DGP 2019: Lungenkrebs-Screening mit definierter Risikogruppe ist machbar

Prof. Herth: “Im Falle einer Implementierung bedarf es in Deutschland einer qualitätskontrollierten Struktur, um eine Überdiagnostik zu vermeiden.” (Foto: © Achenbach/Biermann Verlag)

Anlässlich des diesjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin in München illustrierte Prof. Felix J. Herth, Chefarzt der Abteilung Pneumologie und Beatmungsmedizin an der Thoraxklinik des Universitätsklinikums Heidelberg, den aktuellen Wissensstand in puncto Lungenkrebs-Screening. Sein Fazit: Bei einer definierten Risikogruppe ist es machbar und reduziert die Lungenkrebsmortalität, es gibt jedoch Diskussionspunkte und wichtige Voraussetzungen, die es zu bedenken gilt.

Aufgrund der Ergebnisse des in den Niederlanden und Belgien durchgeführten NELSON Trial plädiere die European Respiratory Society (ERS) an die Länder Europäischen Union, möglichst bald ein Lungenkrebs-Screening-Programm für Hochrisikopersonen einzuführen, berichtete Herth. Die Daten seien insbesondere für Frauen überzeugend, die Rate an falsch-positiven Befunden war etwas niedriger als im US-amerikanischen National Lung Screening Trial (NLST). Dessen Ergebnisse waren 2011 veröffentlicht worden. 53.454 US-amerikanische Patienten mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko (Alter 55 bis 74 Jahre, mindestens 30 Packungen Zigaretten/Jahr geraucht) waren in drei aufeinanderfolgenden Jahren entweder einem jährlichen LDCT oder eine Röntgen-Thoraxaufnahme unterzogen worden. Die LDCT führte gegenüber der Röntgen-Thoraxaufnahme zu einer relativen Risikoreduktion für das Versterben an einem Lungenkarzinom von 20 Prozent.

Im Nelson Trial, so referierte Herth, waren die Screening-Intervall mit einem, zwei, vier und 6,5 Jahren etwas anders, und es wurden volumetrische CT-Messungen vorgenommen. Das Patientenkollektiv war dem des NLST sehr ähnlich (Alter 50 bis 74 Jahre, mindestens 15 Packungen/Jahr, nicht länger als 10 Jahre Ex-Raucher). 15.792 Patienten wurden randomisiert und erhielten entweder ein LDCT-Screening oder kein Screening. Nach zehn Jahren betrug die Reduktion des relativen Risikos, an einem Lungenkarzinom zu versterben, für Männer 26 Prozent und für Frauen sogar 39 Prozent. Dies deutet darauf hin, dass das Creening die Überlebensrate bei Frauen sogar noch positiver beeinflusst. Durch LDCT wurden somit fast sieben von zehn Lungenkrebsfällen durch das Screening bereits in Stadium 1A oder 1B entdeckt. Maximal 19,2 Prozent der Patienten hatten einen kontrollbedürftigen Befund. Nur 2,3 Prozent der Patienten mussten sich einer invasiven, diagnostischen Maßnahme unterziehen.

Die Studie sei die zweitgrößte ihrer Art weltweit und zeigte nach Ansicht der Wissenschaftler deutlich, dass ein CT-Screening bei Risikopatienten effektiv zur Früherkennung von Lungenkrebs beitragen kann, so Herth. Werde verdächtiges Gewebe frühzeitig erkannt und chirurgisch entfernt, könne dies auch die Heilungschancen verbessern.

Die Daten der deutschen LUSI-Studie – hierfür wurden knapp 4000 Probanden randomisiert – stehen noch aus; Ergebnisse werden aber noch in diesem Jahr erwartet.

Hohe Falsch-positiv-Rate mit Volumetrie reduzieren

„Sicher ein Hauptdiskussionspunkt ist die Anzahl falsch-positiver Befunde“, erklärte Herth. „Je nach Studie betrug diese bis zu 90 Prozent. Hier steht mit der zum Beispiel in der NELSON- und in der LUSI-Studie zusätzlich angewandten Volumetrie ein Verfahren zur Verfügung, welches dieses Problem reduzieren könnte.“ Die Ergebnisse der automatischen Analyse würden vom Radiologen einzeln bestätigt oder eliminiert, die verbliebenen Herde segmentiert und volumetriert. „Das Volumen und der Durchmesser bestimmen dann aufgrund vorgegebener Entscheidungswege das weitere Vorgehen. Die Wertigkeit dieser Algorithmen kann allerdings erst nach deren Publikation beurteilt werden.“

Herth ergänzte: „Bezüglich Morbidität und Mortalität in der Abklärung auffälliger Befunde muss weiterhin berücksichtigt werden, dass alle invasiven Prozeduren in der NLST-Studie an hochspezialisierten Zentren durchgeführt wurden. Gleiches gilt für die Abklärung positiver CT-Befunde im Rahmen der europäischen Studien DLCST, NELSON und LUSI. Die postoperative Letalität im NLST war mit einem Prozent deutlich niedriger als die aus großen Registern bekannte durchschnittliche chirurgische Letalität nach Lungenresektionen von drei bis fünf Prozent . Insofern muss bei Durchführung eines CT-Screenings mit nachfolgender invasiver Diagnostik außerhalb spezialisierter Zentren mit einer höheren Komplikationsrate gerechnet werden.“

Verpflichtende Raucherentwöhnungsprogramme für Screening-Teilnehmer

Außerdem müsse sicher auch ein Raucherentwöhnungsprogramm verpflichtend in ein mögliches Szenario eingebunden werden, betonte Herth, denn dessen Nutzen sei bekannt. „In den bisherigen Studien war dies keine Verpflichtung, obwohl es Publikationen gibt, die den Effekt eines begleitenden Raucherentwöhnungsprogrammes untersucht hatten. Nach sieben Jahren Rauchstopp konnte das individuelle Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, in einer Größenordnung vergleichbar zu einem CT-Screening reduziert werden.“

Aufgrund der verfügbaren Daten sei davon auszugehen, dass in Deutschland bereits CT-Untersuchungen zur Lungenkrebs-Früherkennung als sogenanntes „graues“ Screening angeboten und nachgefragt würden. „Allerdings gehen Früherkennungsmaßnahmen und deren Abklärung auch mit Belastungen einher und zeigen auch falsch-positive Befunde“, warnte Herth. „Diese ungünstigen Eigenschaften werden vom Laien oftmals negiert und sind mutmaßlich antiproportional zur Qualität der Gesamtmaßnahme. Um dem nachvollziehbaren Wunsch nach früherer Diagnosestellung mittels Lungenkrebs-Screening nachkommen zu können, gilt es daher, eine qualitätsgesicherte Untersuchungskette zur individuellen Früherkennung von Lungenkrebs mittels Niedrigdosis-CT zu definieren, die die Umsetzbarkeit im deutschen Gesundheitssystem vom Hausarzt, Pneumologen, Radiologen bis zum Lungenkrebszentrum abbildet.”