Demenz bei Kindern: Neue Erkenntnisse zu einem bisher kaum bekannten Protein

PD Dr. Ralph Krätzner (l.) und Prof. Robert Steinfeld (Fotos: privat)

Eine internationale Forschergruppe unter Leitung von Wissenschaftlern aus der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der Universität Zürich (UZH) hat die Funktion des mit kindlicher Demenz assoziierten Proteins CLN5 entschlüsselt. 

Zur Gruppe kindlicher Demenzerkrankungen gehören die sogenannten „Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen“ (NCL), die im englischsprachigen Raum auch als „Batten-Krankheit“ bezeichnet werden. NCL-Erkrankungen umfassen eine Gruppe von genetisch bedingten und damit erblichen Erkrankungen. Sie gehen mit Veränderungen im Gehirn einher und führen zu schweren Krankheitsverläufen. Bei den betroffenen Patienten kommt es abhängig vom jeweiligen genetischen Defekt zwischen früher Kindheit und jungem Erwachsenenalter zu Entwicklungsstörungen, Krampfanfällen, Seh- und Bewegungsstörungen sowie zu einem zunehmenden Verlust von geistigen Fähigkeiten, einem „demenziellen Abbau“. Alle NCL-Krankheiten sind bisher unheilbar und schreiten unaufhaltsam voran. Am Ende des Krankheitsverlaufs sind die Betroffenen komplett bettlägerig und vollkommen pflegebedürftig. Fast alle NCL-Erkrankungen führen zu einem frühzeitigen Tod.

Einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern unter Leitung von Prof. Robert Steinfeld (Universität Zürich) und PD Dr. Ralph Krätzner (Klinik für Kinder und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Göttingen, UMG) ist es nun gelungen, ein tiefergehendes strukturbiologisches und biochemisches Verständnis für eine der bisher rätselhaftesten Formen von NCL-Erkrankungen zu entwickeln. Die sogenannte „finnische spätinfantile NCL-Variante“ wurde zuerst in Finnland beschrieben und wird durch Mutationen im CLN5-Gen verursacht. Der CLN5-Gendefekt wurde bereits 1998 veröffentlicht. Doch zum Protein, welches das Krankheitsgen CLN5 produziert, war bisher kaum etwas bekannt.

Einem Teil des Teams um Erstautorin Dr. Anna Lübben und Prof. George Sheldrick, beide ehemals Lehrstuhl für Strukturchemie am Institut für Anorganische Chemie der Universität Göttingen, und Dr. Stefan Becker aus der Abteilung NMR-basierte Strukturbiologie des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, gelang es, in Zellkultur hergestelltes CLN5-Protein zu kristallisieren und damit dessen dreidimensionale Struktur zu bestimmen. Die Strukturdaten halfen bei der Suche nach der möglichen Funktion des CLN5-Proteins: Die Wissenschaftler konnten schließlich zeigen, dass es sich bei dem CLN5-Protein um ein Enzym handelt, genauer um eine sogenannte Depalmitoylase. Das Enzym kann eine bestimmte chemische Bindung, die sogenannte Thioester-Bindung, spalten, die Proteine über die Aminosäure Cystein mit der Fettsäure Palmitat eingehen und brauchen, um in der Zellmembran verankert zu werden.

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Bedeutung der Proteinlipidierung oder auch De-Palmitoylierung in der Pathologie der Neurodegeneration, also bei jenen Prozessen, die zu einem Funktionsverlust und/oder zum Untergang von Nervenzellen führen. Die Verknüpfung von Fettsäuremolekülen mit Proteinen scheint demnach eine wichtige Rolle sowohl bei früh als auch spät einsetzenden neurodegenerativen Vorgängen zu spielen“, sagt Prof. Robert Steinfeld, einer der korrespondierenden Senior-Autoren der Publikation. Er geht davon aus, dass die neuen Erkenntnisse über das CLN5-Protein und seine Funktion Grundlage sein können für weitere Untersuchungen zum mechanistischen Verständnis von Neurodegeneration in Folge einer gestörten Proteinlipidierung.