Gesundheitskompetenz steigt leicht – Soziale Kluft bleibt aber groß

Laut einer aktuellen repräsentativen Befragung ist der Anteil derjenigen Patienten, die gut mit Gesundheitsinformationen umgehen können, insgesamt leicht gestiegen – allerdings nicht bei sowieso sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. (Abbildung: © Mitthila Vectx/stock.adobe.com)

Immer mehr Menschen in Deutschland können besser mit Gesundheitsinformationen umgehen. Allerdings wächst die Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in diesem Zusammenhang. Das zeigt eine neue repräsentative Studie.

Erarbeitet hat die kürzlich vorgestellten Forschungsergebnisse ein Team von Wissenschaftlern der Universität Bielefeld, der Hertie School Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Demnach verfügen 44 Prozent der Befragten ab 18 Jahren über eine hohe Gesundheitskompetenz – drei Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren.

Studienleiterin Prof. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld sieht darin „einen vorsichtigen Grund zur Hoffnung“. Sie erklärt: „Die Steigerung mag klein erscheinen. Angesichts von Pandemie, Kriegs- und Klimakrise sowie wirtschaftlicher Unsicherheit ist es bemerkenswert, dass sich die Gesundheitskompetenz verbessert hat.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat aber nach wie vor Schwierigkeiten

Dennoch haben 56 Prozent weiterhin eine geringe Gesundheitskompetenz und teilweise erhebliche Schwierigkeiten, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen oder für sich zu nutzen – mehr also als die Hälfte der Bevölkerung. Deshalb fordert Schaeffer, dem Thema mehr Beachtung zu schenken.

Die Befragung mit persönlichen Interviews wurde bereits zum dritten Mal durchgeführt. Methodisch sei die aktuelle Runde mit der Erhebung von 2020 vergleichbar, erklären die Forschenden. Für die nun vorstellte Untersuchung gaben 2650 Personen Auskunft über ihre Gesundheitskompetenz. Die Stichprobe gilt hinsichtlich Geschlecht, Haushaltsgröße, Alter, Bildungsstand und Bundesland als repräsentativ für die deutsche Bevölkerung.

Neben Schaeffer wirkten auch Prof. Michael Ewers von der Charité und Prof. Klaus Hurrelmann von der Hertie School mit. Gefördert wurde die Untersuchung vom Bosch Health Campus.

„Aktuelle Daten zur Gesundheitskompetenz sind unverzichtbar, um Gesundheitsinformationen für alle zugänglich zu machen“, unterstreicht Susanne Melin vom Robert Bosch Centrum für Innovationen im Gesundheitswesen am Bosch Health Campus die Bedeutung der Befragung. „Gesundheitskompetenz ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe – deswegen engagieren wir uns seit Jahren dafür, sie zu stärken.“

Digitale Gesundheitskompetenz im Aufwind

Laut den beteiligten Wissenschaftlern zeigt sich der Fortschritt besonders deutlich im digitalen Bereich: Die Kompetenz, mit digital verfügbaren Gesundheitsinformationen umzugehen, stieg sogar um 4,7 Prozentpunkte. Das dürfte nicht zuletzt auf einen Lernprozess durch die verstärkte Nutzung digitaler Informationsmöglichkeiten zurückzuführen sein, mutmaßen die Forschenden.

Laut den Angaben der Studienautoren nutzen rund 83 Prozent der Befragten inzwischen Internetseiten, um sich über Gesundheitsthemen zu informieren – 18 Prozentpunkte mehr als 2020. Damit einhergehend hat sich die Nutzung von Gesundheits-Apps verdoppelt: Sie werden von 44 Prozent der Befragten verwendet. 17 Prozent greifen bereits auf Anwendungen zurück, die auf Künstlicher Intelligenz basieren.

Ein aktuelles Beispiel für ein kostenfreies Informationsangebot für Patienten ist die Wissensplattform Medical Informatics Hub in Saxony (wir berichteten). Das Angebot mit der Kurzbezeichnung MiHUBx soll Patienten helfen, verlässliche Informationen zum Thema Gesundheit zu erkennen und digitale Angebote in diesem Kontext zu nutzen.

Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld leitete die dritte bundesweite Studie zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland. (Foto: © Ralf E. Ulrich/Universität Bielefeld)

Hürden im Gesundheitssystem

Unverändert groß bleiben nach Angaben der Forschenden hingegen die Schwierigkeiten bei der Orientierung und Navigation im Gesundheitssystem. 82 Prozent der Befragten finden es schwer, sich im Gesundheitssystem und den dazu notwendigen Informationen zurechtzufinden – etwa, sich über ihre Rechte als Patient zu informieren oder zu verstehen, wie das Gesundheitssystem funktioniert. „Das ist ein alarmierender Befund“, kommentiert Schaeffer.

Auch beim Umgang mit Informationen, die dem Selbstschutz bei Krisen und Katastrophen dienen, zeigt die Bevölkerung deutliche Defizite – offenbar, weil es hier vielfach an leicht verständlichen und zugänglichen Informationen fehlt.

Soziale Unterschiede verschärfen sich

Während Menschen mit höherem Sozialstatus und besserer finanzieller Ausstattung ihre Gesundheitskompetenz verbessern konnten, stagnieren die Werte bei sozial benachteiligten Gruppen. „Wer bereits gut aufgestellt ist, profitiert vom positiven Trend“, konstatieren die Wissenschaftler. „Wer dagegen ohnehin Schwierigkeiten hat, macht keine Fortschritte.“ Die Forschenden warnen daher: Für diese Gruppen bleibt das Risiko für ein ungesunden Verhalten hoch.

Das Forschungsteam plädiert deshalb für gezielte Fördermaßnahmen in allen Bereichen, um die Gesundheitskompetenz zu stärken, soziale Ungleichheit abzubauen und allen Menschen den Zugang zu verständlichen und zuverlässigen Gesundheitsinformationen zu ermöglichen. Dies sei gerade angesichts der enormen Zunahme von Desinformationen dringend geboten.