Bisher unbekannte Fähigkeit des autonomen Nervensystems entdeckt

Nervenzelle kontaktiert eine Muskelfaser (Quelle: © Kateryna_Kon – stock.adobe.com)

Das autonome Nervensystem ist als Steuerungszentrale für Abläufe im Körper wie Atmung oder Herzschlag bekannt, die nicht willentlich beeinflusst werden können. Dass dieser Teil des Nervensystems auch die Fähigkeit zur spontanen Wiederherstellung der Muskelfunktion in Folge von Nervenverletzungen besitzt, hat nun eine Forschungsgruppe der MedUni Wien entdeckt.

Die bislang in der Wissenschaft nicht bekannte Facette im Zusammenspiel von Nerven und Muskeln entdeckte das wissenschaftliche Team um Vlad Tereshenko und Oskar Aszmann vom Klinischen Labor für Bionische Extremitätenrekonstruktion der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie der MedUni Wien im Zuge seiner präklinischen Forschungen an Gesichtsnerv und -muskulatur. Nach Verletzung beziehungsweise Durchtrennung kann der Nerv die Gesichtsmuskulatur nicht mehr motorisch steuern, was sich im Tiermodell in Gesichtslähmungen äußerte.

Tage bis Wochen nach der Nervenläsion stellten die Wissenschaftler in manchen Fällen eine spontane Wiederherstellung der Muskelfunktion fest. Mithilfe neuartiger Methoden erkannten sie dabei, dass das autonome Nervensystem die Funktion des verletzten Nervs gleichsam übernimmt. „Bisher wusste man nicht, dass das autonome Nervensystem die Muskulatur mit Nervenimpulsen motorisch steuern kann. Wie wir in unseren Experimenten gesehen haben, bilden dafür die parasympathischen Nervenfasern neue funktionelle neuromuskuläre Synapsen. Gleichzeitig werden die Muster der Muskelfasern modifiziert und somit die physiologischen Eigenschaften der autonom re-innervierten Muskeln geändert“, verdeutlicht Erstautor Vlad Tereshenko die zentralen Studienergebnisse.

Potenzieller Akteur für Nervenrekonstruktion

Infolge von Verletzungen oder verschiedenen Krankheiten können Nerven vorübergehend oder dauerhaft ihre Fähigkeit verlieren, die Muskulatur motorisch zu steuern. Für die dadurch entstehenden motorischen Ausfälle stehen heute gut etablierte therapeutische Konzepte wie Nervenumlagerungen oder Nerventransplantationen zur Verfügung. Allerdings können verschiedene Faktoren wie das langsame Tempo der Nervenregeneration oder der Mangel an Spendernerven die klinischen Ergebnisse beeinträchtigen. „Mit der Identifizierung der bisher unbekannten Fähigkeit des autonomen Nervensystems haben wir einen neuen potenziellen Akteur für die Nervenrekonstruktion entdeckt. So können unsere Studienergebnisse dabei helfen, die bestehenden therapeutischen Maßnahmen zu verbessern und neue zu entwickeln“, stellt Tereshenko in Aussicht.

Folgestudien sollen die Erkenntnisse über die neue Facette im neuromuskulären System vertiefen. So gilt es unter anderem die Frage zu klären, ob und wie die autonomen Nervenfasern chirurgisch
umgelagert werden können, um vorübergehend oder dauerhaft für die Wiederherstellung der
Muskelfunktion zu sorgen.