte. Wurde diese Grunderkrankung behandelt, stellte sich auch eine klinische Verbesserung in Bezug auf die kognitiven Beeinträchtigungen ein. Allein 15 Prozent der rasch voranschreitenden Demenzen waren in dieser Erhebung auf eine Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis zurückzuführen. Bereits vor elf Jahren hatten auch Prüß und Kollegen4 gezeigt, dass bei gut 16 Prozent der Betroffenen mit einer Demenz verschiedener Ursachen Antikörper gegen NMDAR im Serum nachweisbar waren.

„Wir sollten daher nicht nur bei Patientinnen und Patienten mit auffälligem, psychotischem Verhalten und den typischen Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis-Symptomen nach NMDAR-Antikörpern ‚fahnden‘, sondern auch bei Menschen, die sich mit Demenzen unklaren Ursprungs vorstellen. Auch für sie könnten perspektivisch GluN1-NTD-spezifische Antikörper in Frage kommen“, lautet Berlits Fazit.