DGHM2019 Hygienekongress in Göttingen: Kongresspräsidenten-Interview20. Februar 2019 Kongresspräsidentin Simone Scheithauer (Foto: umg/Kimmel) und Kongresspräsident Uwe Groß (Foto: privat) Strategien zur Infektionskontrolle und neue Ansätze gegen Antibiotikaresistenzen: Das sind einige der Themen bei der 71. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) e. V. vom 25. bis 27. Februar 2019 in Göttingen. Ein Vorab-Interview mit den Kongresspräsidenten Prof. Simone Scheithauer und Prof. Uwe Groß. Drei Tage lang diskutieren führende nationale und internationale Wissenschaftler und Ärzte ihre aktuellen Forschungen und Erkenntnisse beim deutschlandweit größten Fachkongress im Bereich der Mikrobiologie, Hygiene und Infektionskrankheiten. Erste Einblicke in Kongressthemen und Highlights geben die diesjährigen Kongresspräsidenten Prof. Simone Scheithauer, Institut für Krankenhaushygiene und Infektiologie, und Prof. Uwe Groß, Institut für Medizinische Mikrobiologie, beide Universitätsmedizin Göttingen (UMG), Georg-August-Universität Göttingen, in einem von der DGHM veröffentlichten Interview. Bei der diesjährigen Jahrestagung werden wieder spannende neue Erkenntnisse in allen Bereichen der Mikrobiologie und Hygiene erwartet. Welche Kongress-Schwerpunkte haben Sie gesetzt? Scheithauer: Sie sprechen eine wirkliche Herausforderung an: Es gibt nicht zu wenig Optionen der Schwerpunktsetzung, sondern eine Vielzahl. So ist letztlich jede Schwerpunktsetzung auch willkürlich und orientiert sich an aktuellen Veröffentlichungen, aber auch den Programmschwerpunkten der vorausgehenden Jahrestagungen. Ich persönlich freue mich auf vieles, wenn ich mich festlegen müsste, würde ich den Beitrag von Lothar Wieler, dem Präsidenten des Robert Koch Instituts, herausheben. Er wird über eine nicht nur fachspezifische globale Herausforderung, die Digitalisierung und die Möglichkeiten und Ergebnisse im Bereich Infektionsepidemiologie referieren. Groß: Im Verlauf der vergangenen Tagungen wurde deutlich, dass das Interesse an klinisch-relevanten Themen stetig zunimmt. Das schmälert keineswegs den Stellenwert der Grundlagen-orientierten Forschung, sondern ist für uns als Tagungspräsidenten vielmehr Ansporn gewesen, die Herausforderung „From Bench to Bedside and Back“ mit Leben zu füllen. Schaut man sich das Programm an, so denke ich, dass es uns mit den Themen und Referenten in den Hauptsymposien auch ganz gut gelungen ist. Aber auch die von den Fachgruppen organisierten Workshops sind größtenteils diesem Weg gefolgt. Auch ich finde eigentlich alle Themen nicht nur attraktiv, sondern höchst aktuell. Um nur einen Referenten herauszuheben: Robert Britton hat mit seinen Arbeiten zu Clostridum difficile schon des Öfteren neue Türen geöffnet. Ich bin daher sehr auf seinen Vortrag gespannt. Angesichts der Vielfalt aktueller Themen zur Erkennung, Prävention und Therapie von Infektionserkrankungen, die vorgestellt werden – welche Highlights sind besonders hervorzuheben? Scheithauer: Hier fällt es mir besonders schwer, einen einzelnen Schwerpunkt zu definieren, da ich als Sprecher auch der Fachgruppe Antibiotikaresistenz und Infektionsprävention alle sechs Symposien aktiv mitgestalten durfte. Ich erlaube mir deshalb, das Spektrum, über das man sich informieren kann, darzustellen: Wir werden neue Erkenntnisse zur Vermeidung postoperativer Wundinfektionen vorgestellt bekommen, uns natürlich mit multiresistenten Erregern in der Humanmedizin, aber auch in Nutztierhaltung und der Umwelt beschäftigen, wir werden versuchen, den direkten Bezug aus Laborergebnissen für die Patientenbehandlung herzustellen und uns die Frage stellen, wie wir das neu gewonnene Wissen in die Praxis bringen können, so dass es auch im Alltag gelebt wird und unseren Patienten zugutekommt. Groß: Auch wenn für mich als Medizinischen Mikrobiologen die Diagnostik natürlich eine der Hauptaufgabengebiete dargestellt, möchte ich Simone Scheithauer vollkommen zustimmen: Verhütung, Erkennung und Therapie von Infektionskrankheiten können nicht getrennt betrachtet werden. In Zeiten zunehmender Resistenzentwicklungen kommt der Prävention eine noch größere Rolle zu. Um Infektionsketten zu durchbrechen, ist eine zeitnahe und adäquate Diagnostik zwingender denn je. Analog zum Antibiotic Stewardship hat sich der Themenkomplex Diagnostic Stewardship (weiter-)entwickelt, der unter anderem den besonderen Stellenwert einer situationsangepassten Präanalytik hervorhebt. Gleich am ersten Tag wird dieser Herausforderung Rechnung getragen in einem Hauptsymposium und einem Workshop. Der weltweite stetige Anstieg von multiresistenten Erregern ist eine große Herausforderung. Welche Fortschritte gibt es bei der Entwicklung neuer Antibiotika und neuer Wirkstoffe? Welche Strategien werden diskutiert, das Risiko der Resistenzentwicklung zu minimieren? Scheithauer: In meinem Fachbereich fokussieren wir uns auf zwei Angriffspunkte: Klare Indikationsstellung für jede Antibiotikatherapie, um überflüssigen Einsatz zu vermeiden, und krankenhaushygienische Strategien, um die Übertragung multiresistenter Erreger zu vermeiden. Zu beiden Strategien können wir auch zu den bereits thematisierten Veranstaltungen Vorträge hören, zum Beispiel in unserem Fachgruppenworkshop „Out-Patient, in-Patient, no Patient: Bacteria, Infections and Intervention“ und auch ganz interaktiv in dem klinischen Fallseminar sowie in dem durch die Fachgruppe und die Ständige Arbeitsgemeinschaft Krankenhaushygiene organisierten interaktiven Ausbruchsmanagementseminar. Groß: Ich bin regelmäßig in Ländern Afrikas und Südostasiens unterwegs und erlebe dort hautnah die dramatische Entwicklung antimikrobieller Resistenzen. Ich bin der Meinung, dass die Lösung für eine Umkehr des derzeitigen Trends nicht in der Entwicklung neuer Antibiotika und neuer Wirkstoffe liegen wird. Vielmehr ist auch in afrikanischen und asiatischen Ländern ein Umdenken beim Umgang mit bestehenden Antibiotika und die Einsicht in notwendige krankenhaushygienische Maßnahmen essenziell. Doch wir müssen gar nicht so weit in die Ferne schweifen, gibt es doch selbst innerhalb Europas dramatische Unterschiede in der Resistenzlage. Zukünftig ist vielmehr das schnelle und gleichzeitige Erkennen pathogener Erreger und ihrer Resistenzen noch mehr als bisher gefordert, um im Sinne der klaren Indikationsstellung für den Antibiotikaeinsatz und adäquate krankenhaushygienische Strategien zeitnah agieren zu können. Metagenom- und Ganzgenom-Ansätze werden hierbei eine noch wichtigere Rolle spielen. Zum hochaktuellen Thema der zunehmenden Antibiotikaresistenzen wurden Bakterienviren, sogenannte Phagen erforscht, in die große Hoffnungen gesetzt wurden. Wie ist der derzeitige Stand? Scheithauer: Das Phagenthema ist in der Tat hochspannend, auch da es eine komplett andere Strategie darstellt. Allerdings ist das Wissen bereits sehr lange vorhanden. Es wird Beiträge dazu geben, dabei handelt es sich nicht um ein Schwerpunktthema. Groß: Tatsächlich ist die Phagentherapie ein faszinierender Ansatz, der aufgrund der hohen Stammspezifität der meisten Phagen jedoch nur bedingt als Alternative zur bestehenden antimikrobiellen Therapie geeignet ist. Aktuell werden rekombinante Technologien eingesetzt, um die Problematik der sehr engen Einsatzfähigkeit zu umgehen. In Deutschland wird wissenschaftlich und klinisch bisher jedoch nur in wenigen Institutionen mit Bakteriophagen als potenzielle antimikrobielle Therapeutika gearbeitet, so dass sich therapeutische Phagen hierzulande noch nicht als Schwerpunktthema haben etablieren können. In der Krankenhaushygiene wurden verstärkte Bemühungen zur Infektionsprävention und Antibiotikaresistenz unternommen. Werden neue Strategien gegen multiresistente gramnegative Pathogene in den Kliniken vorgestellt? Scheithauer: Auf diesem Gebiet wurden und werden vielfältige effektive Strategien verfolgt. Ganz grundlegend gibt es verpflichtende Regelungen, dass und wieviel Hygienefachpersonal in Kliniken eingesetzt werden muss. Dies ist die Grundlage für alles. Wir an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) haben für alle infektionsrelevanten Prozesse und alle besonderen Infektionserreger, auch die mit Resistenzeigenschaften, klare Standards zum Vorgehen, die für jeden jederzeit einsehbar sind und die regelmäßig geschult und überprüft werden. Und natürlich messen wir: Wir erfassen Infektionen und Antibiotikagaben und wissen an jedem Tag, wo ein Patient mit einem „besonderen“ Erreger liegt, auch wenn er verlegt wird. Das erfordert jedoch aktuell noch sehr viel händisches Arbeiten. Durch unsere Einbindung in das Medizininformatikprojekt HiGHmed arbeiten wir an automatischen und intelligenten Lösungen, die personenunabhängig und weniger fehlerträchtig in Echtzeit uns bei dieser Arbeit unterstützen. Groß: Auf die Thematik der frühzeitigen Diagnostik bin ich bereits eingegangen. In der Tat wurde bereits vor einigen Jahren durch den revolutionären Einsatz der Massenspektrometrie, kurz MALDI-TOF MS für die Diagnostik von Bakterien und Pilzen die Diagnostik um einen ganzen Tag gekürzt. An der UMG werden heute mehr als 95 Prozent aller mikrobiologisch-kulturellen Diagnosen durch MALDI-TOF MS gestellt. Zusätzlich wird international, national und auch durch uns versucht, Multiresistenz zeitnah durch Weiterentwicklung der MALDI-TOF-Technologie und ihrer Auswertungsalgorithmen zu erkennen. Die stärkere Einbindung automatisierter Verfahren in der Mikrobiologie trägt zusätzlich zur standardisierten Qualitätsverbesserung bei. Daneben sei aber auch nochmals auf die Ganzgenom-bestimmung als zukünftiges schnelles Diagnostikverfahren hingewiesen; der zu beobachtende Preissturz macht ihren Routineeinsatz zunehmend attraktiv. Sowohl MALDI-TOF MS als auch Next Generation Sequencing, kurz NGS, und Whole Genome Sequencing, kurz WGS, sind fester Bestandteil mehrerer Vortrags- und Posterpräsentationen der DGHM-Tagung. Das menschliche Mikrobiom und sein Einfluss auf Krankheiten sind topaktuelle Themen und Forschungsgebiete. Gibt es zukunftsweisende Ansätze zur Therapie von Infektionserkrankungen? Scheithauer: Das Mikrobiom ist sicher ein Top Thema: nicht nur, aber auch in der Infektionsmedizin. Zahlreiche Präsentationen und auch Plenarvorträge werden uns hier die neuesten Erkenntnisse aufzeigen. Die Chance liegt hier aus meiner Sicht in einer völlig neuen, innovativen Strategie: nicht den krank machenden Erreger abtöten, sondern vielmehr die anderen, der Gesundheit zuträglichen Erreger fördern, auf dass diese dem Eindringling so wenig Raum wie möglich bieten. Groß: Das Wissen um das menschliche Mikrobiom, das aus 10 Mal so vielen Zellen besteht wie der menschliche Makroorganismus, hat in den letzten Jahren exponentiell zugenommen. In der Tat wird das Mikrobiom mittlerweile vielfach als eigenständiges Organ angesehen, das Einfluss hat auf viele Erkrankungen, die bisher nicht mit Mikroorganismen in Verbindung gebracht wurden, wie zum Beispiel Adipositas. Die therapeutische Beeinflussung des Mikrobioms im Sinne einer gesundheitsförderlichen Interaktion von Mikroorganismen untereinander, aber auch zwischen Mikroorganismen und ihrem menschlichen bzw. tierischen Wirt, ist daher nicht nur ein Thema dieser Tagung, sondern sicher vieler weiterer Tagungen. Nur ein Beispiel: Andreas Peschel wird hinsichtlich dieser Thematik im Rahmen der Georg-Peters Memorial Lecture den ersten Vortrag halten. Er und andere konnten zeigen, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms der Nase darüber entscheidet, ob ein Mensch erfolgreich mit Staphylococcus aureus einschließlich MRSA besiedelt wird oder nicht. Dieses Wissen kann nun die Tür für neue Strategien zur Sanierung von MRSA-Trägern öffnen. In einer spannenden Präsentation sollen Wechselwirkungen von Bakterien an der Körperoberfläche vorgestellt werden. Gibt es neue Erkenntnisse zur Immunabwehr auf der Haut? Bei welchen Krankheiten spielen die Mikroben auf der Haut eine Rolle? Scheithauer: Das ist letztlich ein Unterthema des Mikrobiom-Themas: Nicht nur der Darm, der häufig zuerst benannt wird, sondern auch die Haut verfügt über ihr Mikrobiom. Die Haut ist insbesondere bei sogenannten device-assoziierten Infektionen und ihrer Vermeidung ein wesentlicher Angriffspunkt. Darunter versteht man Infektionen, die entstehen können, weil die natürliche Barriere Haut durch eine erforderliche medizinische Intervention wie zum Beispiel einen Gefäßkatheter durchbrochen wird. Entlang dieser Leitschnur können jetzt Bakterien in das Blut des Patienten gelangen und eine Sepsis verursachen. Diese Bakterien kommen sehr häufig von der Haut des Patienten selber. Hier kann man durch geeignete Applikation von Antiseptika – auch in Depotform – eine Infektionsreduktion erreichen. Groß: Hier verweise ich gerne auf meine Antwort zur vorhergehenden Frage. Im Hinblick auf die Variabilität des Mikrobioms der Nasenschleimhaut – nur um bei diesem Beispiel zu bleiben – spielen natürlich viele Faktoren eine Rolle. Dazu zählen unter anderem auch unterschiedliche Empfänglichkeiten von Bakterien des Mikrobioms gegenüber Abwehrmolekülen und die Produktion antimikrobieller Moleküle durch Bestandteile des Mikrobioms. Mikroben auf der Haut spielen für eine ganze Reihe von Krankheiten eine Rolle. Sobald die Barriere Haut nicht mehr intakt ist, können zum Beispiel typische Hautbesiedler wie Staphylokokken, Streptokokken, aber auch Candida-Hefen in die Haut eindringen und – im schlimmsten Fall – zur invasiven Infektion führen. Anhand von Candida albicans wird zum Beispiel Helena Merk in einem Workshop-Beitrag ein 3D-Hautmodell vorstellen, das einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Immunabwehr auf der Haut bietet. Die Präsentationen weltweit renommierter Referenten werden auch bei dieser Jahrestagung für interessante Diskussionen sorgen. Auf welche Vorträge freuen Sie sich besonders? Scheithauer: Ich freue mich auf alle Plenarvorträge – von großen Wissenschaftlern kann man immer sehr viel lernen, auch wenn es sich nicht um den eigenen Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt handelt. Ich persönlich freue mich aber auch besonders auf die „kleinen“ Vorträge, also Referate junger Kollegen, die ihre ersten Ergebnisse präsentieren. Dies ist wichtig, um die Zukunft in unserem Fach und den Fortschritt des Wissens und der Erkenntnis für unsere Patienten – auch die zukünftiger Generationen – zu sichern. Groß: Ausnahmslos alle Plenarvorträge werden von weltweit renommierten Wissenschaftlern gehalten. Hier eine Person hervorzuheben ist mir weder möglich, noch würde es dem Spirit unserer Tagung gerecht werden. Wie bei allen Tagungen besteht der eigentliche Reiz darin, den zukünftig weltweit renommierten Referenten von Vorträgen und Postern eine Bühne und Anerkennung für das von ihnen bearbeitete Forschungsthema zu bieten: Wer gerne forscht weiß, dass meistens nur ein kleiner Teil der Experimente zur Beantwortung einer wissenschaftlichen Fragestellung beigetragen hat. Die Einordnung der Ergebnisse in einen Kontext ist es, das den Reiz wissenschaftlichen Arbeitens ausmacht. Und genau darauf freue ich mich. Wir bedanken uns herzlich für das Interview! Das komplette Kongressprogramm sowie alle Informationen gibt es unter www.dghm-kongress.de.
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