Früher Rhythmuserhalt nützt allen Menschen mit Vorhofflimmern

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Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern profitieren von einer frühen rhythmuserhaltenden Therapie. Diese verhindert Komplikationen besser als die übliche Behandlung – unabhängig von der Art des Vorhofflimmerns, Komorbiditäten oder sonstigen Besonderheiten der Betroffenen.

Das hat die vom Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) durchgeführte Studie EAST – AFNET 4 und deren diverse Subgruppenanalysen ergeben. Kardiologinnen und Kardiologen empfehlen deshalb, allen Menschen mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern zeitnah eine rhythmuserhaltende Behandlung durch Katheterablation oder antiarrhythmische Medikamente anzubieten.

Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern sterben häufig vorzeitig oder erleiden schwere Folgekrankheiten – sogar dann, wenn sie nach den aktuellen Leitlinien behandelt werden. Vorhofflimmern wird heute üblicherweise mit Medikamenten behandelt, welche die Herzfrequenz regulieren und so den Herzmuskel vor Überlastung schützen. Außerdem erhalten Betroffene Blutgerinnungshemmer (orale Antikoagulation), um das Schlaganfallrisiko zu senken. Zusätzlich zu dieser bisher üblichen Behandlung gibt es Antiarrhythmika und nichtmedikamentöse Maßnahmen (Katheterablation), um den Sinusrhythmus wieder herzustellen und zu erhalten. Diese rhythmuserhaltenden Maßnahmen, die potentiell auch Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringen können, kamen bisher vor allem bei den Patientinnen und Patienten zum Einsatz, die unter besonders schweren Symptomen leiden. Ob eine rhythmuserhaltende Behandlung nur die Beschwerden lindert oder darüber hinaus auch Komplikationen und Krankenhausaufenthalte verhindert und das Leben der Betroffenen verlängert, war bisher unklar.

Die Studie EAST – AFNET 4 (Early Treatment of Atrial Fibrillation for Stroke Prevention) hat in ihrem 2020 publizierten Hauptergebnis im „New England Journal of Medicine“ gezeigt: Eine frühzeitige, innerhalb eines Jahres nach der Diagnose Vorhofflimmern begonnene rhythmuserhaltende Therapie mit Medikamenten oder einer Katheterablation verhindert Todesfälle, Schlaganfälle und Krankenhauseinweisungen wegen Herzschwäche oder einem akuten Koronarsyndrom wirksamer als die bisher übliche Behandlung. Ob dieses Ergebnis auf alle Menschen mit Vorhofflimmern zutrifft oder ob für Betroffene mit bestimmten Besonderheiten möglicherweise Einschränkungen gelten, wurde in Subanalysen überprüft. In diesen wurden bestimmte Untergruppen der Studienteilnehmenden genauer unter die Lupe genommen, insbesondere solche, die bisher für eine rhythmuserhaltende Therapie eher weniger geeignet schienen.

In der neuesten Subanalyse wurde die Rolle von Begleiterkrankungen untersucht. Der wissenschaftliche Leiter der Studie EAST – AFNET 4, Prof. Paulus Kirchhof vom Universitären Herz- und Gefäßzentrum UKE, Hamburg, erklärt: „Üblicherweise neigen wir dazu, eine rhythmuserhaltende Therapie relativ jungen und gesunden Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern anzubieten. Nun haben wir innerhalb der EAST-AFNET-4-Studienpopulation die Gruppe der älteren Menschen mit Vorhofflimmern und mehreren zusätzlichen Erkrankungen, insbesondere solchen, welche das Schlaganfall- sowie das Herzinfarktrisiko erhöhen, genauer analysiert und herausgefunden: Auch bei diesen Menschen verhindert eine frühe rhythmuserhaltende Therapie Komplikationen besser als die übliche Behandlung. Gerade diese sehr kranken Patientinnen und Patienten sollten also vorrangig mit rhythmuserhaltenden Maßnahmen behandelt werden, um vor Folgeschäden geschützt zu sein.“ Die Ergebnisse sind am 15. August im renommierten Fachjournal „Circulation“ erschienen.

Im Lauf der letzten zwei Jahre wurden zudem Subgruppenanalysen zu den folgenden speziellen Fragestellungen durchgeführt:

  1. Rhythmuserhalt bei Herzschwäche: Was gilt, wenn Vorhofflimmern gemeinsam mit einer Herzschwäche oder einer eingeschränkten Pumpfunktion des Herzens auftritt? Für diese Gruppe, die rund ein Drittel der EAST-AFNET-4-Studienteilnehmenden ausmacht, wurde der Nutzen einer frühen rhythmuserhaltenden Behandlung laut AFNET „zweifelsfrei bestätigt“.
  2. Rhythmuserhalt bei asymptomatischen Betroffenen: Vorhofflimmern geht nicht immer mit typischen Symptomen einher. Viele Betroffene spüren keinerlei Beschwerden und erfahren nur durch Zufall, dass sie an einer Rhythmusstörung leiden. Auch diese als asymptomatisch bezeichneten Patientinnen und Patienten profitieren von einer frühen rhythmuserhaltenden Therapie.
  3. Rhythmuserhalt auch bei persistierendem Vorhofflimmern: Welche Rolle spielt die Art des Vorhofflimmerns? Wie die Daten zeigen, schützt ein früher Rhythmuserhalt alle Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern vor Komplikationen, unabhängig davon, ob sie wiederkehrende Vorhofflimmeranfälle oder anhaltendes Vorhofflimmern haben oder ob die Rhythmusstörung bei ihnen zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Bei der letztgenannten Gruppe führten rhythmuserhaltende Maßnahmen allerdings häufiger zu Krankenhausaufenthalten. Deshalb bleibt der Nutzen für diese Menschen vorerst unklar, wie AFNET betont.
  4. Rhythmuserhalt bei Männern und Frauen: Sind geschlechtsspezifische Unterschiede zu berücksichtigen? Im Vergleich der Studiendaten von Männern und Frauen erwies sich eine frühe rhythmuserhaltende Therapie bei beiden Geschlechtern als vorteilhaft. Frauen erlitten allerdings unabhängig von der Behandlungsstrategie insgesamt weniger Komplikationen als Männer. Die Ergebnisse dieser Subgruppenanalyse wurden als „Late Breaking Science Abstract“ auf dem Kongress EHRA – European Heart Rhythm 2022 in Kopenhagen (Dänemark) im April dieses Jahres präsentiert.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind auch der Frage nachgegangen, ob möglicherweise Unterschiede in der Behandlung in den beiden Studiengruppen das Ergebnis verfälscht haben könnten. Diese Zweifel konnten durch Detail-Analysen ausgeräumt werden, die im April im Fachmagazin „EP Europace“ publiziert wurden. Die Gerinnungshemmung und die Behandlung von Begleiterkrankungen erfolgte in beiden Studiengruppen gleichermaßen konform mit den aktuell gültigen Leitlinien.

„Zwei Jahre sorgfältiger Analysen in dem kompletten Datensatz der EAST-AFNET-4-Studie haben den Nutzen und die Sicherheit des frühen Rhythmuserhalts für alle Patientinnen und Patienten der EAST-AFNET-4-Studie belegt“, fasst Kirchhof das Fazit der EAST-AFNET-4-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler zusammen. Die Ergebnisse der Studie hätten bereits dazu geführt, dass die Behandlung von Vorhofflimmern im klinischen Alltag in vielen Zentren entsprechend angepasst worden seien. „Rhythmuserhaltende Maßnahmen sollten nun nicht mehr nur der Behandlung von Symptomen dienen, sondern sollten allen Menschen mit Vorhofflimmern und einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmer-assoziierte Komplikationen zeitnah nach der Diagnose angeboten werden“, so Kirchhof. Entsprechende Empfehlungen wurden auf der Basis der EAST-AFNET-4-Studienergebnisse auch von einer internationalen Expertengruppe formuliert.