Duchenne: „Crosstalk“ zwischen Muskel und Milz

Die Abbildung zeigt einen Überblick über die potenziellen Protein-Protein-Interaktionsmuster bei verminderten (l.) und erhöhter (r.) Konzentration von Proteinen in der Milz von Duchenne-Mäusen. (© Maynooth University)

Die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) ist die im Kindesalter am häufigsten auftretende Muskelerkrankung, die X-chromosomal rezessiv vererbt wird. Wissenschaftler der Universitäten Maynooth (Irland) und Bonn haben nun bei an Duchenne erkrankten Mäusen einen Zusammenhang zwischen dystrophischen Muskeln und Lymphsystem gefunden.

Der Muskelschwund bei Duchenne wird durch einen Mangel an Dystrophin, einem Protein des Zellskeletts, verursacht. Dystrophin kommt in Wirbeltieren in der Muskelfasermembran vor und ist für die Muskelkontraktion wichtig. Obwohl die Erkrankung in erster Linie auf den Defekt eines einzelnen Gens (DMD-Gen) zurückzuführen ist, hat sie als primär neuromuskuläre Erkrankung aber auch weitreichende und komplexe gesundheitsrelevante Auswirkungen auf nicht muskuläre Gewebe und Organsysteme.

In den letzten Jahren haben die Forschungsgruppen um Prof. Dieter Swandulla, Physiologisches Institut der Universität Bonn, und Prof. Kay Ohlendieck, National University of Ireland, Maynooth, mithilfe massenspektrometrischer Proteinanalysen (Proteomics) gezeigt, dass bei der Duchenne-Muskeldystrophie in einer Reihe von Organen einschließlich Herz, Gehirn, Niere und Leber sowie auch im Speichel, Serum und Urin Veränderungen der jeweils vorkommenden Gesamtproteine (Proteom) auftreten.

Suche nach erkrankungsspezifischen Markerproteinen

„Proteomics sind ein zuverlässiges und effektives Analyseverfahren, um erkrankungsspezifische Markerproteine zu identifizieren, die Aussagen über den Verlauf der Erkrankung, mögliche therapeutische Angriffspunkte und die Wirksamkeit von therapeutischen Interventionen erlauben“, sagt Swandulla.

In der aktuellen Studie untersuchten die Wissenschaftler mit Hilfe von Proteomics modellhaft an Mäusen, die unter Duchenne-Muskeldystrophie litten, wie die Skelettmuskulatur und die Milz sich angesichts des Dystrophinmangels gegenseitig beeinflussen. Die Milz spielt bei der Immunantwort eine Schlüsselrolle und dient der Vermehrung der zu den weißen Blutkörperchen zählenden Lymphozyten, speichert außerdem Immunzellen vom Typ der Monozyten und sortiert überalterte rote Blutkörperchen aus.

Anhand der Duchenne-Mäuse schlüsselten die WissenschaftlerInnen erstmals das Proteom der Milz im Vergleich zu gesunden Kontrolltieren auf und erstellten ein umfassendes Proteinarchiv für dieses Organ. „In den Mäusen mit der Duchenne-Erkrankung wurden zahlreiche Änderungen der proteomischen Signatur der Milz im Vergleich zu den Kontrollen gefunden“, sagt Ohlendieck von der National University of Ireland, Maynooth.

“Heat map” der Proteomanalyse: Das Diagramm, das an Wärmebildaufnahmen von Gebäuden angelehnt ist, zeigt die Unterschiede der Proteom-Analyse an den Duchenne-Mäusen im Vergleich zur nicht erkrankten Kontrollgruppe. (© Maynooth University)

Darüber hinaus fanden die WissenschaftlerInnen erstmals eine kürzere Form des Dystrophins (DP71), das in der Milz als Protein synthetisiert wird. „Diese Dystrophinvariante wird offensichtlich vom Krankheitsgeschehen nicht betroffen, weil sie in den Duchenne-Mäusen unverändert vorkommt“, sagt Swandulla. Der „Crosstalk“ drücke sich insbesondere dadurch aus, dass eine Vielzahl von Proteinen in der Milz durch den Verlust der langen Dystrophin-Form drastisch reduziert ist. „Dazu gehören Proteine, die am Lipidtransport und -metabolismus sowie an der Immunantwort und am Entzündungsgeschehen beteiligt sind.“

Folgeeffekte im lymphatischen System

Weiterhin liefert die Studie Hinweise darauf, dass der Verlust der langen Form des Dystrophins, wie er bei Duchenne im Skelettmuskel auftritt, offensichtlich Folgeeffekte im lymphatischen System hervorruft. „Es handelt sich dabei um einen echten `Crosstalk´ zwischen Skelettmuskulatur und lymphatischem System“, sagt Dr. Paul Dowling von der Maynooth University.

Im konkreten Fall der Duchenne-Muskeldystrophie drückte sich der „Crosstalk“ insbesondere dadurch aus, dass die Kurzform des Dystrophins in der Milz zwar weiterhin normal produziert wurde, es aber bei den anderen Proteinspezies zu störenden Veränderungen der proteomischen Signatur kam.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Ergebnisse der Studie nahelegen, dass die Mechanismen der Entzündungsprozesse, die im Laufe der Duchenne-Muskeldystrophie entstehen, ein besonderes Augenmerk verdienen. Denn diese entzündlichen Mechanismen sind ein wichtiges Kennzeichen der Muskelfaserdegeneration und tragen wesentlich zum Fortschreiten der Erkrankung bei. „Die spezifischen Wechselwirkungen des Dystrophinmangels mit dem Immunsystem könnten so neue Ansätze zur Therapie eröffnen“, sagt Swandulla.

Originalpublikation:
Dowling P et al. Proteome-wide changes in the mdx-4cv spleen due to pathophysiological crosstalk with dystrophin-deficient skeletal muscle, iScience, 26. August 2020