Zweiter Coronawinter: Sitzender Lebensstil schadet Gelenken und kann Arthrose begünstigen28. Dezember 2021 Foto: chika_milan – stock.adobe.com Die AE – Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. rät bei einem bewegungsarmen Lebensstil Muskulatur und Bänder täglich mehrmals bewusst zu dehnen. Zudem gelte es, Sitzgelegenheit und Sitzposition häufig zu variieren sowie grundsätzlich viel Bewegung in den Alltag zu integrieren. Dies treffe auch auf Patientinnen und Patienten zu, denen der Ersatz ihres Hüft- oder Kniegelenkes bevorsteht. Die Corona-Pandemie geht in den zweiten Winter. Der Bewegungsmangel während der Corona-Pandemie durch Homeoffice und Kontaktbeschränkungen schadet auch Hüfte und Knie. Denn Hohlkreuz, verkürzte Schrittlänge oder Steifigkeit sind häufig die Folge. „Durch das stundenlange Verharren in der Sitzposition mit gebeugtem Hüft- und Kniegelenk verspannen und verkürzen sich die beteiligten Muskeln, Sehnen und Faszien“, sagt Prof. Karl-Dieter Heller, AE-Präsident und Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik am Herzogin Elisabeth Hospital in Braunschweig. Dies könne langfristig zu einer Fehl- und Überbelastung der Gelenke führen. Erste Zeichen für Fehlbelastungen sei etwa eine Verstärkung der natürlichen Krümmung der Lendenwirbelsäule, mit Betonung des Bauches (Hohlkreuz). „Das hat nichts mit ein paar Kilos zu viel zu tun“, so Heller. Vielmehr sind hier die Hüftbeuger durch das ständige Sitzen und Verharren in der Beugeposition im Vergleich zur Gesäß- und Bauchmuskulatur verkürzt. Da die Hüftbeuger auch am Becken ansitzen, kippen diese das Becken unnatürlich nach vorne.“ Gleichzeitig verhindern die verkürzten Hüftbeuger das ausgleichende Überstrecken als natürliche Gegenbewegung zur Gelenkentlastung. Sie führen so zu einer weiteren Verkürzung der Hüftbeuger. Ein Teufelskreis, sagt Heller. Dies trifft auch auf die Knie zu: durch Dauersitzen verkürzen sich die hinteren Muskelgruppen des Oberschenkels. Hält dieser Zustand länger an, lässt sich das Kniegelenk immer schlechter strecken. Die Entlastung durch eine entsprechende Gegenbewegung sei dann ebenfalls nicht mehr möglich, die Gelenke würden einseitig überlastet, so der Orthopäde und Unfallchirurg. „Eine Gelenkkontraktur ist neben Vererbung, Unfall, Übergewicht und Fehlstellung ein verstärkender Faktor für Gelenkarthrose“, so Heller. „Eine Kombination dieser Faktoren erhöht das Risiko. Im schlimmsten Fall steht am Ende einer solchen Entwicklung ein Gelenkersatz.“ Laut dem im Oktober 2021 veröffentlichten DVK-Gesundheitsreport (1) sitzen Deutsche pro Werktag inzwischen 8,5 Stunden – eine Stunde mehr als noch 2018. Junge Erwachsene (18–29 Jahre) sitzen sogar mittlerweile rund 10,5. Durch das Homeoffice kommen neue Belastungen wie etwa weniger Sitzunterbrechungen hinzu: 43 Prozent der Befragten im Homeoffice finden es im Vergleich zum Arbeiten im Büro schwieriger, ihre Sitzzeit zu reduzieren. 59 Prozent der Menschen, die im Homeoffice arbeiten, sagen, dass sie keine Unterstützung von ihrem Arbeitgeber erhalten, um ihre Sitzzeiten zu verringern. Doch wer sich nicht genügend bewegt, schadet seiner Gesundheit. Zudem schreitet mangelnde Beweglichkeit unbemerkt fort. Dabei helfen schon kleine Maßnahmen: „Es geht nicht darum, den perfekten Stuhl zu finden oder die ganze Zeit zu stehen“, so Heller. „Keine Position, die wir zu lange einnehmen, ist gut für uns.“ Vielmehr seien Regelmäßigkeit und Abwechslung wichtig: „Wir sollten jede kleine Unterbrechung im Büroalltag für Dehn- und Kräftigungseinheiten nutzen. Während Ihr Teewasser kocht, können Sie etwa Ihren Psoas – den größten Beugemuskel in unserer Hüfte -, durch einen Ausfallschritt nach vorne dehnen. Jeweils 30 Sekunden pro Seite, drei Wiederholungen.“ Das Integrieren von bewusster Bewegung sei auch für Patientinnen und Patienten wichtig, die auf ein Ersatzgelenk warten: „Wir beobachten vermehrt eingesteifte Gelenke“, stellt Prof. Carsten Perka, Generalsekretär der AE, fest. „Dies hängt damit zusammen, dass unsere Patienten jetzt pandemiebedingt wieder länger auf ihre OP warten und sich der Zustand ihrer Gelenke in der Zwischenzeit weiter verschlechtert. Ein zusätzlicher Bewegungsmangel verstärkt diese Entwicklung.“ Dabei gelte auch für eine Hüft- und Knie-OP: „better in – better out“, so der Ärztliche Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Der körperliche Zustand vor der OP wirke sich auf das Ergebnis der Implantation eines neuen Hüft- oder Kniegelenkes aus. Dies belege auch der aktuell veröffentlichte Jahresbericht des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD) (2). „Wir dürfen das Dauer-Sitzen nicht zur Gewohnheit werden lassen“, betont Perka, der auch Sprecher des EPRD ist. „Wir sind nicht für ein eingesperrtes Leben wie im Zoo gemacht.“ Auch über die Weihnachtstage sollte man täglich mehrmals rausgehen und sich zwischendurch dehnen. Quellen: Der DEVK-Report 2021: Wie gesund lebt Deutschland? EPRD Jahresbericht 2021 Weitere Informationen: WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour, 25 November 2020 DIE WHO empfiehlt allen Erwachsenen von 18 bis 64 Jahren, auch denjenigen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung, zudem, jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten aktiv zu sein. Menschen ab dem 65. Lebensjahr empfiehlt die Organisation, zunehmend Aktivitäten in ihr Bewegungsprogramm einzubauen, die den Fokus auf Koordination, Gleichgewicht und Stärkung der Muskelkraft legen – und dies an mindestens drei Tagen in der Woche.
Mehr erfahren zu: "Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen" Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen Eine neue internationale Studie konnte nun die Schritte entschlüsseln, die das menschliche Becken im Laufe von Millionen von Jahren so veränderten, dass zweibeiniges Gehen möglich wurde.
Mehr erfahren zu: "Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt" Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der Einsatz eines kleinen Moleküls als Blocker zur Hemmung des SUMO2-Proteins eine erfolgreiche Strategie gegen Synovialsarkome sein könnte.
Mehr erfahren zu: "KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen" KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen Was denken Patienten über Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin? Eine internationale Studie liefert eine Antwort. Zentrales Ergebnis: Je schlechter der eigene Gesundheitszustand, desto eher wird der Einsatz von KI […]