Zwischen Kittel und Klausuren: Wie aus einem kahlen Zimmer und fremden Menschen ein zweites Zuhause wird

Eine Kolumne von Fine Lammert

Wie aus einem kahlen Zimmer und fremden Menschen ein zweites Zuhause wird

Auf einer Matratze auf dem Boden meines neuen Zimmers und mit zwei Lampen ohne Glühbirnen darin. Voller Aufregung und Vorfreude, aber auch Nervosität wegen dem, was noch so kommen würde. Was auch immer das war…

So verbrachte ich meine erste Nacht in meiner WG in der neuen Stadt. Wie bin ich überhaupt zu der WG gekommen? Eine eigene Wohnung kam für mich damals nicht in Frage, da ich gern schonmal Leute kennenlernen wollte, aus Angst, nachher in meinem Semester keine Freunde zu finden und einsam in mein Studium zu starten. Also hatte ich auf einer Website nach WGs in Münster gesucht und hatte großes Glück: Von der ersten WG, die mich auf meine Bewerbung hin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, bekam ich direkt eine Zusage. Jetzt wohne ich mit drei supernetten Mitbewohnern in toller Lage direkt in Münster. Besser hätte ich es kaum erwischen können. Wir studieren alle etwas Unterschiedliches, sind aber im gleichen Alter und verstehen uns sehr gut. Die abendlichen Küchengespräche oder Spielerunden sind außerdem eine hervorragende Möglichkeit, um sich von anstehenden Prüfungen und der ganzen Lernerei abzulenken.

Mein erster Anlass, in meiner WG zu übernachten, knapp eine Woche nach der Schlüsselübergabe, war ein Infotreffen, zu dem der Studiendekan der medizinischen Fakultät in Münster alle Erstsemester-Studierenden eingeladen hatte. Natürlich wollte ich da unbedingt hin: es war eine erste Möglichkeit für mich, um meine zukünftigen Kommilitonen und Kommilitoninnen kennenzulernen und vielleicht danach nicht mehr ganz so im Ungewissen zu sein über das, was mich in Zukunft so erwarten würde. Als ich endlich den richtigen Eingang fand, traf ich schon ein paar Gleichgesinnte. Einfach zu erkennen an den leicht fragenden und teilweise neugierig musternden Blicken. Ich gesellte mich zu einer kleinen Gruppe dazu und wir tauschten uns ein bisschen aus. Man merkte schnell, dass es allen irgendwie ähnlich erging. Alle suchten neue Freunde, eine Wohnung, wenn noch nicht geschehen, und mussten sich erstmal zurechtfinden. Das machte es viel einfacher direkt ins Gespräch zu kommen, was mich sehr erleichterte. Die große Hürde neue Leute und am besten gute Freunde und Freundinnen fürs ganze Studium kennenzulernen, schien auf einmal gar nicht mehr so groß. So kam es dann auch, dass die Mädels, neben denen ich an diesem ersten Tag saß, jetzt zwei meiner engsten Freundinnen in Münster geworden sind. Vor lauter Aufregung und dem Drang Freundschaften zu schließen habe ich im Endeffekt kaum Informationen über das Studium für mich mitgenommen, was aber nachher auch nicht schlimm war, irgendwie regelte sich dann doch alles wie von selbst.

Der Monat bis zur Ersti-Woche verging dann wie im Flug. In der Zeit habe ich noch den Rest meines Pflegepraktikums absolviert und versucht noch möglichst viel mit meiner Freundesgruppe aus meiner Heimat Düsseldorf zu unternehmen, bevor für mich das neue Kapitel startete.

Kaum angekommen in Münster, wurde ich direkt in eine Woche voller Chaos, Kennenlernspiele und abenteuerlicher Kneipentouren geworfen. Die Ersti-Woche – berühmt-berüchtigt als die Zeit, in der man in kürzester Zeit unzählige Namen lernt, sie genauso schnell wieder vergisst und trotzdem irgendwie am Ende mit einer Handvoll Menschen das Gefühl hat, sich schon ewig zu kennen. Ich weiß gar nicht, von wie vielen Personen ich in diesem Tagen immer die gleichen Fragen beantwortet und gestellt bekommen hab: Wie heißt du? Wo kommst du her? Wo wohnst du in Münster? Oder etwas kreativer und daher eindeutig mein Favorit: Wenn du ein Tier wärst, welches wärst du? Die Antworten auf diese Frage (unter anderem Giraffe, Schildkröte oder Kaulquappe) haben uns einige Lacher beschert und das Namenlernen etwas vereinfacht.

Von morgens bis abends gab es Programmpunkte: Stadtführungen, Rallyes, Infoveranstaltungen – und natürlich die legendären Abende, die mit Bier Pong begannen und oft erst endeten, wenn es schon viel zu spät war, um am nächsten Tag auch wirklich ab morgens mit den Gedanken aufmerksam anwesend zu sein.

Für mich war diese Woche der perfekte Einstieg. Plötzlich fühlte sich die Stadt weniger fremd an, die Mitstudierenden nicht mehr wie Unbekannte, sondern wie Verbündete in diesem neuen Abenteuer namens Medizinstudium. Die Mischung aus Feiern und dem gemeinsamen, leicht verkaterten Versuch, die ersten Vorlesungen zu besuchen, hat ein besonderes Band zwischen uns geschaffen – eines, das bis jetzt besteht.

Irgendwann trudelte dann aber doch der Alltag ein. Ich gewöhnte mich langsam an die Menge an Lernstoff, die einem in den Vorlesungen geradezu hingeschmettert wird und lernte etwas besser damit umzugehen – nachdem ich in meiner ersten Biologie Vorlesung noch versuchte mitzuschreiben und kläglich nach fünf Minuten versagte, um schließlich verwirrter den Vorlesungsaal zu verlassen als zu betreten.

Mein Stundenplan im ersten Semester sah jeden Tag mindestens vier Vorlesungen ab acht Uhr vor, erst am Nachmittag dann die zahlreichen verpflichtenden Praktika und Seminare. Mein Horror-Tag: Mittwoch. Den morgendlichen Vorlesungen in den Fächern Physik, Chemie und Anatomie, abwechselnd mit Biologie, schloss sich ein dreistündiges Physikpraktikum in einem dunklen Raum ohne Fenster an. Danach hatten wir bis 19.45 Uhr Terminologie. Mehr als im Bett liegen und Serie schauen war Mittwoch abends dann ehrlich gesagt nicht drin.

Ab dem letzten Drittel des Semesters ging ich dann nicht mehr zur Physik- und Anatomie Vorlesung hin. Nach der Schulzeit fühlt sich zwar erstmal komisch an nicht zu Lehrveranstaltungen hinzugehen und am Anfang musste ich durchaus gegen das aufkeimende schlechte Gewissen ankämpfen, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich in der gleichen Zeit sehr viel mehr allein lernen und erreichen kann. Vor allem wenn die Lehrenden nur von ihren Vorlesungsfolien ablesen oder die Wissensvermittlung leider nicht zu ihren Kernkompetenzen zu zählen schien. Netterweise bekamen wir in den meisten Fächern die Vorlesungsinhalte online zur Verfügung gestellt, was das Nacharbeiten dann sehr erleichterte.

Jeder Studierende entwickelt mit der Zeit seine eigene Strategie, wenn es um Vorlesungen geht. Manche schwören darauf und sitzen diszipliniert jeden Tag in der Reihe und andere tauchen nur zu den Pflichtveranstaltungen auf. Letztlich hängt es stark vom eigenen Lerntyp ab – während die einen durch das Zuhören den Stoff verinnerlichen, brauchen andere das Selbststudium in der Bibliothek, um wirklich etwas zu behalten.

Ich persönlich habe mir vorgenommen, erst mal zu jeder Vorlesung zu gehen. Nicht mehr aus Pflichtgefühl, sondern weil ich durch Vorlesungen eigentlich gut lernen kann. Aber ich merke auch schnell: Nicht jeder Dozent hält mich bei der Stange, nicht jede Vorlesung bringt mir mehr als gute Lernplattformen. Deshalb entscheide ich am Anfang des Semesters, wo sich das Erscheinen wirklich lohnt und wo ich mir die Zeit besser für eigenständiges Lernen nehme. Die Atmosphäre in der Bibliothek mag ich allerdings überhaupt nicht. Außerdem scheinen mir die anderen Menschen um mich herum viel spannender als die Anatomie-Vokabeln oder Formeln, die gerade vor mir liegen… nicht so vorteilhaft, wenn in einer Woche das nächste Testat ansteht.

Also lerne ich dann am liebsten allein in meinem gemütlichen WG-Zimmer, die Wände voll mit Fotos von Menschen, die ich vor einem Jahr nicht mal kannte und welches sich schon nach diesem aufregenden 1. Semester nach einem richtigen Zuhause anfühlte.

Wie es uns Studierenden ermöglicht wird, aktiv die Lehrveranstaltungen für die nachfolgenden Semester zu verbessern, sodass vielleicht doch eine höhere Anwesenheitsquote in manchen Vorlesungen erreicht wird, erfahrt ihr, wie noch so einiges mehr, im nächsten Teil.