DIVI fordert Grippe-Impfempfehlung für alle ab dem sechsten Lebensmonat

Zum Schutz vor schwerer Erkrankung fordern die deutschen Intensivmediziner, die Empfehlung zur Grippeschutzimpfung für alle ab dem sechsten Lebensmonat auszuweiten. (Symbolfoto: ©kamon_saejueng/stock.adobe.com)

„Bloß“ eine Grippe? Jedes Jahr sehen Intensivmediziner in Deutschland schwere Influenza-Fälle – und anders als bei COVID-19 betrifft ein relevanter Teil davon Kinder. Nun fordert die DIVI Konsequenzen. Eine Grippeimpfung soll deutlich früher empfohlen werden als bisher.

Influenza ist eine ernst zu nehmende Erkrankung: Anlässlich ihre Jahreskongresses forderte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) nun die STIKO auf, eine Grippeimpfung für Kinder ab sechs Monaten sowie Erwachsene zu empfehlen.

„Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat dies bereits getan, andere europäische Länder zeigen uns, dass mit groß angelegten Impfkampagnen zahlreiche Kinder wie Erwachsene erfolgreich geschützt werden können – nur wir in Deutschland lassen weiterhin zu einem Großteil die Grippewelle ungeschützt über uns rollen“, so DIVI-Präsident Prof. Florian Hoffmann, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Dritter Orden München-Nymphenburg. „Das muss sich ändern! Denn gerade Kinder können auch schwer an dem Virus erkranken.“

30.000 wegen Influenza hospitalisierte Kinder

Prof. Christian Karagiannidis, Vorstandsmitglied der DIVI und Leiter des ARDS- und ECMO- Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim, stellte die Zahlen des vergangenen Winters vor. Auf Basis von Abrechnungsdaten aus dem DRG-System hat er erhoben, wie viele Patienten aufgrund von Influenza zwischen Januar und Mai dieses Jahres in deutschen Krankenhäusern behandelt wurden. Insgesamt seien es 135.000 Fälle gewesen, davon 30.000 Kinder. „30.000 Kinder – das entspricht einer Kleinstadt!“, bemerkte er. Bei etwa 500 von ihnen war ein intensivstationär Aufenthalt nötig.

Anders als bei Corona wisse man, dass vor allem die Influenza-Inzidenzen bei Kindern extrem hoch seien. Kinder würden erheblich zur Verbreitung der jährlichen Influenza-Epidemie beitragen, wodurch laut AOK-Fehlzeitenreport zwischenzeitlich zehn bis 15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung wegen respiratorischer Infektionen krank zu Hause seien. „Bei unserer derzeit schwachen Wirtschaft können wir uns das gar nicht leisten. Auch unter diesem Aspekt wäre eine Impfung für alle, die älter als sechs Monate sind, sinnvoll“, so Karagiannidis.

Influenza kann auch bei Kindern tödlich enden

Um die sehr schweren Verläufe von Influenza-Erkrankungen zu dokumentieren, führte die DIVI zudem im Januar und Februar dieses Jahres, als die Infektionszahlen steil nach oben gingen, eine Befragung unter Kinderintensivstationen durch. Die angefragten Kliniken meldeten Dr. Ellen Heimberg, stellvertretende Sprecherin der DIVI-Sektion Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin, insgesamt 181 Kinder wegen Grippe auf der Intensivstation. „Wir haben hier wirklich sehr schwere Verläufe dokumentiert“, bedauert Heimberg, Oberärztin der Interdisziplinären Pädiatrischen Intensivstation am Universitätsklinikum Tübingen.

„Zehn Prozent der Kinder auf der Intensivstation sind verstorben“, zeigte Heimberg auf Basis ihrer Befragung auf. „Weitere zehn Prozent sind mit großen neurologischen Defiziten, das heißt mit starken, vielleicht ein Leben lang bestehenden Beeinträchtigungen, nach Hause gegangen. Solche Komplikationen können beispielsweise nach einer begleitenden Infektion des Gehirns auftreten.“ Die Kinder waren alle ungeimpft. Etwas mehr als ein Drittel der Kinder seien vorher vollkommen gesund gewesen, berichtete sie, andere hätten Vorerkrankungen wie Asthma gehabt oder hatten als ehemalige Frühgeborene ein höheres Risiko.

Auch Kinder unter sechs Monate profitieren

Nachdem die RSV-Impfung bereits in zwei Wintern die schweren und sehr schweren Verläufe bei Kindern mehr als deutlich hat zurückgehen lassen (wir berichteten), appellieren die Intensiv- und Notfallmediziner jetzt an die STIKO sowie auch an die gesamte Bevölkerung, diesem Beispiel zu folgen: Eine Grippeimpfung für alle ab dem sechsten Lebensmonat sei absolut sinnvoll. Auch Babys unter sechs Monate würden durch eine Senkung der Viruslast in der Gesamtbevölkerung besser vor einer Influenzainfektion geschützt, betonte Heimberg.

Und nicht nur das: Wie die Kardiologen bereits seit einiger Zeit hervorheben, schützt die Grippeimpfung auch vor schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignissen. So fordert die europäische Kardiologengesellschaft Impfungen gegen Influenza, aber auch auch gegen RSV, Pneumokokken und SARS-CoV-2 als tragende Säule kardiopräventiver Strategien zu etablieren (wir berichteten). Ein Umstand, auf den auch Karagiannidis zum Schutz vor beispielsweise Herzinfarkten verwies.

Um den Zugang zur Grippeimpfung niederschwellig zu gewährleisten, halten die DIVI-Experten die Impfung in Apotheken für sinnvoll.

(ah/BIERMANN)