Zögern und Ablehnung von COVID-19-Impfungen: Kindheitstraumata könnten eine Rolle spielen

Foto: © Matthias Stolt/stock.adobe.com

Vernachlässigung, häusliche Gewalt oder Drogenmissbrauch in der Familie: Eine Zurückhaltung oder Ablehnung in Bezug auf eine Impfung gegen COVID-19 kann laut einer neuen Studie mit traumatischen Ereignissen in der Kindheit zusammenhängen.

Den Untersuchungsergebnissen zufolge ist die Wahrscheinlichkeit für eine Impfzögerlichkeit bei Menschen, die als Kind vier oder mehr Arten von Trauma erlebt haben, dreimal höher als bei Personen ohne traumatische Erlebnisse.

Laut den Studienautorinnen und -autoren deuten einige ältere Studien darauf hin, dass im Kindesalter erlebte Misshandlungen im späteren Leben allgemein das Vertrauen untergraben kann – unter anderem auch in das Gesundheitswesen und andere öffentliche Einrichtungen. Die Forschenden wollten nun herausfinden, ob ein Kindheitstrauma mit dem aktuell empfundenen Vertrauen in die Informationen des Gesundheitssystems in Zusammenhang stehen könnte sowie mit der Befürwortung und Einhaltung von Beschränkungen zur Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 und auch der Absicht, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen.

Repräsentative Befragung per Telefon

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stützten sich in ihrer Studie auf die Antworten von Personen, die an einer landesweit repräsentativen telefonischen Umfrage unter Erwachsenen teilgenommen hatten. Die Befragten lebten zwischen Dezember 2020 und März 2021 in Wales (Großbritannien) – einem Zeitraum, in dem Beschränkungen zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 in Kraft waren. Ursprünglich waren 6763 Personen für die Umfrage kontaktiert worden; in die Analyse wurden die Antworten von 2285 Befragten, die alle Zulassungskriterien erfüllten und alle Fragen beantwortet hatten, aufgenommen.

Befragt wurden die Teilnehmenden nach neun Arten von Kindheitstraumata vor dem 18. Lebensjahr: körperlicher, verbaler oder sexueller Missbrauch sowie Trennung der Eltern, Erleben häuslicher Gewalt und psychische Erkrankung, Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch oder Inhaftierung eines Familienmitglieds. Die Forschenden sammelten außerdem persönliche Daten sowie Angaben zu Erfahrungen mit chronischen Erkrankungen, Vertrauen in Informationen des Gesundheitssystems zu COVID-19 und zur Einstellung gegenüber Beschränkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und COVID-19-Impfungen.

Etwa die Hälfte (52%) der Befragten gab an, kein Kindheitstrauma erlebt zu haben. Einer von fünf Teilnehmenden allerdings war einer Art der Traumatisierung ausgesetzt gewesen, während eine von sechs Personen (17%) sogar zwei bis drei und eine von zehn (10%) vier oder mehr erlebt hatten.

Zusammenhang zwischen Vertrauen in offizielle Informationen und eigenem Handeln

Befragte, die wenig oder kein Vertrauen in die COVID-19-Informationen des britischen National Health Service ausdrückten und die staatlichen Beschränkungen für sehr unfair hielten, sprachen sich eher für die sofortige Aufhebung der Vorschriften aus, die Kontaktbeschränkungen vorsahen sowie das obligatorische Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Die Personen in dieser Gruppe erklärten mit höherer Wahrscheinlichkeit, gelegentlich gegen die Vorschriften verstoßen zu haben, und zögerten sich impfen zu lassen oder lehnten eine Impfung ab.

Beispielsweise berichteten vier von zehn derjenigen, die wenig Vertrauen in die COVID-19-Informationen des NHS hatten, auch über Impfzögerlichkeit, verglichen mit nur 6 % derjenigen, die dieser Informationsquelle vertrauten. Ein vergleichbarer Anteil derjenigen, die den COVID-19-Informationen des NHS nicht wirklich vertrauten, gab zu, gelegentlich gegen COVID-19-Vorschriften verstoßen zu haben – bei Personen, die dem NHS als Informationsquelle vertrauten, war dies bei etwa einer von vier Personen der Fall.

Mehr Arten von Kindheitstrauma, mehr Impfzurückhaltung und -ablehnung

Eine zunehmende Zahl von Kindheitstraumata waren unabhängig davon mit einem geringen Vertrauen in die COVID-19-Informationen des NHS sowie dem Gefühl, dass die staatlichen Beschränkungen unfair seien, assoziiert. Ebenso bestand ein Zusammenhang mit dem Wunsch, dass keine Mund-Nase-Bedeckungen mehr getragen werden müssen: Dies befürworteten unter denjenigen, die in der Kindheit vier oder mehr Arten von Trauma erlitten hatten, viermal so hoch wie bei denjenigen ohne Traumata. Jüngeres Alter, männliches Geschlecht und keine chronischen Erkrankungen in der Vorgeschichte waren ebenfalls signifikant mit dieser Haltung assoziiert. Das Erleben von vier oder mehr Arten von Kindheitstrauma war auch mit dem Wunsch verbunden, die wegen COVID-19 geltenden Kontaktbeschränkungen zu beenden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Personen gegen COVID-19-Beschränkungen verstoßen hatten, stieg mit der Anzahl der erlittenen Kindheitstraumata: Sie war etwa doppelt so hoch bei denjenigen mit vier oder mehr Arten von Trauma im Vergleich zu Personen ohne Traumata in der Kindheit (38% vs. 21%), nachdem Assoziationen mit soziodemografischen Faktoren und einer früheren COVID-19-Infektion oder chronische Erkrankungen in der Vorgeschichte berücksichtigt worden waren.

Ein Zögern in Bezug auf eine COVID-19-Impfung kam bei Betroffenen mit vier oder mehr Arten von Kindheitstrauma dreimal häufiger vor und kam in jüngeren Altersgruppen häufiger vor.

Auf der Grundlage all ihrer Ergebnisse schätzten die Studienautorinnen und -autoren die wahrscheinlichen Raten einer Impfzögerlichkeit je nach Kindheitstrauma und Alter: Diese reichten von etwa 3,5 Prozent bei den über 70-Jährigen ohne ein Trauma in der Kindheit bis zu 38 Prozent bei den 18- bis 29-Jährigen, die vier oder mehr Arten von Kindheitstrauma erlebt hatten.

Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse ist geboten

Da es sich um eine Beobachtungsstudie handelte, konnten keine ursächlichen Zusammenhänge festgestellt werden. Die Forschenden weisen zudem auf mehrere Aspekte hin, die eine Interpretation der Ergebnisse nur unter Vorbehalt möglich machen. So entsprach die Rücklaufquote zwar anderen telefonischen Umfragen, lag aber bei nur etwa 36 Prozent. Außerdem stützten sich die Analysen auf die Erinnerungen der Befragten. Auch waren Frauen überrepräsentiert, während Angehörigen ethnischer Minderheiten unterrepräsentiert waren.

Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass Menschen, die ein Kindheitstrauma erlebt haben, „bekanntermaßen im Laufe des Lebens größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind. Die Ergebnisse hier deuten darauf hin, dass solche Personen möglicherweise größere Schwierigkeiten haben, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit einzuhalten, und folglich zusätzliche Unterstützung benötigen.“

Dies, so erklären die Forschenden, sei nicht nur für die aktuelle Pandemie wichtig, sondern auch für andere Notsituationen in Bezug auf die öffentliche Gesundheit, die in der Zukunft auftreten könnten.

„Ein besseres Verständnis dafür, wie das Vertrauen [dieser Menschen] in die Gesundheitssysteme und die Einhaltung von Gesundheitsrichtlinien gestärkt werden kann, ist dringend erforderlich. Ohne zu überlegen, wie solche Personen am besten eingebunden werden können, besteht für einige die Gefahr, dass sie effektiv von Maßnahmen zum Erhalt der Gesundheit der Bevölkerung ausgeschlossen werden, einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt bleiben und ein potenzielles Übertragungsrisiko für andere darstellen.“