COVID-19 erhöht das Risiko für langfristige gastrointestinale Störungen

Ziyad Al-Aly hat als klinischer Epidemiologe an der Washington University School of Medicine in St. Louis und dem Veterans Affairs St. Louis Health Care System (USA) mehrere Studien zu COVID-19 geleitet. Seine neuesten Erkenntnisse zeigen, dass Menschen, die an COVID-19 erkrankten, ein erhöhtes Risiko dafür besitzen, innerhalb des ersten Monats bis zu einem Jahr nach der akuten Erkrankung eine Reihe von gastrointestinalen Störungen zu entwickeln. (Foto: © Matt Miller/Washington University)

Menschen, eine COVID-19-Erkrankung überstanden haben, besitzen offenbar ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung gastrointestinaler Störungen.

Das geht aus einer Datenanalyse von Forschenden der Washington University School of Medicine in St. Louis und Medizinern des Veterans Affairs St. Louis Health Care System (USA) hervor.

Zu diesen gastrointestinalen Störungen gehören Leberprobleme, akute Pankreatitis, Reizdarmsyndrom, Säurereflux und Geschwüre in der Magenschleimhaut oder im oberen Darm. Der Gastrointestinal-Trakt nach COVID-19 ist auch von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Obstipation, Diarrhoe, abdominale Schmerzen und Erbrechen betroffen.

„Magen-Darm-Probleme gehörten zu den ersten, die von Patienten angegeben wurden“, berichtet Seniorautor Dr. Ziyad Al-Aly, ein klinischer Epidemiologe an der Washington University. Er hat die langfristigen Auswirkungen einer COVID-19-Erkrankung eingehend untersucht. „Es wird immer deutlicher, dass der Magen-Darm-Trakt als Reservoir für das Virus dient.“

Die neuen Ergebnisse bauen auf früheren Forschungsarbeiten von Al-Aly auf, in denen die anhaltenden Auswirkungen von COVID-19 auf Gehirn, Herz, Nieren und andere Organe detailliert beschrieben wurden. Seit der Pandemie haben Al-Aly und sein Forschungsteam eine Reihe von Studien zu den erweiterten Gesundheitsrisiken veröffentlicht, die SARS-CoV-2 birgt. Darin hatten sie insgesamt etwa 80 gesundheitliche Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Long-COVID festgestellt.

„Zu diesem Zeitpunkt in unserer Forschung haben uns die Ergebnisse zum Magen-Darm-Trakt und Long COVID nicht überrascht“, erklärt Al-Aly. „Das Virus kann zerstörerisch sein, selbst bei Personen, die als gesund gelten oder leichte Infektionen hatten. Wir sehen, dass COVID-19 jedes Organsystem im Körper angreifen kann, manchmal mit schwerwiegenden Langzeitfolgen, einschließlich des Todes.“

Die Wissenschaftler schätzen, dass SARS-CoV-2-Infektionen bisher zu mehr als sechs Millionen neuen Fällen gastrointestinaler Erkrankungen in den USA und 42 Millionen neuen Fällen weltweit beigetragen haben. „Das ist keine geringe Zahl“, betont Al-Aly, der Patienten im VA St. Louis Health Care System behandelt und der dessen Leiter für Forschung und Entwicklung ist. „Es ist von entscheidender Bedeutung, die gastrointestinale Gesundheit als integralen Bestandteil in die postakute COVID-Versorgung einzubeziehen.“

Für die Studie analysierten die Forscher etwa 14 Millionen anonymisierte Krankenakten in einer Datenbank, die vom U.S. Department of Veterans Affairs, dem größten integrierten Gesundheitssystem der USA, geführt wird. Sie erstellten einen kontrollierten Datensatz von 154.068 Personen, die im Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 15. Januar 2021 positiv auf COVID-19 getestet wurden und die die ersten 30 Tage nach der Infektion überlebt hatten. Die Forschenden setzten statistische Modelle ein, um die gastrointestinalen Outcomes im COVID-19-Datensatz mit zwei anderen Gruppen von Personen zu vergleichen, die sich nicht mit dem Virus infiziert hatten: eine Kontrollgruppe von mehr als 5,6 Millionen Personen, die im gleichen Zeitraum nicht an COVID-19 erkrankt waren, sowie eine Kontrollgruppe von mehr als 5,8 Millionen Menschen aus dem Zeitraum 1. März 2018 bis 31. Dezember 2019, also vor der COVID-19-Pandemie.

Insgesamt waren GI-Erkrankungen bei Menschen mit COVID-19 um 36 Prozent wahrscheinlicher als bei solchen, die nicht mit dem Virus infiziert waren. Dies umfasst sowohl Personen, die wegen einer SARS-CoV-2-Infektion hospitalisiert wurden, als auch solche, bei denen dies nicht der Fall war.

„Viele Menschen ziehen Vergleiche zwischen COVID-19 und der Grippe“, fährt Al-Aly fort. „Wir haben die Gesundheits-Outcomes bei mit einer Grippe hospitalisierten Patienten verglichen mit denen von Personen, die mit COVID ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Wir beobachteten auch dann ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale Erkrankungen bei Menschen, die mit COVID-19 hospitalisiert wurden. Selbst in der fortgeschrittenen Pandemie bleibt COVID-19 eine ernstere Erkrankung als die Grippe.“

Bei den für die Studie untersuchten Personen handelte es sich hauptsächlich um ältere weiße Männer. Die Autoren analysierten jedoch auch Daten von mehr als 1,1 Millionen Frauen und Erwachsenen aller Altersgruppen und ethnischer Zugehörigkeiten. „Zu denjenigen, die nach der Infektion langfristige gastrointestinale Probleme bekamen, gehörten Menschen jeden Alters, Geschlechts und ethnischen Hintergrundes“, unterstreicht Al-Aly.

Darüber hinaus waren nur wenige Personen in der Studie gegen COVID-19 geimpft worden, da die Impfstoffe während der Zeitspanne der Studie von März 2020 bis Anfang Januar 2021 noch nicht allgemein verfügbar waren. Die Daten stammen auch aus der Zeit vor Delta, Omikron und anderen COVID-19-Varianten. Neuere Daten, so die Forschenden, deuteten darauf hin, dass die COVID-19-Impfstoffe zumindest einen gewissen Schutz gegen Long-COVID-19 böten.

„Zwar können die Impfstoffe dazu beitragen die Risiken für Long-COVID zu verringern, bieten jedoch keinen vollständigen Schutz vor langfristigen Symptome von COVID-19, die Herz, Lunge, Gehirn und, wie wir jetzt wissen, den Gastrointestinaltrakt betreffen können“, ergänzt Al -Aly.

Im Vergleich zu Patienten in den Kontrollgruppen hatten COVID-19-Patienten ein um 62 Prozent erhöhtes Risiko dafür, Geschwüre in der Magen- oder Dünndarmschleimhaut zu entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit für Magensäurereflux war um 35 Prozent erhöht und das Risiko für eine akute Pankreatitis um 46 Prozent. Ebenfalls im Vergleich zu den Kontrollgruppen litten Patienten nach SARS-CoV-2-Infektion mit um 54 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit an einem Reizdarmsyndrom, besaßen ein um 47 Prozent erhöhtes Risiko für eine Gastritis sowie eine 36 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für eine Magenverstimmung ohne offensichtliche Ursache. Ebenso waren bei Personen, die an COVID-19 erkrankt waren, Verdauungsprobleme wie Obstipation, Diarrhoe, Blähungen, Erbrechen und abdominale Schmerzen um 54 Prozent wahrscheinlicher.