CEDs in Schwellenländern: Studie belegt Anstieg in Afrika, Asien und Lateinamerika

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen werden üblicherweise auch mit einer westlichen Ernährungsweise in Verbindung gebracht. Das ist aber wahrscheinlich nur die halbe Wahrheit, was den Beitrag der Ernährung zu CEDs angeht. (Abbildung: © Sebastian Kaulitzki/stock.adobe.com)

Eine weltweite Untersuchung zu Chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CEDs) beschreibt vier verschiedene Stadien der Ausbreitung in sich wirtschaftlich entwickelnden Regionen.

Lange Zeit wurden CEDs als „moderne“ Erkrankungen im industrialisierten Westen angesehen: Die Zahl der Krankheitsfälle nahm im Verlauf des 20. Jahrhunderts in Nordamerika und Europa stetig zu. Forschungen eines internationalen Konsortiums zeigen nun, dass CEDs und damit in Zusammenhang stehende gesundheitliche Probleme sich jetzt auch in Schwellenländern in Afrika, Asien und Lateinamerika ausbreiten.

Für die gerade in „Nature“ publizierte Arbeit griffen die Autoren auf mehr als 500 bevölkerungsbasierte Studien zurück, die mehr als 80 geografische Regionen abdecken. Dabei beschreiben die Wissenschaftler ein Muster aus vier unterschiedlichen Stadien der Entwicklung von CEDs, mit denen diese sich von einem ersten Auftreten in einer Region in der örtlichen Bevölkerung verbreiten. Damit hoffen die Forschenden, Hinweise darauf geben zu können, wie lokale Gesundheitssysteme mit der wachsenden CED-Last umgehen.

Durchgeführt wurde die Studie von einem Konsortium mit dem Namen „Global IBD Visualization of Epidemiology Studies in the 21st Century“ (GIVES21). Dabei handelt es sich um eine Gruppe internationaler Experten unter der Leitung von Dr. Gilaad G. Kaplan (Universität Calgary/Kanada) und Siew C. Ng (Chinesische Universität Hongkong/China). GIVES21 hat eine große Sammlung epidemiologischer Daten zu CEDs aufgebaut und stellt Forschenden wie auch Medizinern und Patienten den vollständigen Datensatz mit einer Web-basierten Anwendung zur Verfügung. „Dies ist das Ergebnis einer großen gemeinschaftlichen Anstrengung, um CEDs auf der ganzen Welt zu verstehen“, erläutert GIVES21-Mitglied Dr. David T. Rubin von der Universität Chicago (USA). „Jetzt, da wir erkennen, was sich in Sachen CEDs in Schwellenländern tut, können wir uns darauf fokussieren, Möglichkeiten für die Behandlung an solchen Orten zu finden, wo diese Erkrankungen neu sind. Wir können sie auch in diesen neuen Regionen erforschen, um so möglicherweise neue Hinweise darauf zu finden, wie es zu dieser Entwicklung kommt und wie man sie verhindern kann“, ergänzt der neu ernannte Vorsitzende der International Organization for the Study of IBD (IOIBD), die die neue Studie unterstützte.

Untersuchung von Daten aus hundert Jahren

Die Analyse von Daten aus rund hundert Jahren ergab vier vorhersagbare Stadien, mit denen sich CEDs ausbreiten:

Erstes Auftreten: Aktuell zu beobachten in Ländern mit geringem Einkommen, wobei die Zahl sowohl der neu diagnostizierten Fälle als auch der Fälle insgesamt gering bleibt.

Beschleunigung bei der Inzidenz: Dieses Stadium ist geprägt von einem raschen Anstieg von Neudiagnosen, wenn die Industrialisierung in der betroffenen Region zunimmt und sich die Lebensgewohnheiten der dort lebenden Menschen verändern. Die Fallzahlen insgesamt bleiben dabei aber begrenzt.

Zunahme der Prävalenz: Bei sich stabilisierender Inzidenz wächst die Prävalenz – angetrieben von einer geringen Mortalität und sich akkumulierender Fälle in der jüngeren Bevölkerung.

Prävalenz-Ausgeglichenheit: Projiziert in verschiedenen Regionen mit hohem Einkommen bis zum Jahr 2045, wo ein Gleichgewicht zwischen Neudiagnosen und mit der Erkrankung assoziierten Todesfällen besteht und die Gesamtprävalenz ein Plateau erreicht.

Epidemiologische Stadien von CEDs weltweit von a) 1950-1959, b) 1960-1969, c) 1970-1979, d) 1980-1989, e) 1990-1999, f) 2000-2009, g) 2010-2019 und h) 2020-2024. (Grafik: © Hracs et al., Nature)

Als Erkrankungen mit einer chronischen Entzündung, die durch Reaktionen des Immunsystems angetrieben wird, sind CEDs mit der westlichen Ernährungsweise in Zusammenhang gebracht worden: ein großer Anteil von in hohem Maße verarbeitete Lebensmittel, tierischen Produkten und Zucker, bei gleichzeitig eher geringen Anteilen von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten. Menschen in industrialisierten Wirtschaftssystemen neigen dazu, mehr Element einer solchen Ernährung anzunehmen – doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, wie die Forschenden betonen. So steigen die CED-Fallzahlen beispielsweise auch in Indien, wo sich ein großer Teil der Bevölkerung vegetarisch ernährt.

Laut Rubin können auch andere Faktoren als die Lebensmittel selbst zur Zunahme von CED-Fällen beitragen. So mehren sich Hinweise darauf, dass die Zubereitungsart und die Lagerung einen Einfluss haben: Immer stärker werden die Auswirkungen von Emulgatoren und Mikroplastik im Essen auf CEDs untersucht. Rubin unterstreicht außerdem, dass es wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass es sich bei CEDs um Dutzende verschiedene Erkrankungen handelt – ausgelöst durch „Myriaden genetischer und Umweltfaktoren“, wie es in einer Mitteilung der Universität Chicago anlässlich der Veröffentlichung der GIVES21-Studie heißt. „Wenn man berücksichtigt, wo man die Erkrankung erforscht, was genau man untersucht und welche Personen eine CED entwickeln, bekommt unterschiedliche Ideen davon, was sie verursachen könnte“, erklärt Rubin. „Das hilft uns dabei, die unterschiedlichen Typen von CEDs voneinander zu unterscheiden und die jeweils richtige Behandlung zu finden.“

Erkenntnisse auf lokaler Ebene anwenden

Als Leiter des Inflammatory Bowel Disease Center an der Universität Chicago hofft Rubin, einige der der neuen Einblicke dort in einem kleineren Maßstab anwenden zu können. Er plant gemeinsam mit Kollegen in Chicago eine eigene epidemiologische Studie aufzusetzen. Deren Ziel: zu verstehen, wie unterschiedliche sozioökonomische Faktoren und der Zugang zu medizinischer Versorgung die zu großen Teilen aus Personen mit afroamerikanischer oder lateinamerikanischer Abstammung bestehenden Patientenpopulationen im Süden und Südwesten der Stadt beeinflussen, die häufig an einer stärker ausgeprägten Form von CEDs leiden. „Wir haben hier zwar eines der größten CED-Zentren weltweit, doch nur einen Kilometer entfernt gibt es eine deutliche Diskrepanz in puncto Diagnostik und fachärztlicher Versorgung“, betont Rubin. Erkenntnisse aus globalen Untersuchungen auf den Mikrokosmos der südlichen Stadtteile Chicagos anzuwenden, sei „unglaublich wichtig, um bessere Wege für die Diagnose, Behandlung und letztendlich auch die Prävention von CEDs bei unseren eigenen Patienten zu finden.“