Gefährliche Blutungen: Neues 3D-Darm-Modell soll Ursachen sichtbar machen

Student Luca Holy (li.) „füttert“ Blutgefäßzellen in einer Kultur. Er gehört zum Forschungsteam von Prof. Maria Brehm, Biochemikerin an der Uni Siegen (re.). Quelle: © Henrica Gehrmann

Ein Forschungsteam der Universität Siegen entwickelt ein neuartiges Darm-Modell auf einem Mikrochip. Es soll helfen zu verstehen, warum es bei Menschen mit einer bestimmten Blutgerinnungsstörung zu schwer behandelbaren Darmblutungen kommt.

Geleitet wird die Arbeitsgruppe von der Biochemikerin Prof. Maria Brehm, die für das Vorhaben jüngst ausgezeichnet wurde.

Ein Schlüsselspieler in dem fein abgestimmten Prozess, der den Körper vor übermäßigem Blutverlust schützt, ist der von-Willebrand-Faktor (VWF): ein Protein im Blut, das verletzte Stellen erkennt und Blutplättchen an die Wunde holt. Bei circa einem Prozent der Weltbevölkerung ist dieser Prozess gestört. Bei diesen Menschen mit der von-Willebrand-Erkrankung drohen lang anhaltende Blutungen. Besonders belastend und potenziell gefährlich sind wiederkehrende Blutungen im Darm, verursacht durch Angiodysplasien. Warum diese entstehen, ist bis heute nicht vollständig erforscht. Zugelassene Medikamente dagegen gibt es nicht.

Hier setzt Brehms Forschung an. Sie und ihr Team entwickeln ein hochmodernes, miniaturisiertes 3D-Darm-Modell auf einem Mikrochip mit nur wenigen Millimetern Durchmesser. Es soll die komplizierten Bedingungen im menschlichen Darm möglichst naturgetreu darstellen und so detaillierte Untersuchungen und Experimente erlauben.

Die Siegener Biochemikerin entwickelt vorhandene 3D-Darm-Modelle so weiter, dass sie und ihr Team insbesondere die Rolle des von-Willebrand-Faktors bei der Entstehung der Darmblutungen untersuchen können. Dazu nutzen die Forschenden Zellen und Blut im Modell, in denen der von-Willebrand-Faktor reduziert ist. Sie simulieren also das von-Willebrand-Syndrom auf dem Mikrochip. Durch eingehende Forschung mit dem neuen Modell ist im besten Fall erstmals ein vollständiges Verständnis des Krankheitsbildes möglich.

Modell soll Weg für neue Therapien ebnen

Maria Brehm hat in Hamburg den Günter Landbeck Excellence Award für ihre herausragende Forschung zu Blutgerinnungsstörungen im deutschsprachigen Raum erhalten. Quelle: © Universität Siegen

In einem solchen krankheitsähnlichen Modell könnten, so die Hoffnung der Wissenschaftler, künftig neue Substanzen getestet werden, die die Darmblutungen im besten Fall stoppen oder die Gefäßbeschädigungen lindern könnten. In einer sicheren Laborumgebung ließen sich bestehende Arzneimittel sowie neu entwickelte Wirkstoffe testen – und dies ohne Tierversuche. „Die Darmblutungen sind für die Patienten verständlicherweise sehr belastend“, unterstreicht Brehm. „Wir forschen mit dem Ziel, die Therapie von Patientinnen und Patienten langfristig effektiv zu verbessern.“

Für ihr Vorhaben hat Brehm im November in Hamburg den Günter Landbeck Excellence Award erhalten. Mit dem Preis würdigt Takeda Pharma herausragende Forschung zu Blutgerinnungsstörungen im deutschsprachigen Raum. Die Siegener Biochemikerin erhielt die Auszeichnung, die mit 25.000 Euro dotiert ist, in der Kategorie „Experimentelle Arbeiten“. Das Preisgeld fließt direkt in die Forschung – eine neue Doktorandin ist bereits eingestellt.

Seit 2021 forscht Brehm an der Uni Siegen. Die Arbeiten der Gruppe konnten bereits zeigen, wie der VWF eine zentrale Rolle bei der Steuerung des Wachstums von Blutgefäßen spielt. Fehlt der VWF, wird ein bestimmter zellulärer Signalweg – der PI3K/Akt-Signalweg – übermäßig aktiviert. Dadurch beginnen Gefäßzellen, sich stärker zu vermehren, zu wandern und fehlgebildete, blutdurchlässige Gefäße zu bilden – typische Merkmale einer Angiodysplasie.

Zuvor forschte Brehm mehr als zehn Jahre lang am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, und in der DFG-Forschergruppe SHENC (Shear flow regulation of hemostasis – Bridging the gap between nanomechanics and clinical presentation), in der ein interdisziplinäres Team aus Biochemikern, Strukturbiologen, Biologen, Physikern und Medizinern den von-Willebrand-Faktor aus verschiedenen Perspektiven untersuchte. Seit 2011 beschäftigt sich Brehm damit herauszufinden, welche mechanischen Kräfte im Blut die Aktivität des VWF steuern und wie Mutationen im Protein zu Fehlfunktionen führen. Etliche vorher unbekannte Mutationen hat sie in diesem Zuge bereits entdeckt, die überraschenderweise die Blutgerinnung verstärken und so das Risiko für Herzinfarkte erhöhen könnten.

Die von-Willebrand-Erkrankung ist die häufigste erbliche Blutgerinnungsstörung. Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen. Die große Mehrheit der Patienten hat eine leichte Verlaufsform. Schwere Verläufe sind selten – nur in diesen Fällen kommt es zu wiederkehrenden Darmblutungen.