„Zur Presbyopiekorrektur habe ich schon lange auf eine Intraokularlinse wie die Vivity® gewartet“

Dr. med. Harald C. Gäckle
Dr. med. Harald C. Gäckle, einer der beiden ärztlichen Leiter des AugenLaserzentrums in Neu-Ulm, mit der ersten, von ihm implantierten AcrySof® IQ-Vivity®.

1. Lieber Herr Dr. Gäckle, als einer der ersten deutschen Ophthalmologen haben Sie bereits die neue, Presbyopie korrigierende AcrySof® IQ Vivity® implantiert. Was überzeugt Sie an dieser Intraokularlinse?

Gäckle: Mich überzeugt das neue, nicht-diffraktive optische Design der Vivity®, von Alcon auch X-Wave™-Technologie genannt, das für einen erweiterten Sehbereich und mehr Brillenunabhängigkeit sorgt. Gleichzeitig werden durch diese Optik-Technologie störende optische Nebeneffekte wie Halos oder Glare vermieden und treten in nur einem ähnlich geringen Umfang auf wie bei einer monofokalen Intraokularlinse (IOL), weil das Licht eben nicht – wie bei diffraktiven IOL – auf verschiedene Brennpunkte verteilt wird. So erreichen Patienten mit der Vivity eben eine deutlich höhere Brillenunabhängigkeit, ohne Abstriche beim Fernvisus oder der Sehqualität machen zu müssen – beide sind so gut wie mit einer Monofokallinse. Mir als Operateur ist außerdem wichtig, dass die Vivity®-IOL auf dem bewährten AcrySof®-Design basiert, das heißt sie lässt sich leicht und mit den gewohnten Injektoren implantieren, sitzt äußerst stabil im Auge und hat eine sehr niedrige Nachstarrate.

2. Wie zufrieden sind Ihre Vivity®-Patienten mit ihrem Sehvermögen?

Gäckle: Nach meiner Erfahrung ist die überwiegende Mehrheit der Vivity®-Patienten mit ihrem Ergebnis hoch zufrieden. Das Sehvermögen in die Ferne ist ausgezeichnet und auch der Intermediärvisus für Handy und Computer ist als sehr gut zu bezeichnen. Im Nahbereich unter 50 cm müssen sich manche Patienten allerdings auf gewisse Abstriche einstellen, hier kann das Tragen einer leichten Nahbrille sinnvoll sein. Darüber sollten die Patienten vorab ausführlich informiert werden, um spätere Enttäuschungen zu vermeiden. Ich denke aber, dass sehr viele Patienten heutzutage ohnehin hauptsächlich mehr Brillenunabhängigkeit im Bereich Sport und Freizeit sowie für den Umgang mit Handy, Tablet, PC oder dem Navigations­system im Auto wünschen. Viele ­Patienten empfinden es daher oftmals gar nicht als störend, wenn sie ab und zu, zum Beispiel abends beim Lesen, mal eine Nahbrille tragen müssen – sofern sie darauf vorbereitet sind.

3. Was berichten Ihre Vivity®-Patienten hinsichtlich visueller Nebeneffekte wie zum Beispiel Halos oder Glare?

Gäckle: Ich war am Anfang natürlich sehr kritisch, was die visuellen Nebeneffekte anbelangt. Wenn man sich die Vivity®-IOL unter dem Mikroskop anschaut, kann man ja durchaus eine feine, ringförmige Aufwölbung auf der IOL-Vorderfläche erkennen, von der man doch gewisse Effekte erwarten könnte. Ich habe daher postoperativ alle Patienten explizit nach visuellen Nebeneffekten gefragt, und bisher bestätigen sich die guten Studien­ergebnisse auch im Praxisalltag: Bislang hat sich noch kein Vivity®-Patient bei mir über störende Halos oder sonstige positive Dysphotopsien beschwert. Dies ist ja immer das Dilemma mit diffraktiven IOL. Diese liefern zwar funk­tionell durchweg sehr gute Ergebnisse, aber ehrlich gesagt beschwert sich trotz guter Aufklärung dennoch fast jeder dritte Patient zumindest kurz nach der Implantation über Halos. Das lässt zwar mit der Zeit meist nach, dennoch sind Gespräche über Halos und andere störende visuelle Nebeneffekte natürlich sehr zeitraubend und nervig im Praxisalltag. Bei Vivity®-Patienten hatte ich diese Gespräche bislang nicht. Auch über ein etwas vermindertes Kontrastsehen wie bei diffraktiven IOL hat sich bisher ebenfalls kein Vivity®-Patient bei mir beklagt. Insgesamt kann man nach unserer Erfahrung den Fernvisus – ein Erreichen der Zielrefraktion vorausgesetzt – und die generelle Sehqualität mit der Vivity® durchaus mit einer Monofokallinse vergleichen. Da gibt es keine Abstriche.

4. Bei welchen Patienten setzen Sie Vivity bevorzugt ein und warum?

Gäckle: Ich setze momentan Vivity® durchweg bei allen Patienten ein, die mehr Brillenunabhängigkeit wünschen und grundsätzlich kein Problem damit haben, hin und wieder eine Nahbrille zu benötigen. Sehr häufig sind dies jüngere Kataraktpatienten oder auch hyperope Patienten mit dem Wunsch hinsichtlich eines refraktiven Linsentausches (RLE). Bei allen Patienten, die tatsächlich über den gesamten Sehbereich von der Ferne bis in die Nähe möglichst ohne Brille auskommen wollen, setze ich nach wie vor die trifokale PanOptix®-IOL ein, sofern mir der Patient dafür geeignet scheint. So gesehen ergänzen sich die beiden IOL und man sollte eine Alltags- beziehungsweise Berufsanamnese durchführen, um die Sehbedürfnisse der Patienten zu erfassen und die IOL darauf abzustimmen. Einem Fernfahrer zum Beispiel würde ich bedenkenlos eine Vivity®-IOL empfehlen, eine Trifokallinse hingegen eher nicht. Auch bei einer unilateralen Katarakt am dominanten Auge würde ich mich für die Vivity® entscheiden. Abgesehen von dem leicht reduzierten Nahvisus sehe ich keinerlei Nachteile der Vivity®-IOL, sodass es mir schwerfällt, ein absolutes Knock-out-Kriterium zu finden. Lediglich Patienten mit vorbestehenden Augen­erkrankungen wie zum Beispiel visusrelevanten Makulaerkrankungen, Keratokonus, Hornhautnarben oder Amblyopie sollten meines Erachtens nach auch weiterhin selbstverständlich mit Monofokallinsen versorgt werden. Das einzige Manko ist aus meiner Sicht derzeit, dass die Vivity®-IOL bislang leider noch in nur einem beschränkten Lieferbereich von 15– 25 dpt erhältlich ist, ansonsten hätte ich sie bereits noch häufiger implantiert.

5. Welche Empfehlungen können Sie zur Kalkulation der Vivity®-IOL geben?

Gäckle: Insgesamt ist die Vorhersagbarkeit der postoperativen Refraktion der Vivity®-IOL mit den gängigen Konstanten mit der aller anderen renommierten Linsen vergleichbar.

Auch mit der Vivity® verwende ich wie bisher in etwa 90 Prozent der Fälle die Haigis-Formel. Bei hyperopen Patienten über 2 dpt arbeite ich gerne mit der Hoffer-Q-Formel, während ich bei Patienten nach Lasik immer den ASCRS Calculator und die Haigis-L-Formel bemühe und in einer Planungskonferenz mit meinen Opto­metristen und Kollegen die beste IOL-Stärke bespreche. Grundsätzlich – auch bei Nicht-post-Lasik-Patienten – wählen wir die IOL, die minimal in den myopen Bereich tendiert, weil schon kleine hyperope Abweichungen zu weniger Nahvisus führen. Zudem sollte ein vorbestehender Astigmatismus korrigiert werden. Liegt er über 0,75 dpt Zyl. wähle ich eine torische IOL, darunter korrigiere ich den Astigmatismus durch arkuate Inzisionen mittels Femtolaser. Außerdem bin ich bei Vivity®-Patienten auch ein großer Freund einer Mini-Mono­vision im nicht dominanten Auge. Natürlich muss das vorab mit dem Patienten besprochen werden, aber schon 0,5 dpt Myopie bringt circa 10 cm mehr Nahvisus ohne wesentliche Einbuße in die Ferne am nicht-dominanten Auge. Diese 10 cm mehr Nahvisus können manchmal entscheidend sein, ob ein Patient bilateral nur „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ ist. Sollte sich der Patient durch die Mini-Monovision doch gestört fühlen, könnte man im schlimmsten Falle mittels Lasik gut nachkorrigieren.

6. Wie hat sich die Versorgung mit Presbyopie-korrigierenden IOL durch die Einführung der Vivity® in ihrer Praxis verändert?

Gäckle: Dazu kann ich gleich vorneweg sagen, dass ich schon lange auf eine IOL wie die Vivity® gewartet habe. Seit jeher habe ich Patienten, die zwar gerne mit einer Multifokal­linse versorgt werden wollen, die mir aber charakterlich ungeeignet erscheinen. Das kennt jeder. Auch bei Hobbymalern, Fotografen oder Menschen, die viel am Mikroskop arbeiten (ja, auch Augenärzte) können diffraktive IOL durch den Kontrastverlust und die Halos Probleme machen. Hier würde ich bei Wunsch nach Brillenunabhängigkeit eher mal bedenkenlos zur Vivity®-IOL greifen, weil optisch störende Nebenwirkungen einfach nicht auftreten. Insofern kann man schon sagen, dass die Anzahl an Patienten, die nun mit einer Presbyopie-korrigierenden IOL versorgt werden kann, durch die Vivity®-IOL in meiner Praxis ansteigen wird – weil ich jetzt auch Patienten versorgen kann, die ich früher einfach heimschicken musste.

7. Welchen Tipp würden Sie Anwendern geben, die Vivity® in ihrer Praxis einführen wollen?

Gäckle: Das Wichtigste vor Implantation einer Vivity®-IOL ist neben der Aufklärung über die vielen Vorteile dieser Linse unbedingt auch die Betonung der Abstriche, die im Nah­bereich gemacht werden müssen. Ansonsten gelten die üblichen Aufklärungs­punkte. Bezüglich Kataraktpatienten mit Wunsch nach mehr Brillenunabhängigkeit gibt es aus meiner Sicht nichts Besonderes zu beachten. Hinsichtlich RLE empfiehlt es sich, mit hyperopen Patienten zwischen +1 und +3 dpt mit geringem Astigmatismus zu starten. Diese Gruppe halte ich für die dankbarste. Bei myopen Patienten rate ich aufgrund des erhöhten Netzhautablösungsrisikos meist generell von einem RLE ab, außerdem könnten sie eventuell mit dem Nah­visus der Vivity®-IOL nicht zufrieden sein. Grundsätzlich kann man sich über­legen, Vivity®-Patienten als kleines „Giveaway“ eine einfache Nahbrille mit +1,5 dpt mitzugeben. Das kostet nicht viel und der Patient hat von Anfang an eine Grundversorgung für den Nahbereich. Außerdem sollte bei der Nachsorge unbedingt auch auf eine vorliegende Sicca-Symptomatik geachtet werden, die zu einer Visusminderung führen kann und daher intensiv therapiert werden sollte. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass durch die Einführung der Vivity®-IOL noch mehr Patienten zu mehr Brillenunabhängigkeit verholfen werden kann – auch solchen mit hohen Ansprüchen an Sehqualität und Fernvisus.

Referenzen:

1.  Alcon Data on File, US Patent 9968440 B2, May 15, 2018.
2.  Klinischer Studienbericht zur Studie ILI875-C002 v.2.0 TDOC-0055576  29-Mar-19.
3.  Klinischer Studienbericht zur Studie  ILI875-C001 v1 TDOC-0055575. 09-Apr-2019.

Mit freundlicher Unterstützung der Alcon Pharma GmbH

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