Genesung: Abneigung gegen Eiweiß könnte Schutzmechanismus sein

Während der Genesung haben viele Patienten eine Abneigung gegen eiweißreiche Kost. (Foto: © amorn – stock.adobe.com)

Bislang ist der konkrete Prozess der Genesung nach einer akuten Erkrankung unbekannt und es ist nicht geklärt, warum manche Menschen vollständig und manche gar nicht genesen. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) hat nun erste Einblicke in die Physiologie der Genesung gewonnen.

Wie die Forschenden in „Cell“ berichten, kann der Konsum von drei im Nahrungseiweiß vorkommenden Aminosäuren für den Genesungsprozesses problematisch sein. Damit könnte die von den Wissenschaftlern auch entdeckte Abneigung gegenüber Nahrungseiweiß nach akuter Erkrankung demzufolge ein Schutzmechanismus des Körpers sein.

„Wir haben in unserer Studie herausgefunden, dass der Genesungsprozess nach akuten Krankheitszuständen durch ein stereotypisches Verhaltensmuster charakterisiert ist, das eine starke Abneigung gegenüber eiweißreicher Nahrung umfasst. Diese Beobachtung war für uns sehr überraschend, da eiweißreiche Nahrung seit Jahren ein fixer Bestandteil des Ernährungskonzepts von kritisch kranken Patientinnen und Patienten darstellt“, erklärt Dr. Nikolai Jaschke aus der I. und III. Medizinischen Klinik und Poliklinik des UKE. Der Endokrinologe hat die Studie im Rahmen seines Postdocs im Labor von Andrew Wang (Yale School of Medicine) geleitet.

Ammoniakproduktion belastet die Leber

Nikolai Jaschke
(Quelle: © UKE)

In einer Reihe von Experimenten im Modell konnten die Forschenden darüber hinaus zeigen, dass nicht der Konsum von Eiweiß per se, sondern der Verzehr von drei im Nahrungseiweiß natürlich vorkommenden Aminosäuren im Rahmen des Genesungsprozesses problematisch sein kann. Diese drei Aminosäuren (Glutamin, Lysin und Threonin) führen in hoher Dosis zur Produktion von Ammoniak, der über die Leber entgiftet werden muss. Im Rahmen des Genesungsprozesses ist die Kapazität zur Entgiftung dieses Moleküls jedoch reduziert.

Eine Supplementierung dieser drei Aminosäuren erwies sich in den Experimenten der Forschenden entsprechend als toxisch. „Wir gehen davon aus, dass die Aversion eiweißreicher Nahrung einen physiologischen Schutzmechanismus darstellt, der den Körper vor einer Anhäufung von schädlichem Ammoniak bewahrt“, erklärt Jaschke.

Aversion wird vom Gehirn gesteuert

Als Grundlage der Protein-Aversion konnten die Wissenschaftler ein Protein im Darm identifizieren, das durch lokal gebildetes Ammoniak aktiviert wird. Aufsteigende Nervenfasern übermitteln diese Information an Areale des Gehirns, deren Aktivität Brechreiz, Übelkeit und Aversion auslöst. „Die durch Eiweiß beziehungsweise Ammoniak aktivierten Hirnareale sind teilweise überlappend mit jenen, die durch moderne appetithemmende Medikamente mit dem Wirkstoff Semaglutid stimuliert werden“, berichtet Jaschke.

In einem nächsten Schritt möchten die Wissenschaftler testen, ob der Genesungsprozess des Menschen basierend auf den nun gewonnenen Erkenntnissen mittels diätetischer Interventionen unterstützt oder verbessert werden kann. Neben kritisch kranken Patienten könnten solche diätetischen Formulierungen auch für Kinder mit angeborenen Stoffwechselerkrankungen oder Menschen mit Kachexie therapeutisch relevant sein.