Darmkrebs: Studie zeigt auf, welche Rolle Abstammung und genetische Varianten spielen können9. September 2025 Genetische Veranlagung für Darmkrebs. (Abbildung: © Sara/stock.adobe.com) In einer groß angelegten Untersuchung in Brasilien – und damit in einer Population mit einem hohen Maß an Diversität die Abstammung betreffend – haben sich fünf bis zehn Prozent aller Fälle von Kolorektalkarzinomen als hereditär erwiesen. Die Studie – eine der bisher zu diesem Thema größten in dem südamerikanischen Land durchgeführten Arbeiten – hat gezeigt, wie Genvarianten und eine genetische Prädisposition das Risiko für die Erkrankung beeinflussen können. Geleitet wurde sie von Mitarbeitern des Hospital de Amor und anderen Institutionen, gefördert von der Sao Paulo Research Foundation (FAPESP). Laut den Studienautoren tragen die Erkenntnisse aus der Untersuchung zu Verständnis des komplexen genetischen Sachverhaltes in der hochgradig diversen Bevölkerung Brasiliens bei. Veröffentlicht wurden die Forschungsergebnisse kürzlich in der Zeitschrift „Global Oncology“. Bedeutung von Darmkrebs in Brasilien Wie aus einer Reihe von Untersuchungen in der jüngeren Vergangenheit hervorgeht, nimmt die Zahl der Darmkrebsfälle unter vergleichsweise jüngeren Erwachsenen immer mehr zu. Laut neuesten Schätzungen des National Cancer Institute (INCA) waren in Brasilien zwischen 2023 und 2025 etwa 46.000 Personen von einem Kolorektalkarzinom betroffen. Werden nicht melanotische Hauttumoren nicht berücksichtigt, steht Darmkrebs in Brasilien bei der Häufigkeit von Krebserkrankungen derzeit an dritter Stelle – Anlass für die Studienautoren, sich diesem Problem zu widmen. Laut den Forschenden gehen fünf bis zehn Prozent der beobachteten Kolorektalkarzinome auf Vererbung zurück und werden durch von den Eltern der Betroffenen an diese weitergegebene Keimbahnmutationen verursacht. Die übrigen etwa 90 Prozent werden als sporadisch angesehen und stehen vor allem mit Umweltfaktoren und den Lebensgewohnheiten der Betroffenen in Zusammenhang – wobei auch hier die genetischen Voraussetzungen beteiligt sind. Davon ausgehend versuchten die Verfasser der aktuellen Arbeit zu bestimmen, ob der individuelle genetische Kontext bei der Entwicklung der Erkrankung in den nicht hereditären Fällen als Risiko- oder Schutzfaktor eine Rolle spielt. Untersuchung bekannter Darmkrebs-assoziierter Polymorphismen Die Wissenschaftler analysierten 45 Polymorphismen, die in der wissenschaftlichen Literatur als mit der Entwicklung von Darmkrebs in Zusammenhang stehend beschrieben werden. Ziel war es zu ermitteln, ob diese Genomvarianten auch mit dem Darmkrebsrisiko in Brasilien assoziiert sind. „Diese Varianten waren schon in älteren Arbeiten zu europäischen und asiatischen Populationen identifiziert worden“, erklärt Rui Manuel Reis, wissenschaftlicher Leiter des Teaching and Research Insitute am Hospital de Amor und einer der Autoren der Publikation. Unter den insgesamt 1933 Studienteilnehmern befanden sich 990 mit Darmkrebs sowie 1027 Personen ohne eine entsprechende Anamnese. Neben der Genotypisierung der 45 genetischen Varianten in den Blutproben der Teilnehmer untersuchte das Team auch deren genetische Abstammung anhand eines Panels von 46 aussagekräftigen Markern. Mithilfe dieser Marker ließ sich der Anteil europäischer, afrikanischer, asiatischer und indigener Abstammung bei jeder Person genau bestimmen. „Das IBGE [Brasilianisches Institut für Geographie und Statistik] fragt nach der Hautfarbe, doch dies ist ein sehr subjektives Kriterium. Wir verwenden deutlich objektivere und genauere Marker, um den Anteil ethnischer Abstammung jedes Studienteilnehmers zu bestimmen“, erklärt Reis. Auffällige Varianten Von den 45 analysierten Varianten zeigten neun einen signifikanten Zusammenhang mit dem Krankheitsrisiko. Vier von ihnen waren auch nach der Adjustierung bezüglich klinischer und epidemiologischer Faktoren relevant: Zwei waren mit einem erhöhten Risiko für Darmkrebs assoziiert, während die beiden übrigen mit einem verringerten Risiko verbunden waren – sie zeigten also einen schützenden Effekt. Diese Varianten befinden sich laut den Forschenden in Genomregionen, die mit der Regulierung von Entzündungsprozessen und Zellwachstum assoziiert sind. „Unsere Studie hat gezeigt, dass diese vier Marker für sich genommen unabhängig von allen anderen untersuchten Variablen sind und allein zum Risiko oder Schutz vor der Erkrankung beitragen“, fasst Reis zusammen. „Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um somatische genetische Mutationen [die nur den Tumor betreffen] handelt, sondern um normale genetische Variationen, die zu unseren Eigenschaften beitragen und uns einzigartig machen, wie zum Beispiel die Hautfarbe. Wir werden mit ihnen geboren“, betont er. Die Rolle der Abstammung Ein weiteres Ergebnis der Studie ist die Identifizierung der Rolle der genetischen Abstammung für das Erkrankungsrisiko. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Personen, die zu einem geringeren Teil von afrikanischen oder asiatischen Vorfahren abstammten, ein höheres Darmkrebsrisiko besaßen. Diese Daten untermauern nach Ansicht der Arbeitsgruppe die Hypothese, dass bestimmte genetische Komponenten, die von diesen Populationen vererbt werden, eine schützende Wirkung haben könnten. „Wir haben festgestellt, dass die Bevölkerung mit einem höheren Anteil asiatischer oder afrikanischer genetischer Abstammung ein geringeres Risiko für Darmkrebs besitzt“, resümiert Reis. „Dies wurde bereits in internationalen Studien beobachtet, und unsere Analyse bestätigte, dass sich dieses Muster auch in der brasilianischen Bevölkerung wiederholt.“ Der Forscher sieht für diesen Zusammenhang mehrere Erklärungen. Eine Möglichkeit sei, dass der genetische Faktor mit sozioökonomischen und kulturellen Determinanten verknüpft ist. „Es ist möglich, dass Menschen mit asiatischer Abstammung beispielsweise andere Essgewohnheiten haben – mehr Gemüse, mehr Fisch, weniger rotes Fleisch – und dies ein Schutzfaktor ist“, erläutert Reis. „Was wir sehen, spiegelt möglicherweise nicht nur die Genetik wider, sondern eine Reihe von Faktoren“, fügt er hinzu. Laut Reis unterscheidet sich diese aktuelle Studie von anderen vor allem hinsichtlich der Stichprobengröße – eine der größten, die jemals in einer Studie dieser Art in Brasilien zum Einsatz kam – sowie der Repräsentativität der untersuchten Personen. „Die meisten bisherigen Studien wurden mit kleinen Gruppen und begrenzter statistischer Aussagekraft durchgeführt. Wir haben mit fast 2000 Personen aus allen Regionen Brasiliens gearbeitet, was eine größere ethnische Vielfalt gewährleistet“, betont der Wissenschaftler. Personalisierte Medizin und Forschung in der Zukunft Reis betont auch das Potenzial der Erkenntnisse für die personalisierte Medizin. Zwar lassen sich die identifizierten genetischen Varianten nicht verändern, doch könnte das Wissen über sie in Zukunft dazu beitragen, Screening- und Präventionsstrategien zu personalisieren. „Genetische Risiken sind nicht alles“, unterstreicht Reis. „Adipositas beispielsweise kann das Risiko für Darmkrebs um bis das Doppelte erhöhen. Wenn jedoch eine dieser risikoassoziierten Varianten vorliegt und ein ungesunder Lebensstil hinzukommt, steigt das Gesamtrisiko“. Der Forscher ergänzt: „Unser zukünftiges Ziel ist es, diese genetischen Daten mit Umweltfaktoren zu kombinieren, um eine effektivere und personalisierte Screening-Strategie zu entwickeln. Vielleicht sollten Menschen mit diesen Varianten in Screening-Programmen priorisiert und stärker für veränderbare Risikofaktoren sensibilisiert werden.“ Das Team arbeitet derzeit an einer neuen Phase der Studie. Während in der vorherigen Phase 45 aus der internationalen wissenschaftlichen Literatur bekannte Varianten analysiert wurden, werden in der nächsten Phase bis zu drei Millionen genetische Variationen bei Brasilianern kartiert. „Wir wollen einen spezifischen Risiko-Score für unsere Bevölkerung erstellen, der unsere einzigartigen Merkmale berücksichtigt. Dies könnte einen bedeutenden Fortschritt bei der Bekämpfung der Krankheit in Brasilien darstellen“, erklärt Reis. Durch die Erhebung von Daten, die die brasilianische genetische Vielfalt in einem beispiellosen Umfang repräsentieren, unterstreiche die Studie, wie wichtig es ist, angemessen auf die besonderen Umstände Brasiliens zu reagieren, meinen die Wissenschaftler. „Ein Großteil der Forschung wird an nordamerikanischen oder europäischen Bevölkerungen durchgeführt, die eine geringe genetische Vielfalt aufweisen. Unsere Studie bietet eine neue Perspektive. Sie zeigt, dass die Genetik unserer Bevölkerung uns helfen kann, die Krankheiten, die uns betreffen, besser zu verstehen“, betont Reis. (ac)
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