Forschern gelingt Durchbruch im Verständnis der häufigsten Lernstörung15. August 2024 Eine MRT-Studie an der TU Dresden zeigt: Legasthenie ist mit Funktions- und Strukturveränderungen des visuellen Thalamus im Gehirn verbunden. (Foto: © Julia – adobe.stock.com) Ein Forschungsteam der Technischen Universität Dresden (TUD) konnte erstmals zeigen, dass Legasthenie mit Veränderungen in der Funktion und Struktur des visuellen Thalamus zusammenhängt. Der visuelle Thalamus ist eine Schlüsselregion, die die Augen mit der Großhirnrinde verbindet. Er besteht aus zwei separaten Teilen mit unterschiedlichen Aufgaben bei der Verarbeitung visueller Informationen: ein kleinerer Teil, der auf die Erkennung von Bewegungen und sich schnell verändernden visuellen Informationen spezialisiert ist, und ein größerer Teil, der sich auf die Verarbeitung von Farben konzentriert. Frühere Post-mortem-Studien deuteten darauf hin, dass es bei der Entwicklungslegasthenie speziell in dem kleineren, bewegungsempfindlichen Teil des visuellen Thalamus zu Veränderungen kommt. Diese Ergebnisse wurden jedoch nie an lebenden Menschen bestätigt und der Einfluss dieser Veränderungen auf Legasthenie-Symptome blieb unbekannt. Der Grund dafür liegt darin, dass der visuelle Thalamus sich tief im Gehirn befindet und seine Teile außerdem winzig sind, wobei der kleinere nur etwa die Größe eines Pfefferkorns hat. Das macht es außerordentlich schwierig, diese Strukturen mit der herkömmlichen Magnetresonanztomographie (MRT) zu untersuchen. In der aktuellen Studie führten die Forschenden eine Reihe neuartiger Experimente an einem speziellen MRT-System am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI-CBS) in Leipzig durch. Ausgestattet mit einem leistungsstarken Magneten ermöglichte dieses MRT-System die Untersuchung des visuellen Thalamus in einer bisher nicht gekannten Detailgenauigkeit am lebenden Menschen. Um die Anzahl der Teilnehmenden mit Legasthenie, die die strengen Sicherheitsstandards für diese MRT-Untersuchungen erfüllen, zu maximieren, wurde das Forschungsteam vom Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie e.V. unterstützt, der die Suche nach geeigneten Teilnehmern auf ganz Deutschland ausdehnte. Die Ergebnisse der Studie, die auf einer Stichprobe von 25 Menschen mit Legasthenie und 24 Kontrollpersonen basieren, zeigten, dass die Entwicklungslegasthenie mit Veränderungen in der Funktion und der Struktur des bewegungsempfindlichen Teils des visuellen Thalamus verbunden ist. Darüber hinaus wurden diese Veränderungen mit Legasthenie-Symptomen in Verbindung gebracht, insbesondere bei männlichen Legasthenikern, was auf mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pathologie der Legasthenie hinweist. Dr. Christa Müller-Axt, Wissenschaftlerin an der Professur für Kognitive und Klinische Neurowissenschaften der TU Dresden, erklärt die Bedeutung der Ergebnisse: „Wir haben eine seit Langem bestehende Hypothese über Hirnfunktionsunterschiede bei der Entwicklungslegasthenie bestätigt und Veränderungen im visuellen Thalamus – einer winzigen Struktur tief im Inneren des Gehirns – aufgedeckt. Jahrzehntelang war es unmöglich, diese Struktur und ihre Teile am lebenden Menschen zu untersuchen. Jetzt legen wir jedoch die größte und umfassendste hochauflösende MRT-Studie zu diesem Gehirngebiet vor. Die Zusammenarbeit mit dem BVL hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir diesen bahnbrechenden Fortschritt im Verständnis dieser Lernbeeinträchtigung erzielen konnten, der künftige Diagnose- und Behandlungsstrategien potenziell maßgeblich beeinflussen könnte.“ Mit einer Häufigkeit von fünf bis zehn Prozent ist die Entwicklungslegasthenie die am weitesten verbreitete Lernbeeinträchtigung, von der weltweite Millionen von Menschen betroffen sind. Trotz der hohen Prävalenz sind die neurobiologischen Ursachen der Legasthenie nach wie vor ungeklärt. Zum Teil aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit und der gesteigerten Kosten spezieller MRT-Systeme haben sich die meisten neurowissenschaftlichen Forschungsbemühungen bei der Erklärung der Legasthenie auf die Großhirnrinde konzentriert. Folglich ist die Rolle des Thalamus bei der Legasthenie weitgehend unerforscht geblieben. Darüber hinaus beschränkten sich frühe Post-mortem-Studien über thalamische Veränderungen bei Legasthenie auf einige wenige Fallbeispiele, sodass unklar blieb, ob diese Veränderungen bei allen Legasthenikern auftreten oder nur bei einer Teilgruppe. „Unsere Entdeckung thalamischer Veränderungen in einer großen Stichprobe von Menschen mit Legasthenie deutet darauf hin, dass diese Veränderungen in der Pathologie der Störung weiterverbreitet sein könnten, als bisher angenommen. Diese Erkenntnis ebnet den Weg für weitere Forschungsstudien, die darauf abzielen, ein umfassenderes Verständnis der bei einer Legasthenie zugrunde liegenden Gehirnmechanismen zu erlangen“, erläutert Katharina von Kriegstein, Professorin für Kognitive und Klinische Neurowissenschaft an der TU Dresden, und ergänzt: „Wichtig ist, dass unsere Ergebnisse auch zeigen, dass thalamische Veränderungen mit Leseschwierigkeiten verbunden sind, insbesondere bei männlichen Legasthenikern. Dies unterstreicht die Notwendigkeit zu erforschen, wie sich thalamische Veränderungen auf das Verhalten auswirken, was für die effektive Entwicklung von Therapie- und Interventionsstrategien für Legasthenie von zentraler Bedeutung ist.“
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