Geht auch: Seit zwanzig Millionen Jahren ohne Sex – Wie Milben überleben27. Januar 2025 Rasterelektronenmikroskopie-Aufnahme von Platynothrus peltifer Abb.: © Dr. Mark Maraun/Dr. Katja Wehner Ein internationales Forschungsteam hat bei asexuellen Milben verschiedene Mechanismen entdeckt, die genetische Vielfalt erzeugen und so das Überleben sichern. Platynothrus peltifer widersetzt sich damit der gängigen Theorie der Evolution. Forschende der Universität zu Köln haben zusammen mit Kollegen internationaler Partnerinstitutionen die asexuelle Fortpflanzung bei Hornmilben mit modernen Techniken der Genomsequenzierung genauer untersucht. Sie zeigen, dass der mögliche Schlüssel zu einer Evolution ohne Sex bei Hornmilben in der unabhängigen Entwicklung ihrer beiden Chromosomenkopien liegt – ein Phänomen, das als „Meselson-Effekt“ bekannt ist. Das Forschungsteam hat verschiedene Mechanismen entdeckt, die zu einer genetischen Vielfalt auf den Chromosomensätzen beitragen und so die Evolution der Milbe sicherstellen.Wie der Mensch hat die Hornmilbe einen doppelten Chromosomensatz. Doch im Gegensatz zum Menschen pflanzt sich die asexuelle Hornmilbe Platynothrus peltifer parthenogenetisch fort: Mütter produzieren Töchter aus unbefruchteten Eiern – eine reine Frauengesellschaft also. Mithilfe von Genomanalysen an einzelnen Milben konnten die Forschenden erstmals die angesammelten Unterschiede zwischen den Chromosomenkopien untersuchen und ihre Bedeutung für das Überleben der Milbe analysieren. Die Ergebnisse der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie wurden unter dem Titel „Chromosome-scale genome dynamics reveal signatures of independent haplotype evolution in the ancient asexual mite Platynothrus peltifer“ im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.Sex ist ein zentraler Motor der Evolution: Er sorgt für genetische Vielfalt und hilft Organismen, sich schneller an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Ohne Sex hingegen drohen genetische Stagnation und das Aussterben – zumindest laut gängiger Theorie der Evolution. Doch die Milbe Platynothrus peltifer widersetzt sich diesen Regeln: Sie existiert seit über 20 Millionen Jahren – und das ganz ohne Sex. Die asexuellen Hornmilben erzeugen ihre weiblichen Nachkommen aus unbefruchteten Eiern völlig ohne Männchen. Männchen fehlen oder sind sehr selten und tragen nicht zum Genpool bei. Je nach Mechanismus, der zur Wiederherstellung des doppelten Chromosomensatzes führt, können die Nachkommen entweder alle oder einen Teil der Genvarianten (Allele) der Mutter erben. Sie können also „vollständige Klone“ der Mutter sein.Bei der Hornmilbe entwickeln sich die beiden Kopien des Chromosomensatzes unabhängig voneinander und schaffen dabei einen experimentellen Raum, in dem neue genetische Varianten entstehen können, während gleichzeitig wichtige Informationen bewahrt bleiben. Ein besonders bemerkenswerter Unterschied zeigt sich in der Genexpression – also darin, welche Kopien der Gene wie stark aktiv sind. Diese Unterschiede ermöglichen eine schnelle Reaktion auf Umweltveränderungen und verleihen einen selektiven Vorteil.Hinzu kommt noch Horizontaler Gentransfer (HGT). Gemeint ist damit die Weitergabe bzw. Aufnahme genetischen Materials außerhalb der sexuellen Fortpflanzungswege. „Horizontaler Gentransfer, bei dem Gene sogar von artfremden Organismen übertragen werden können, funktioniert wie das Hinzufügen neuer Werkzeuge zu einem bestehenden Werkzeugkasten. Einige dieser Gene scheinen der Milbe zu helfen, Zellwände zu verdauen und somit ihr Nahrungsspektrum zu erweitern”, erläutert die Erstautorin der Studie Dr. Hüsna Öztoprak vom Institut für Zoologie der Universität zu Köln.Zudem spielen noch „springende Gene“, die sogenannten transponierbaren Elemente (TE), eine wichtige Rolle. TEs bewegen sich innerhalb des Genoms wie Buchkapitel, die in eine neue Geschichte eingefügt werden und den Handlungsverlauf verändern können. Besonders spannend: Die Aktivität dieser TEs unterscheidet sich zwischen den beiden Chromosomenkopien. Während sie auf einer Kopie aktiv sind und dynamische Veränderungen bewirken können, bleiben sie auf der anderen eher inaktiv.Die Studie liefert neue Erkenntnisse über die Überlebensstrategien von asexuellen Organismen. Unterstützt wird die asexuelle Evolution durch verschiedene Quellen genetischer Vielfalt, auf die das Forschungsteam in der Studie aufmerksam macht. „In künftigen Forschungsprojekten möchten wir herausfinden, ob es noch weitere Mechanismen gibt, die für eine Evolution ohne Sex von Bedeutung sind”, so Dr. Jens Bast, Emmy Noether-Gruppenleiter an der Universität zu Köln.
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