Dickdarmkrebs: Forschende finden epigenetischen Schlüssel

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Ein Gen namens HMGA1 (High Mobility Group A1) könnte der Schlüssel zur Entwicklung von Krebserkrankungen des Kolons sein. Das berichten US-Forscher in einer gerade publizierten Studie.

Die Untersuchungen, deren Ergebnisse die Forschenden vom Johns Hopkins Kimmel Cancer Center und verschiedenen Instituten der Johns Hopkins University (USA) im „Journal of Clinical Investigation“ veröffentlicht haben, könnten ein bisher fehlendes Puzzleteil zu der Erklärung dafür liefern, warum Veränderungen des Darmmikrobioms mit steigenden Raten für Kolonkarzinome in den Vereinigten Staaten assoziiert sind, insbesondere bei jüngeren Menschen. Die Autoren älterer Studien hatten hohe HMGA1-Genexpressionsniveaus in Tumoren von Patienten mit Kolonkrebs gefunden, wobei aber nicht geklärt werden konnte, welche Rolle HMGA1 bei dieser Erkrankung spielen könnte.

Prof. Linda Resar vom Johns Hopkins Kimmel Cancer Center und ihre Kollegen haben nun anhand von Mausmodellen zeigen können, dass HMGA1 dabei hilft, ein Netzwerk tumorfördernder Gene zu aktivieren, die eine Mutation im Gen für adenomatöse Polyposis coli (Maus-APC) aufweisen. Das APC-Gen wurde 1991 von Forschern des Kimmel Cancer Center entdeckt. Mutationen in APC treten bei mehr als 90 Prozent aller kolorektalen Tumoren auf.

HMGA1 funktioniert wie ein molekularer Schlüssel, der Regionen des Genoms gewissermaßen aufschließt, um Stammzellgene in mutierten Kolonzellen zu aktivieren, was wiederum die Tumorentwicklung und -progression vorantreibt“, erklärt Resar. „Das Gen kodiert für das HMGA1-Protein, einen sogenannten epigenetischen Regulator, was bedeutet, dass es die Struktur unseres Genoms moduliert und verschiedene Zonen öffnet oder schließt, um Gene zu aktivieren oder zu unterdrücken. Epigenetische Regulatoren verändern die Genexpression in Reaktion auf viele verschiedene Faktoren wie Mutationen, Wachstumsfaktorsignale, Entzündungen, Infektionen und andere Umweltreize.“

Untersuchungen an zwei Mausmodellen mit APC-Mutationen

Chronische Darmentzündungen, vermutlich mit verursacht durch eine Ernährung mit hohem Anteil an hochverarbeiteten Lebensmitteln, stehen in Zusammenhang mit einem höheren Risiko für die Entwicklung von Dickdarmkrebs und könnten erklären, warum immer mehr junge Menschen an dieser Krankheit erkranken. Um zu ermitteln, welche Schritte in der Frühphase von einer Darmentzündung zu einer Krebserkrankung des Kolons führen, untersuchten Resar und ihr Team zwei Mausmodelle mit APC-Mutationen. Dabei handelt es sich den Forschenden zufolge um die häufigste mit Kolonkarzinomen verbundene Mutation beim Menschen.

Das erste Mausmodell wurde von Co-Autorin Prof. Cynthia Sears von der Johns Hopkins University School of Medicine und der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health entwickelt. Es zeichnet sich aus durch eine Kopie des mutierten APC und ein Darmmikrobiom, wie es bei Menschen mit Dickdarmkrebs zu beobachten ist. Diese Mäuse bieten ein einzigartiges System zur Untersuchung potenzieller genetisch-umweltbezogener Wechselwirkungen. Ein anderes Mausmodell, das von Co-Autor Dr. Eric Fearon, Leiter des Rogel Cancer Center der University of Michigan, entwickelt wurde, ist charakterisiert durch zwei Kopien des mutierten APC-Gens und stellt damit ein potenzielles Modell für Dickdarmkrebs dar, der ausschließlich von genetischen Faktoren bestimmt wird.

Bremsen der Tumorentwicklung durch HMGA1-Blockade im Mausmodell

Normalerweise entstehen in beiden Mausmodellen robuste Dickdarmtumore. Als Resar und ihre Kollegen jedoch nur eine Kopie des HMGA1-Gens der Maus ausschalteten, entwickelten sich weniger Tumore und die Mäuse überlebten länger. „Dieses Ergebnis hat uns ermutigt, denn es deutet darauf hin, dass wir die Tumorentwicklung erheblich beeinflussen könnten, wenn wir die Funktion von HMGA1 nur um 50 Prozent blockieren könnten, ohne dass dies schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Mäuse hätte“, sagt sie. Tatsächlich haben Mäuse mit nur einer Kopie von HMGA1 eine normale Lebenserwartung.

Als nächstes versuchten die Wissenschaftler mithilfe der Einzelzell-Gensequenzierung herauszufinden, warum die Reduzierung von HMGA1 eine Anti-Tumor-Wirkung hatte. Sie stellten fest, dass HMGA1 die Expression von Genen aktivierte, die normalerweise in Dickdarmstammzellen aktiv sind, was zu einer Vermehrung der mutierten Dickdarmstammzellen und zur Tumorentwicklung führte. Dickdarmstammzellen sind normalerweise für die Reparatur und den vollständigen Ersatz der Auskleidung des menschlichen Dickdarms verantwortlich – ein Prozess, der alle paar Tage stattfindet und lebenswichtig ist. Das Aktivieren von Stammzellgenen bei Tieren mit mutiertem APC führte jedoch dazu, dass sich die mutierten Zellen vermehrten und Tumore bildeten. Vorläufige Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass hohe HMGA1-Werte es mutierten Tumorzellen ermöglichen könnten, der Erkennung durch Immunzellen zu entgehen und eine Anti-Tumor-Immunreaktion zu verhindern. Laut den Forschenden sind aber weitere Untersuchungen nötig, um dies zu bestätigen.

Mithilfe der neuen ATAC-seq-Technologie (Assay for Transposase-Accessible Chromatin with Sequencing), die die Untersuchung „offener“ und „geschlossener“ Bereiche des Genoms möglich macht, fanden Resar und ihr Team heraus, dass HMGA1 Abschnitte des Genoms aufschließt, die normalerweise versteckt sind. „Indem HMGA1 Regionen des Genoms aufschließt, ermöglicht es anderen Proteinen, auf die DNA zu springen und die Genexpression von Stammzellen unkontrolliert zu aktivieren“, erläutert Resar. Eines der von HMGA1 aktivierten Gene ist ASCL2 – ein Gen, das in einer anderen Untersuchungen mit früh auftretendem Dickdarmkrebs in Verbindung gebracht wurde. „Das war besonders interessant, weil es helfen könnte zu erklären, warum wir mehr Kolonkrebs bei jüngeren Menschen sehen“, erklärt sie.

Hohe HMGA1-Werte in menschlichen Proben

Das Forschungsteam bestätigte, dass seine Untersuchungsergebnisse auch für menschlichen Dickdarmkrebs relevant sind: Als die Wissenschaftler Proben von Patienten mit Dickdarmkrebs untersuchte, fand es hohe HMGA1-Werte, ebenso wie die meisten aktiven Stammzellgene aus den Mausmodellen.

„Jetzt, da wir wissen, dass HMGA1 die Entwicklung von Kolontumoren vorantreibt, ist die Millionen-Dollar-Frage, wie wir es in der Therapie blockieren können“, erklärt Resar. „Unser Ziel ist die Entwicklung von Therapien, mit denen sich HMGA1 hemmen und ein Angriff des Immunsystems auf die Tumore stimulieren lässt.“ Resar und ihre Kollegen testen derzeit Möglichkeiten, HMGA1 und die Stammzellgene, die es aktiviert, als mögliche Strategie zur Behandlung von Dickdarmkrebs zu blockieren. Sie untersuchen außerdem, welche Rolle HMGA1 bei anderen Krebsarten spielt, darunter Blutkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs, bei denen ebenfalls erhöhte HMGA1-Werte vorliegen. „Unsere Erkenntnisse dürften nicht nur für Dickdarmtumore relevant sein, sondern für ein breites Spektrum menschlicher Krebsarten“, sagt die Forscherin.